(Der Vorspann zu DAS KLEINEN RABENBUCH – Vorlesegeschichten, handgebunden):
Hinter den Rabenbergen ist ein seltsamer Vogel gelandet. Im roten Frack, vor ein paar Jahren. Was er wohl suchte? Vielleicht gefielen dem Stadtvogel der Wald und die Wiesen, das flinke Döllnfließ und das Dörfchen mit den geduckten Häusern. Der schillernde Eisvogel brütet hier im Verborgenen, und das scheue Wild schleicht in der Dämmerung bis an die Gärten heran. Dann schlagen von den Höfen her die Hunde an. Sie wittern die nächtlichen Gäste. Den Vogel aber verjagte keiner. Er stand träumend in einem der Vorgärtchen und staunte die Zeit an. Im Frühjahr die Ankunft der Kraniche. Im Sommer die Blumenpracht und den Festumzug im Dorf. Im Herbst die Feuer und den Lichterglanz zu Weihnachten. All das inspirierte ihn und seine merkwürdige Verwandlung begann. Schwarz ist er, wie ein Rabe schwarz ist, aber was ist das Rote an seinem Hinterteil? Dort sitzt nicht eine einzige Feder, sondern ein wendiger Schwanz, den er sich ganz offenbar bei einer Katze geborgt hat. An dessen Ende steckt eine Pinselspitze. Tropfend von roter Farbe. Die braucht der Malerrabe für seine bunten Bilder und Geschichten, die er erfindet oder sich aus der Landschaft pflückt.
Dieser Glitzertag hat mich in die Sonne gezogen, obgleich noch 11 Grad minus herrschen. Beim Spaziergang entlang des Döllnfließes stockt mir plötzlich der Atem – ein Silberreiherpaar flattert aus dem Schilf. Zwei Schnappschüsse gelangen, denn ich hatte gerade die Kamera in der Hand, um am Fließ nach Eisgebilden zu schauen. Die schönen, weißen Vögel wirken wie Exoten. Sie sind etwa so groß wie Graureiher, doch schlanker und haben einen besonders langen Hals. Den Kopf trägt dieser Vogel zwischen die Schultern gelegt. Hier am Döllnfließ haben wir vor drei Jahren mal EINEN Silberreiher im Schneetreiben – und so ganz unscharf gesehen – es ist meine erste Paarsichtung. So etwas macht augenblicklich glücklich!!!
Januar, das ist die stille Zeit.
Man/frau muss sich sortieren. Vor den nächsten größeren Dingen stehen erst einmal die Kleinen. Zum Beispiel ist Pinselpaul ist eines von den „Kleinen Dingen“, die aus Resten entstehen. Abfälle, wie alte Pinselstiele, die sonst in der Tonne landen würden. Den Stabpuppen Pinselpaul, Klingelmarie und der Rabe Krax geben diese Stiele Halt und einen Körper. Der Kopf ist aus Papier und Kleber geformt, aus Stoffresten wurde Kleidung – fertig war das kleine Ding.
Nun können die „Kleinen Dinge“ ihr Eigenleben entfalten und vielleicht mal Geschichten erzählen. Im Augenblick warten sie nur auf den richtigen Zeitpunkt. Aber manches der „Kleinen Dinge“ beginnt sogleich zu plappern, besonders dieses hier:
„Ich bin Pinselpaul, der kleine Prinz der Inspiration. Meine Krone, seht ihr, ist aus dem Blech einst schöner zarter Pinsel gemacht. Damit hat die Malerin feine Bilder gemalt, bis den Pinseln die Haare ausgingen. Eigentlich waren sie nun zu nichts mehr gut oder doch? Sie fand, daraus konnte ein Inspirator werden. Was das ist? Der Anfang zu einer Idee, aus der Kunst heran wächst. Manchmal …“
Vielleicht werden die „Kleinen Dinge“ einmal ein Stück aufführen, hier für Sommergäste in unserem Schorfheidedorf – vielleicht. Jetzt ist Januar, man/frau muss sich sortieren … (pe)
… An dieser Stelle möchte ich bis November 2014 eine Handvoll Texte vorstellen, die gelebte Deutsche Teilungsgeschichte nacherzählen …
Grüße vom anderen Stern: … In der Mappe meiner Großmutter fand ich ein sonnengeflutetes Schneeland. Die Karte aus den Alpen stammte aus der Zeit, als die Mauer durch Deutschland noch frisch war. Die Grüße vom Weltenbummler Manfred bewahrte Großmutter gewöhnlich in dicken Fotoalben auf. Vielleicht hatte sie diese Ansicht doppelt und dreifach in jenen Bänden, in denen sie abends oft blätterte, um ihrem Sohn nachzuspüren: Amsterdam, London, Paris, Oslo Stockholm, Zürich, Lissabon, Kairo, Kapstadt … Über die Jahre war mein Onkel Manfred in 28 Ländern, drei Erdteilen, sprach flüssig sechs Sprachen und konnte darüber hinaus in zwei weiteren herzhaft fluchen. Aber wie es ihm ging, wusste hier keiner wirklich. Und auf den vergilbten Fotos auf Großmutters Radio blieb er ewig ein 17-jähriges, sehr smartes Leichtgewicht. Aber 1959 wurde er nicht Deutscher, sondern Schweizer Boxmeister.
Als 1953 Manfreds Sportverein in Görlitz zum Polizeiclub Dynamo mutierte, setzte er sich kurz entschlossen ab. Erst nach Rüsselsheim, dann in die Schweiz. Er träumte von einer Profi-Karriere. Doch ohne Beistand? Fortan kämpfte sich der junge Mann im doppelten Sinne durch – im Ring und auf den weltweiten Montageplätzen der Montanindustrie. Wie das aussah, war der permanent gleich lautenden Grußformel: „Es geht mir gut, Dein Manfred“, kaum zu entnehmen. Großmutter akzeptierte die dünnen Mitteilungen. Wenn aber wochenlang sein Lebenszeichen ausblieb, wurde die Frau unruhig. Jetzt lief sie alle paar Tage zur Post, um aus der Telefonkabine bei meinem Vater in Berlin anzurufen: „Der Junge schreibt nicht. Habt ihr telefoniert? Nein?“ Sie sprach ihre Sorge nicht aus, doch sie war spürbar. Um nachts zur Ruhe zu kommen, schenkte sie uns ein Glas leichten Rotwein ein: „Trink’, Kindchen, da kannst du gut schlafen.“ Da war ich zwölf. Großmutter konnte nach dem Glas wirklich wunderbar schnarchen. Nur ich saß neben ihr hellwach in den Federn, Manfreds Postkartenwelt mit den Orten wie vom anderen Stern im Kopf.
Als mein Sohn Jan 17 Jahre alt war, liefen wieder die Menschen aus dem Osten fort. Es war Spätsommer 1989. Mit seinen Freunden plante er an unserem Küchentisch den Weg über die Grenze. Ich dachte an Großmutter und ihre Alben, und mich gruselte der Gedanke, mir meinen Sohn hinter dieser Mauer vorstellen zu müssen. Unerreichbar. Eine Mutter muss ihren Sohn in die Welt ziehen lassen, aber wenn ein Land seine Jugend verliert, stirbt es. So kam es ja auch …
Aus „Die Mappe meiner Großmutter“, handgebundenes Künsterlerheft,
Eine Haut aus den Farben der Landschaft:
Die „Schorfheide“ – das ist ein alter Mythos und doch nur ein Sammelbegriff für ein größeres Waldgebiet. Der Name entstand im Mittelalter aus „Schorp Weide“, als die Bauern ihre Schafe in den einstigen Eichenwald (Hutewald) trieben, um sie mit Eicheln zu mästen. Lang ist’s her, heute bevorzugen Jäger, Wanderer, Ausflügler oder Pilzsammler dieses Naturparadies. Und wer ein besonderes Markenzeichen der Region sucht, der stößt unweigerlich auf die Schorfheidekeramik von Petra Wessel.
Direkt am Weißen See in Böhmerheide betreibt sie ihr Atelier, aus dem ihre witzigen Tongestalten launig in die Welt spazieren: Mautzende Kater, schmollende Schnecken, blinzelnde Kobolde … eine herzige Gartengesellschaft, deren Besonderheit ihre spezielle Haut ist, die sie zu Markte trägt. Diese Oberfläche assoziiert spontan „Schorfheide“ – das helle Ocker des leichten Dünensandes in dem die Wälder wurzeln, das Umbra der Waldäcker, und das tiefe Braun der mächtigen Baumstämme. Die Töpferin hat diese Farbgebung gewissermaßen der Landschaft abgeschaut und die Spuren darin, die Kratzer und Abdrücke stammen ebenfalls daher – von Erlenfrüchten, Hafer …
Als nach der Währungsunion 1990 alles, was man der Frau bis dahin aus den Händen gerissen hatte, plötzlich wie Blei im Laden stand, begann ihre Suche nach dem Einzigartigen. Während sie experimentierte und entwickelte, entdeckte sie ihre Lust daran, eine regionale Marke zu kreieren, eben eine Keramik, die der Schorfheide entspringt und für sie wirbt. So verwundert es kaum, dass die Töpferin sich zugleich für den Tourismus am Weißen See zu engagieren begann. Sie gründete mit anderen den Tourismusverein Schorfheide-Chorin. „Hilfreich war der damalige Trend ‚Zurück zur Natur’ unter den Westberlinern, die ihr Umland endlich entdecken konnten. Das große Staunen über das wunderbare Waldland mit seinen glasklaren Seen – 50 Kilometer von Berlin entfernt. Man mochte wieder natürliche Hölzer in den Wohnungen und dazu passte auch meine Naturkeramik“, erzählt sie rückblickend und weiß heute: „Letztendlich verkauft man mit seinem Schaffen auch immer das Umfeld mit. Zum Beispiel: ‚Wollen Sie nicht einmal einen Ausflug zum Weißen See in Böhmerheide machen, und mich in meinem Atelier besuchen? Dort gibt es auch ein nettes Restaurant, eine gute Pension …’ Jetzt, wo die Kaufkraft wegen der Krise nachgelassen hat, gebe ich Kurse.“
Und Ferientöpfern kommt gut an. Wer der Frau, die wie ein sprudelndes Quellwasser plaudert zuhört, erfährt neben den praktischen Werktipps auch viel von der Drehscheibe, die sich Leben nennt. Dass Umwege, wie eine falsche Studienwahl (Bauwesen) oder verdrängte Leidenschaften, mitten ins Zentrum führen können; bzw. Mütterzeiten Klärungsprozesse einleiten. Mit 25 Jahren schenkte sie Tochter Jana das Leben und zeitgleich wuchs der Drang, die eigene Kreativität auszuleben, was schlussendlich 1983 in die Selbstständigkeit führte. Nichts lief bis dahin spurgerade in ihrem Leben dieser couragierten Frau, und doch, oder gerade deshalb wohl, ist heute ihre Aufbaukeramik aus schrägen Teilen inzwischen ein krönendes Ganzes. Hier zeigt sich eine langsam erworbene Selbstgewissheit, die spürt, wer mit oder neben der Frau arbeitet.
Kontakt: Keramikwerkstatt Petra Wessel, Buchfinkenweg 4, 16244 Schorfheide OT Böhmerheide, Telefon: 033393 495, Mail: p.wessel@online.de
… das Schlimmste am Malen sind die Trockenphasen … kaum auszuhalten. Man möchte am liebsten zaubern, aber dann könnte man das Motiv auch versauen … Das Geheimnis 63 trocknet leider ganz besonders langsam …(pe)
Zum Wochenende mal eine klitze-kleine Vorlese-Geschichte für die kindlichen Zwerge …
Schwapper-Jule und Krümel-Max waren die besten Freunde. Immer, wenn sie an einem Tisch saßen und aßen, schwapperten und krümelten sie jedes Tischtuch voll. Oma schimpfte, Mama ärgerte sich, die Kinder verdarben einfach jede schöne Festtafel. Nur Tante Rosa schmunzelte nachsichtig. Ihre Augen blickten listig, als sie ein neues Tuch auflegte. Schwapper-Jule hatte heute Geburtstag und es gab Erdbeertorte, heiße Schokolade, zuckersüße Himbeerlimonade und prickelnde Apfelschorle. Kaum war der Deckenwechsel vollzogen, kleckerte Schwapper-Jule wieder rote Flecken auf den Tisch. Nur was war das? Wie von Zauberhand verwischt, waren die sogleich verschwunden. Schwapper-Jule stutzte und träufelte mit dem pinkfarbenen Trinkhalm viele kleine Tröpfchen auf den Tisch, aber schwuppdiwupp waren sie wieder weg. Das Mädchen holte sich eine dicke Lupe und untersuchte die ihren Tischplatz: Wo waren nur die Kleckse geblieben? Schwapper-Jule tropfte mit Limonade und beobachtete über der Lupe, was nun geschah. Oh, wie staunte das Kind, zwei durchsichtig schillernde Wichtel trugen den Tropfen einfach davon. „Fleckendiebe!“, schrie Schwapper-Jule. „Sie mausen einfach meine schönen roten Tropfen!“ Tante Rosa lächelte verschwiegen, nur sie allein wusste um das Geheimnis der Fleckendiebe, die nun unter dem Tisch saßen und mit Jules Limonade ein schönes Bild auf Papier malten, das niemand mehr wegwischte. Das fanden Schwapper-Jule und Krümel-Max nun auch viel spannender und malten fortan viel, viel lieber auf feinem Zeichenkarton.
Versteckt zwischen den Buschkiefern, dort, bei Klein Dölln, wo das Döllnfließ einen weiten Bogen zieht, wächst seit einigen Jahren ein Überraschungsort in der Schorfheide. „Flatternde Forke“ könnte man diese Vogelfantasie von Siegfried Haase nennen, die er aus altväterlichem Landarbeitsschrott entwickelt und verschweißt hat. Die witzige Skulptur hat das Groß Döllner Urgestein für die geneigte Öffentlichkeit als Überraschung aufgestellt. Im Zauberwald zwischen Kurtschlag und Klein Dölln kann der Spaziergänger sie neben all den anderen hintersinnigen und heiteren Gestalten betrachten und sich an dem herzhalfen Mutterwitz des Künstlers erfreuen. Eben dort findet man beispielsweise auch diesen umweltfreundlichen Autoturm vom Bildhauer Lutz Kittler aus Friedrichswalde. Bei diesem milden Wetter ist der unbeschriftete Kunstwald ein lohnendes Ausflugsziehl.
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