Berlins alte Haut: Zosch … Hackisches Hoftheater

Buchcover Foto: Petra Elsner
Buchcover
Foto: Petra Elsner

… meine Güte, frau wird fast wehmütig, ich muss die alten Fotokisten wieder schließen. Wer meint, er müsse mal das Berlin der Zwischenzeit betrachten, kann ja kommen, und in meinen Kisten wühlen … :). Im Sommer 1993 enden meine Fotorecherchen. An einem späten Herbsttag war ich im CC an der Rosenthaler Straße mit einem mir fremden Rucksacktouristen verabredet. Der brachte mir 25 druckfrische  Belegexemplare vom Defini Verlag aus Athen mit. Mein erstes Buch – in griechischer Sprache, ich kam mir vor wie eine Hochstaplerin, denn ich hatte zwar ein Buch geschrieben, aber keiner konnte es hier lesen… Übersetzt und in Wege geleitet wurde es übrigens von der Fotografin und Dolmetscherin Katerina Mavrokefalidion, die übrigens sehr besondere Fotos aus dem Westberlin der 60er Jahre geschossen hat …

Hier noch ein paar Bilderblicke zum Abschied, morgen gehts zurück ins Jetzt:

Zosch 1993 Foto: Petra Elsner
Zosch 1993
Foto: Petra Elsner

Das Zosch als Musikkneipe gibt es in der Tucholskystraße 30 noch. Damals hatte es auch eine Lesebühne im Keller.

Lesebühne im Zosch 1993. Foto: Petra Elsner
Lesebühne im Zosch 1993.
Foto: Petra Elsner

 

Neue Synagoge an der Oranienburger Straße. Foto: Petra Elsner
Neue Synagoge an der Oranienburger Straße.
Foto: Petra Elsner

Ein verwunschener Blick auf die Kuppel der Neuen Synagoge an der Oranienburger.

DasHackische Hoftheather in den 90er Jahren. Foto: Petra Elsner
DasHackische Hoftheather in den 90er Jahren.
Foto: Petra Elsner

Das Hackische Hoftheater in den Hackisches Höfen war Berlins Adresse für gestisch-mimisches Theater und jiddische Kultur. Das Theater wurde Anfang Januar 2006 geschlossen.

Und die Zwei: Claudia Koch und Hardy Reich (von Aufwind) spielten hier in „Max & Moritz…“

Koch und Reich als Max & Moritz. Zeichnung: Petra Elsner
Koch und Reich als Max & Moritz.
Zeichnung: Petra Elsner

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Berlins alte Haut: Das Silberstein

Das Silberstein an der Oranienburger Straße 27 war als Café, Bar und Restaurant besonders stylisch eingerichtet: mit Kunststühlen, Stahlfiguren und großformatiger Malerei an der Wand und elektrische Musik. Meine Aufnahmen stammen aus 1993. Der Ort hatte eine wunderbare Atmosphäre, leider ist das Silberstein in Berlins Scheunenviertel indes auch geschlossen.

Silberstein an der Oranienburger Straße 27 Foto: Petra Elsner
Silberstein an der Oranienburger Straße 27
Foto: Petra Elsner

Die Kunststühle im Silberstein  Foto: Petra Elsner
Die Kunststühle im Silberstein
Foto: Petra Elsner

Die Kunststühle im Silberstein  Foto: Petra Elsner
Die Kunststühle im Silberstein
Foto: Petra Elsner

Metallkunst als Teetisch Silberstein  Foto: Petra Elsner
Metallkunst als Teetisch Silberstein
Foto: Petra Elsner

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Berlins alte Haut: Im Franz Club

Vom Franz- Club habe ich seltsamerweise nur diesen Schnappschuss (gefunden).

Im Franz-Club Foto: Petra Elsner
Im Franz-Club
Foto: Petra Elsner

Aber diese Szene aus meinem Buch „Glatze & Palituch“ (was bestimmt nicht mein bestes war,  eher ein Freischreiben, doch es hat die Zeit eingefangen) erzählt davon :

„… Im „Franz“, dem Club in der denkmalgeschützten Brauerei Ecke
Schönhauser/Sredzkistraße, ist kurz nach 21 Uhr noch gähnende Leere. Das ändert sich mit zunehmenden Viertelstunden rasch. Im Buch- und Plattenladen guckt Matze nach Neuerscheinungen. Anschließend sucht er sich im angrenzenden Raum einen guten Beobachtungsposten. Links, neben der Doppeltür, ermöglicht eine gewaltige Spiegelfront selbst in das größte Menschendickicht totale Einsicht. Diagonal dazu erhebt sich ein kleines Podest mit drei Sitzgruppen. Einen dieser Tische steuert Matze an. Von dort aus kann er nicht nur gut die dichter werdende Gästeszene überschauen, er wird auch von den Eintreffenden leicht entdeckt. Matze schaut in die Gesichter und stellt fest: Der ‚Franz‘ ist auch nicht mehr das, was er mal war: Linke-Szene-Treff. Is nur noch ’n Mythos. Höchst ärgerlich. Der Schickimicki-Zuzug macht mit seinen Klüngeln jeden Ort kalt. Aber heute Abend ist Blues, der lockt bestimmt noch andere Typen. Und ob. Das ist aber ne süße Hippie-Braut. Irre Spätlese. Mensch, und die Jungs aus dem Dunkerklub machen heute auch nen Gemeinschaftsausflug. Gibt‘s nicht. Dass die mal ihr Revier verlassen. Echt selten. Junge, sind die böse drauf. Bis zum Anschlag vollgetankt, typisch.

Matze starrt wieder gebannt in den Eingangsbereich: Vielleicht kommt Vonny doch noch. Für Blues ist sie immer zu haben. Die Warte-Gedanken treiben urplötzlich Matzes Herz an. Darüber beginnen ihm die Hände zu fliegen, es ist das zweite Mal in diesen Tagen. Matze kann das Glas Bier nicht zitterfrei führen. Es ärgert den Mann, so seine Selbstkontrolle zu verlieren. Wenn wenigstens ein bekanntes Gesicht auftauchen würde, einer, der einen ablenkt. Tage gibt‘s, die sind wie verhext. Ich könnte ja jetzt meditieren, dann wär das Zittern weg. Schön, aber dann kann ich nicht sehen, wer kommt.
Die Zeit schleicht. Matze blättert abermals im Programmheft. Wer ist eigentlich Amos Garret?, fragt er sich und liest nach: „Musiker vom Range Stevi Wonder, Mark Knopfler oder Elliot Easton meinen, Amos habe eins der zehn schönsten Gitarrensoli der Rockmusik gespielt, das auf Maria Muldaurs Hit ‚Midnight At The Oasis’…macht heute zeitlose, handwerklich meisterhafte und durch und durch ehrliche Musik…“ Oha“, resümiert Matze, es wird also was Gutes. Aber das allein baut ihn noch nicht auf. Nach einer Weile gibt er seine Wachpose auf, holt sich bei der schlanken Schwarzen hinterm Tresen ein weiteres Bier und schiebt sich schließlich durch die bereits fan-gefüllten Clubräume in den Konzertsaal. Rechts vor der Bühne, neben den monströsen Lautsprecherboxen, entdeckt er an der Fensterseite noch einen Sitzplatz auf der Podest-Stufe dieses schwarz gestrichenen Raums. Er nimmt den letzten, kräftigen Schluck aus der Flasche, spürt, wie seine Zerrissenheit zugunsten einer leichten biergeschwängerten Gelassenheit weicht und geht langsam auf den Platz zu. Die Frau, die neben ihm hockt, ist annähernd vierzig. Sie kommt ihm bekannt vor. Wann und wo? Matze weiß es nicht mehr. Sie unterhält sich ernst und wortführend mit zwei Männern etwa gleichen Alters und beachtet den jungen Typen, der neben ihr die Lücke schließt, nicht.
Die Band stellt sich vor. Matze schaut bühnenwärts in fünf zerknitterte Gesichter. Der Bandleader, denkt er sich belustigt, muss mit dem Pferd gekommen sein. John-Wayne-Verschnitt, irre komisch. Daneben, der Bassist, wirkt mephistohaft. Das ist irre gut gemacht. Der Mann ist einfach von grünem Licht überflutet. Teuflisch. Und der mit der Quetsche – nein! Der sieht aus wie ein versoffener, lebensgebeutelter Farmer, der in einer Hamburger Hafenkneipe verloren ging. Aber was für ein ehrliches Mienenspiel. Wahnsinn! Keine kalten Posen! Alte Leute brauchen keine Lügen mehr.
Matze kann sich nicht sattgucken und findet: Die Typen muten an, als wären sie einem Musik-Comic entsprungen. Und was sollen die Hawaiitöne zwischen dem eher rockigen Blues? Aber das ergibt einen verdammt irren Sound.
In Matzes Gemüt zieht ein Lächeln und die Band im späten Zenit spielt ihm langsam Rhythmus und Wärme in den Bauch. Die alten Blues-Country-Männer sind gut, so gut, dass sie die Leute nicht nur zuhören und mitstampfen lassen. Die Masse muss sich bewegen, sich hineintanzen in den Pulsschlag eines vertonten Schicksals – Trance. Keine Koketterie zwischen Bühne und erster Reihe.
In der Pause flitzt Matze zu Vonnys Wohnung, ein paar Ecken weiter in der Rykestraße. Hoffentlich glaubt sie nicht, ich will sie bedrängen. Nein, will ich nicht. Ich muss einfach meinen Fotoapparat holen. Puh, Alter, musst mehr rauchen, das keucht sich gleich viel besser. Ich werd‘ ihr sagen, keine Panik, ich brauche nur meine Knipse. Da sind faszinierenden Gesichter auf der Franz-Bühne, die muss ich einfach mal für mich festhalten. Das kennt Vonny. Meine Leidenschaft – etwas zu bewahren, wie in den ästhetischen Aktfotos von ihr. Solche Fotos gelingen nur, wenn‘s innen stimmt. Puh, nur noch die Treppen. Los, Alter, los!
Matze hastet die durchgetretenen Stufen des Hinterhauses hinauf. Sie knarren und das Geländer wackelt. Es riecht nach Katzen und Moder. Die undefinierbare Wandfarbe blättert sich wie Haut nach einem schlimmen Sonnenbrand. Nur die farbigen Türen stechen aus der schäbigen Kulisse, mal mit Aufklebern oder Postern versehen, andere sind wahrste Pinn-Wände: „Maike! Ich bin auf’m Kolli!“ „Jule, ruf mich an, Sveni!“… Botschaften der Bewohner und Mitteilungen für sie.
Schnaufend schließt er im vierten Stock die Wohnung auf und findet Vonny über Büchern vertieft. Keine Frage, weshalb sie ihn warten ließ, nur ein:
„Hallo! Ich such‘ nur meine Canon. Bin gleich wieder weg. Im ‚Franz‘ ist ein ganz fantastischer Blues.“
Die blasse Mädchengestalt im Lichtkegel einer Conti-Stehlampe, Modell 60er Jahre, verfolgt verdutzt hinter ihrer Nickelbrille Matzes hektisches Kramen im Bretterregal ihr gegenüber. Keinerlei Zuwendung, das verwirrt sie. Dann ist der Freund, den sie heute und demnächst nicht sehen wollte, ohne weitere Worte schon wieder zur Tür heraus, und sie war nicht einmal dazu gekommen, etwas zu ihm zu sagen.

Treppe im Hinterhaus Foto: Petra Elsner
Treppe im Hinterhaus
Foto: Petra Elsner

Als der Langbeinige atemlos den Club betritt, ziehen die Musiker den letzten Zug an ihrer zweiten Pausenzigarette und greifen nun wieder nach den Sinnen der Fan-Gemeinde. Matze ist zu seinem Platz zurückgekehrt. Er versucht sich nicht von den Klängen einnehmen zu lassen, zumindest bis er die Fotos im Kasten hat. Es gelingt ihm nicht. So schleicht er swingend dem Faltenspiel der lebensgezeichneten Seelenfänger entgegen. Als er nachdem von der Bühnenrampe den Sucher ins Publikum richtet, hat er plötzlich die reifere Frau im Visier. Sie tanzt. Jeder Muskel ihres Körpers nimmt die Klangwellen in sich auf und formt daraus natürliche, gleißende Bewegungen. Matze wird ganz warm von so viel nach außen gekehrtem Gefühl. Da ist auf einmal Vonny neben ihm und nimmt das gleiche Bild in sich auf. Schauen und fühlen. Das Tanzen der Frau und der Sound lösen in ihnen Verklemmungen. Matze legt den Fotoapparat beiseite und greift nach Vonnys Händen. Was tief in Vonnys Herzen vergraben und scheinbar mit Vernunft versiegelt, fließt in einen allessagenden Blues-Tanz, erst noch etwas steif hippelnd, dann geschmeidiger, Matthias wieder zu. Indem wachsen sie, sich der Musik hingebend, zu einem Körper mit vier Händen, Beinen, zwei Köpfen und einem Sinn.
Gegen zwei Uhr morgens treten die kanadischen Profis von der Bühne ab. Im Spiegelsaal thronen schon die Stühle auf den Tischen, aber ein paar Unermüdliche wollen noch nicht hinaus in die dunkle Stille der grauen Stadt … “ (pe)

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Berlins alte Haut: Das Tacheles

Das Tacheles an der Oranienburger Straße wurde in der 90er Jahrer von Künstlern aus aller Welt belebt. Es begann mit einer Torsobesetzung und wuchs zu einem gigantischen Kunsthaus mit dem Charakter einer Institution. 2012 wurde es zwangsgeräumt.

Tacheles von der Oranienburger aus. Foto: Petra Elsner
Tacheles von der Oranienburger aus.
Foto: Petra Elsner

Das Tacheles um 1992 Foto: Petra Elsner
Das Tacheles um 1992
Foto: Petra Elsner

Das Kino Camera im Torbau Foto: Petra Elsner
Das Kino Camera und Ateliers
Foto: Petra Elsner

Kneipe im Tacheles Foto: Petra Elsner
Kneipe im Tacheles
Foto: Petra Elsner

Blick von innen nach außen auf die Oranienburger Foto: Petra Elsner
Blick von innen nach außen auf die Oranienburger
Foto: Petra Elsner

Wertvolle Reste im Torso. Foto: Petra Elsner
Wertvolle Reste im Torso.
Foto: Petra Elsner

Das Tacheles von der Hofseite Foto: Petra Elsner
Das Tacheles von der Hofseite
Foto: Petra Elsner

 

Eine Tür zum Hof. Foto: Petra Elsner
Eine Tür zum Hof.
Foto: Petra Elsner

 

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Berlins alte Haut: Die Assel an der Oranienburger und die Spreeinsel

Die Assel an der Oranienburger Straße 21 war 1992 meine Lieblingscafékneipe, sie war die erste Szenekneipe nach dem Mauerfall an dieser Straße überhaupt …

Berliner Assel – Innenansicht.

Berlin Mitte im Wandel (notiert 2003)

Auf der Spreeinsel – bevor das Kanzleramt kam. Im Hintergrund die Charité.

Nirgendwo hat sich Berlin nach der Wende und der Vereinigung von Ost- und Weststadt so extrem verändert wie in Mitte. Während Mauerspechte das Sinnbild des eisernen Vorhangs in einen Schweizer Käse verwandelten, waren es Künstler aus 21 Ländern, die auf die östliche Mauerschneise zogen, um die „East Side Gallery“ auf 1,3 Kilometern an der Mühlenstraße mit über hundert Kunstwerken zu gestalten. Nur wenige Werke haben die Zeit überdauert, denn das Zeugnis der Teilung ist fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden. Man muss heute schon ins Museum Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße gehen, um dem politischen und menschlichen Drama des monströsen Grenzstreifens nachzuspüren.

Auf der Spreeinsel nach dem Mauerfall. Im Hintergrund  der alte Reichstag.

Selbst Einheimische hatten während der intensiven Bauzeit von Beginn der 90er Jahre bis in die Gegenwart am Potsdamer Platz, der Friedrichstraße und dem Regierungsviertel zuweilen erhebliche Schwierigkeiten sich noch zurechtzufinden. Denn die alten Orientierungspunkte im Stadtbild verdecken heute ungleich viele neue. Es findet sich kaum ein Ort, der nicht verwandelt wurde.

Dort, wo heute stolz das Kanzleramt thront, lag noch vor zwölf Jahren eine grüne Brache und dämmerte in der Zeit, als urplötzlich das Herz der Großstadt hier wild und arhythmisch schlug. Ein Experimentierfeld für Schrott- und Überlebenskünstler entstand.

Berlins Mitte, das einstige Machtzentrum, bot nach NS- und DDR-Zeit mit dem Mauerfall plötzlich kreative Spielplätze, über deren Ausmaß die keine deutsche Stadt mehr verfügte. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse und die verwaisten Plätze der Macht machten es möglich. So kamen auch hierhin Künstler aus aller Welt, um zwischen Spreebogen und Spandauer Vorstadt das Vakuum mit einem bunten Zwischenleben auszufüllen, dass heute immer noch die Touristen bei ihrem Bummel zum Kunsthaus Tacheles an der Oranienburger Straße vermuten. Doch die alternative Inszenierung hat sich mit der schicken Sanierung des Viertels verflüchtigt. Die Kunst- und Kneipenszene am Straßenland entlang der Oranienburger-, Tucholsky-,  August- und Gipsstraße ist nobel geworden. Und auch in den Hackeschen- und den Sophienhöfen steppt nun lustvoll der Luxusbär.  Diese neue Flaniermeile, nur einen Steinwurf von der altehrwürdigen Museumsinsel entfernt, läuft so zuweilen dem zu DDR-Zeiten erbauten Nikolaiviertel am Roten Rathaus als touristische Attraktion den Rang ab. Indes beleben die Kreativen der ersten Stunde nach dem Mauerfall andere Quartiere. Beispielsweise den Beusselkiez im Ortsteil Moabit (Tiergarten) oder die Soldiner- und Wollankstraße im Wedding. Stadtteile, die seit 2001 zum Großbezirk Berlin-Mitte gehören.

Es scheint so, als ebnete die alternative Kunst in der Stadt immer neue Lebenswege. Öde oder vernachlässigte Winkel erhalten durch sie einen Hauch von Stadtabenteuer. Das zieht Touristen, und jenen folgen auch hier gern Investoren nach. Jene letztere kann Berlin nicht nur am Postdamer-, am Pariser Platz und am Alexanderplatz gebrauchen. Denn mit der Gründung des neuen Großbezirkes gehören nun Stadtteile zusammen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Mag der Übergang von der alten Mitte durch das 2002 frisch sanierte Brandenburger Tor hinüber zum Tiergarten mit dem Reichstag, Siegessäule, dem Haus der Kulturen der Welt an der Spree, der Philharmonie und dem Kulturforum am Kemperplatz seidenweich muten. In den Wohnkiezen abseits vom neuen Hamburger Bahnhof mit seinem Museum für Gegenwart, dem neuen Hauptbahnhof Lehrter Bahnhof, dem Zoologischen Garten und dem Schloss Bellevue vollzieht sich noch zäh der Stadtwandel vom Industrie- ins Dienstleistungszeitalter. Die Osram-Höfe, als inzwischen begehrter Gewerbe- und Technologiestandort und das neue Gesundbrunnen-Center, einer der größten Berliner Einkaufstempel, sind einige Startzeichen dieser neuen Zeit. Schon rund zwei Drittel der Arbeitnehmer im Ortsteil Wedding arbeiten heute im Dienstleistungssektor. Aber noch ist gerade dieser Stadtteil vom anhaltenden Verlust industrieller Arbeitsplätze besonders betroffen. Gegen den Lehrstand und somit den Niedergang von intakten Stadtlandschaften, wirken im Tiergarten und Wedding fünf Quartier-Managements mit ihren Angeboten vornehmlich Arbeitslosigkeit und Konflikten zwischen den verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen entgegen.
© Petra Elsner

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Berlins alte Haut

Meine damaligen Milieustudien gaben später der Handlung die stimmige Kulisse. Hier mal ein kleiner Auszug aus dem Frühwerk und drei Fotos dazu, es ist 1. Mai im Kiez:

Hinterhofidylle 1 Foto: Petra Elsner
Hinterhofidylle 1
Foto: Petra Elsner

„… Die beiden tippeln von Mitte den seichten Anstieg hinauf zum Prenzelberg: Wilhelm-Pieck-Straße, Bergstraße, über den Pappelplatz, weiter rechts entlang auf der Invaliden, Veteranen, Fehrbelliner bis zur Kastanienallee, die auf die Dimitroffstraße/Ecke Schönhauser stößt. Sie pilgern gerne dort entlang, wo die zwei Kieze sich optisch kaum etwas nehmen und unmerklich ineinanderfließen. Es ist der Teil der Stadt, der immer noch nach Widerstand riecht. Ein Mythos schon fast, der stetig aus tausenden Essen quillt, unter denen die Menschen ihn weitergeben.
Obgleich kriegsentkernt, blieb die Enge. Sind die zwei-, dreifach geschlichteten Hinterhöfe, die lichtlosen, modrigen Orte, die ein gewisses Milieu gebären. Aber das weckt nicht in den beiden Stadtwanderern jene wehmütige Sympathie, die sie wieder und wieder hierher treibt.
Die Spuren der Bauspekulationen, die um die Jahrhundertwende wucherten, sind hier noch besonders krass allgegenwärtig. 1910 war Berlin die dicht besiedelte Stadt der Welt. Aber im Prenzlauer Berg hausten die Arbeiter, Handwerker, Schlafburschen, Logierer und Kostgänger hinter den schmuckreichen Vorderhauszeilen so zusammengepfercht wie nirgendwo: 30 000 Einwohner kamen hier auf einen Quadratkilometer. Als die späteren DDR-Städte überall monotone Betonquartiere umrändelten, zogen Intellektuelle in die vornehmlich dem Abriss geweihten verlebten Viertel. Und es gab Wohnungsbesetzungen, unspektakuläre, stille, weil das Warten auf eigene vier Wände den Menschen eine Geduld abverlangte, die selbst für ein betuliches DDR-Gemüt zu viel war.
Die Wehmut der jungen Männer rührt aus der Erinnerung an die sagenumwobenen Rotweinfeten bei Freunden, irgendwo in den Seitenflügeln und Hinterhäusern, meist vierter Stock. Uferlose Debattierabende, illegale Ausstellungen und Lesungen nie gedruckter Manuskripte. Matze und Hajo erlebten davon nur die trotzige Spätlese. Die Zeit war weit über ihren Zenit und doch stieg auch in diesen, in die DDR spät Hineingeborenen, besonders hier, die Lust auf, zu verändern, außerhalb des Gegebenen.
Darüber reden sie heute nicht. Matze fotografiert unterwegs. Er lugt in die Höfe, schaut verzückt auf die abgetakelten Fassaden und schwärmt immerzu.
„Diese Häuser leben noch richtig. Schau doch mal, die Kontraste, dort. Das glatte, frischgestrichene Haus sieht aus, als hätte es nichts gesehen. Aber dies hier, mit dem abblätternden Putz, das hat die Schönheit eines faltigen Gesichts. Jede Kerbe eine Geschichte.“

Hinterhofidylle 2 Foto: Petra Elsner
Hinterhofidylle 2
Foto: Petra Elsner

Er sucht nach Prachtstücken originaler Haustüren und deutet auf die Rundbögen darüber.
„Kannst du dir vorstellen, dass darin Leute gehaust haben?“
Hajo äugt hinauf und wundert sich. „Nee, kann man denn darin überhaupt stehen?“

Hinterhofidylle 3 Foto: Petra Elsner
Hinterhofidylle 3
Foto: Petra Elsner

„Na, du nicht! Aber das war den Leuten, die diese Entresol’s über den Toreinfahrten an Bedienstete vermieteten, wohl auch egal. Und wer weiß, wo wir in den nächsten Jahren mal landen werden. Ich kann mir ja jetzt schon meine Bude eigentlich gar nicht mehr leisten. Weißt du, einer meiner schlimmsten Alpträume ist die Vorstellung, einmal so zu enden, wie die Obdachlosen am Bahnhof Zoo.“
Hajo nickt stumm. Er kennt diese Furcht. Die Zukunft ist nicht berechenbar.
Auf dem Helmholzplatz sammeln sich eben etwa 500 Kids. Matze ist erstaunt: „Was wird denn das?“ Hajo zuckt ebenso verwundert mit den Schultern. Sie bleiben beobachtend am Rand, während Vierzehn- bis Sechzehnjährige mit schwarzen Sprayflaschen bewaffnet irrwitzig flink hin- und herhasten und die angrenzenden Straßenschilder übersprühen. Minuten darauf sind sie wieder bei dem Kids-Pool, der sich langsam und gemütlich die Schliemannstraße hinunter bewegt. Kichernd, albernd, sehr dicht beieinander.
Die drei BGS-Wagen bleiben am Platz. Plötzlich rennen die Kids los. Auf der Schönhauser krachen Fensterscheiben, dann scheppert es überall in der Allee. Durch die Straße ergießt sich augenblicklich eine Wutwelle, die einen wüsten Scherbenteppich hinterlässt. Dann Stille und der Asphalt ist menschenleer.
Hajo und Matze sind den Massen langsam gefolgt und stehen unbeweglich und völlig verdattert.
„Gibst doch gar nicht! schreit Hajo. „Kiek doch mal, die haben die ganzen Westläden plattgemacht.“
Sirenen heulen auf. Da die Schönhauser durch Baustellen verstellt ist, mussten die drei BGS-Wagen einen riesigen Bogen fahren und waren nun auf der Kopenhagener Straße vernehmbar. Es wird höchste Zeit, dass sich die beiden Augenzeugen verdrücken. Sie wetzen in den nächsten Hauseingang hinauf zum Dachboden und klettern schnaubend hinaus ins Freie, balancieren zum nächsten Schornstein des Eckhauses und beobachten, was in den zwei tiefen Straßenschluchten geschieht. Die Kidsdemo hat sich in die Stargarder zurückgezogen und prophylaktisch ein paar kleine Barrikaden aus Bauschutt hinterlassen. Von der Dunkerstraße steigt inzwischen Rauch auf. Matze und Hajo steigen wieder ab. Sie können die Szene nicht mehr einsehen. Die Polizisten stehen jetzt am Anfang der Dunker und zögern einen Moment. In der Straße brennen Benz‘ und Porsches.
Die Polizei hatte die Kiezankündigung nicht ernstgenommen. Meinte offenkundig, in der üblichen Kreuzberger Erste-Mai-Schlacht Einsatzpriorität. Nun, da sie sahen, was hier zu Bruch ging, fordern die Männer in West-Grün Verstärkung an. Die kommt prompt. Man rückt ein in die graue Stadtzeile. Aber auch diese Straße ist inzwischen verwaist. Wo ist der Feind? Der kindliche Feind ist über die Höfe geflitzt und taucht über jahrhundertalte Insider-Schleichwege im Rücken der Uniformierten mit Indianergeheul auf: „Blilülülülüühhh!“ dröhnt es frech-vorwitzig und zugleich bersten überall im Kiez die Scheiben der Westläden. Verkümmerte Ost-Konsum-Verkaufsstellen, Trabis und die Wohnungsfenster bleiben einzig im Ganzen.
Die grünen Männer kriegen das Kommando: „Kehrt und Laufschritt!“ Und ihre Stiefel übertönen den Krach in der Ferne, wo schlagartig Ruhe und niemand mehr auszumachen ist. Das Polizeikommando reagiert nervös, man fühlt sich verarscht und genau das werden sie auch. Außerdem können sie der weiter nachrückenden Verstärkung nicht mitteilen, wo sie sich derzeit befinden, denn Schilder tropfen auskunftslos schwarz vor sich hin.
Indes haben sich die Kids dezentral in Richtung Kolli zurückgezogen, wohin auch Matze und Hajo auf verschwiegenen Wegen unterwegs sind.
„Tja, eindeutig Heimvorteil!“, kommentiert das Matze aufgekratzt. Am Kolli eingetroffen, gähnen die Caféhausstühle unter freiem Himmel noch vor sich hin, doch die zwei haben kaum ihre Bestellung aufgegeben, da huschen von überall her kleine, abgehetzte Gestalten und bevölkern verschnaufend die Straßen-Cafés. Ein Aufatmen weht über den Kolli.
Zehn Minuten später, als alles gelassen Cola, Fanta oder Tee trinkt, ist der Platz von 2000 Polizisten abgeriegelt. Wasserwerfer und Räumtechnik schinden starken Eindruck.
Ein Stadtreporter von 100,1 trifft ein und befragt sich live vor seinen Hörern:
„Also ich weiß gar nicht, was hier los ist. Ich sehe ein gewaltiges Polizeiaufgebot, aber rund um den Kollwitzplatz sind nur lauter friedliche, jugendliche Caféhausgäste auszumachen. Sehr merkwürdig. Wirklich, ich kann die geballte Uniformpräsenz gar nicht verstehen!“ …“

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Berlins alte Haut: Zwischen Schrott und Stein

Anfang der 90er Jahre war ich mit der Kamera in Berlins Herzen unterwegs. Zu Recherchen für mein erstes Buch „Glatze und Palituch“ oder wie die Griechen (die es schlussendlich druckten) es später nannten „Ausgegrenzte Generation“.
Dieses Kunsthaus im Foto unten aus der Auguststraße flaggte etwas symbolträchtiges für mich. Ich fühlte mich angestiftet. Was waren wir wach in diesen Tagen, schlaflos fast ein ganzes Jahrzehnt. Einen kleinen Teil dieser Bilderblicke, möchte ich Euch hier zeigen. Alles noch selbst entwickelt  …
Am Ende des Jahres war das Buch geschrieben und aus den Schnappschüssen wurde eine eigenständige Ausstellung in der damaligen Galerie „Im 3. Stock“ des Scheunenviertel e.V. in der Rosenthaler Straße 38 (VH).
Mit dem Fotografen Ulrich Burchert zeigte ich Kiezleben aus zwei verschiedenen Jahrzehnten. Zwei Bild-Essays zur Renaissance, zum Wandel und Vergehen des ältesten Berliner Kiezes „Spandauer Vorstadt“.  Burchert stellte Bilder aus, die die 70er Jahre im Hinterhof vorstellten, ich die Momente eines Schwebezustandes oder Zwischenlebens, bizarr wie die Zeit. „Kunstzeit zwischen Schrott & Stein“ hieß die Schau …

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