Der wilde Garten (1)

Öffentliches Schreiben einer Geschichte.

Vorab: Dieses Schreiben wird langsamer voranschreiten, denn für diese Geschichte will ich mehr zeichnen als gewöhnlich. In den nächsten Tagen reisen wir ins Erzgebirge. Auch daher wird es  ein kurzes Weilchen hier keinen Zuwachs geben, aber schaut, soweit bin ich inzwischen:

Die Stille wisperte verschlafen und es war ihr, als würde dort jemand auf sie warten. An diesem dunklen Morgen entschied sich Lene, die reale Welt zu verlassen. Sie stieg aus der Rüstung und lief leichtfüßig, nur mit einem blauen Seidenhemd bekleidet, hinaus in den wilden Garten. Vorbei an den Holunderbüschen und den Kopfweiden. Aus den Kräuselblättern winkten ihr seltsame Wesen zu. Kleine fledermausartige Gestalten, bunt wie der Herbst. Auf der Mooswiese nah am Wald musste sie verschnaufen. Das Moos leuchtete samtig und der mächtige Haselnussstrauch wedelte mit seinem goldenen Laub. Es war weit im Oktober und doch noch sommerlich warm, aber wie lange noch? Sie wollte es nicht weiter bedenken, aber wie sie da so stand, fragte sie das Rotkelchen. „Wohin willst du so leicht bekleidet, Frau Lene? Der Nordwind wird doch bald eintreffen.“
Lene trat näher an den Vogel heran und streichelte sanft sein Gefieder: „Ach, ich bin so müde vom schweren Tragen.“
Das Rotkelchen zupfte sich drei Flaumfedern und sprach: „Schau, sie sind ganz leicht, aber sie werden dich wärmen, wenn es nötig wird.“ Lene dankte und ging weiter. Aus dem Unterholz knurrte es und Lene dachte, ach, Herr Dachs, gib nicht so an, aus dir wird nie ein Bär. Sie lächelte still in sich hinein als plötzlich eine eisige Böe durch das Gartenland jagte und alles schwärzte, was eben noch grün war. Lene schlotterte in ihrem dünnen Hemd. Schnell drückte sie die drei Flaumfedern fest an ihr Herz und schlagartig vermehrten sie sich und wuchsen zu einem dichten Federkleid. Jetzt konnte sie gehen, wohin sie wollte. Vom Fuß der Efeuhecke her hörte sie ein müdes Gähnen. Lene bückte sich und sah einen dicken Troll, der sich unter einem Moosbatzen zur Ruhe legte. Gleich daneben, kroch ein Igel in einen Blätterhaufen. Ein paar Elfchen flirrten noch im Strauchwerk, aber all die Kröten, Schlangen und die Regenwürmer krochen jetzt unter dem Steinhaufen tief in die Erde. Mit der nächsten Böe fegten die braunen Kräuselblätter vorbei, darin juchzten die bunten Flederwesen und riefen: „Komm mit, wir kennen einen Unterschlupf!“ Aber sie waren viel zu schnell, Frau Lene konnte ihnen nicht folgen. Fliegen müsste man können, dachte sie. Aber was war das? Ihr Hals, die Schultern, Arme, ihr ganzer Körper begannen zu jucken. Es war, als wollte etwas aus ihrer heraus und plötzlich begann sie zu wachsen und zu schrumpfen zugleich. Große, rote Flederarme wuchsen ihr, während ihre Gestalt klein wie ein Vogel wurde. Wie konnte das sein, wurde wahr, was sie gerade dachte? Ungeheuerlich. Aber als sie die Flügel hob, segelte sie mit dem nächsten Luftzug in die Höhe. Eine taumelnde Freude trug die Flederlene hoch in die dicken Schneewolken…

Und hier geht’s zurück zum Adventskalender.

Morgenstunde (750. Blog-Notat)

Druckfrisch 2022

Hey, es gibt noch Zeichen und Wunder! Eben druckfrisch aus der Post gezogen. Der Verlag hat mich überrascht. Das Projekt war zwar avisiert, aber x-mal verschoben… Gesehen hatte ich vor Drucklegung nichts. Das war heute mal ein echter Nikolaus. Drei Geschichten stecken drin: „Das Haus der 24 Fenster“, „Stallweihnacht“ und die Neujahrsgeschichte „Der wilde Ritt“. Kleinfein und sie kosten nur 4 €. Ich jedenfalls hocke hier mit einem wirklich ganz breiten Grinsen😊. Ist in diesem Krisenjahr doch noch etwas geworden…

Erschienen bei: Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder, ISBN: 978-3-949557-11-8

Und hier geht’s zurück zum Adventskalender.

24 Tage im Advent

Letztes Jahr habe ich meinen ersten Weihnachtliteraturkalender in diesem Blog veröffentlicht. Wer mag, kann dort noch einmal hinsehen, denn ich werde mich hier nicht wiederholen. In diesem Adventskalender befinden sich natürlich ebenfalls Weihnachtsgeschichten, aber auch Wintermärchen, Auszüge aus verschiedenen Erzählungen, Dezembergedichte, Erinnerungen und weihnachtliche Rezepturen 😊. Viel Spaß beim Schmökern unter den Kalenderlinks.

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Der Link unter dem 5. Dezember führt leider ins Leere. Die Seite ist gelöscht, aber was draufstand, ergänze ich hier:

Das Weihnachtsnaschwerk Honig-Naute

Adventszeit entlang der Oder, dazu gehörte noch vor 70 Jahren die Honig-Naute. Das leckere Lutschwerk ist eine der Märkischen Rezepturen, die beinahe vergessen ist. Gut, dass meine Tante Christa sich noch daran erinnert, wie sie als Kind ganze Berge von Naute-Stangen oder -Täfelchen wegschleckte. Das Stück für einen Pfennig. Vielleicht wird ja Honig-Naute auf den hiesigen Weihnachtsmärkten wieder einmal zu einer regionalen Spezialität. Einst war sie jedenfalls so selbstverständlich wie der Bratapfel oder Lebkuchen.

Was dazu gehört? 100 Gramm weißer Mohn, 100 Gramm dunkler Mohn, 100 Gramm gemahlene Haselnüsse, 100 Gramm gemahlene Mandeln, 1 Teelöffel gemahlene Nelken, eine Prise weißen Pfeffer und etwa 220 Gramm Honig.

Den Mohn in kochendem Wasser kurz aufquellen lassen und zum weiteren Quellen von der Flamme nehmen. Den Mohn dann absieben und danach mit den genannten Zutaten unter andauerndem Rühren aufkochen. Anschließend wird die kochend heiße Naute auf einem großen, feuchten Küchenbrett ausgegossen. Wenn sie leicht abgekühlt ist, die Masse gleichmäßig ausrollen und in kleine Täfelchen schneiden (Messer nach jedem Schnitt in Wasser tauchen). Ja, und nach dem Abkühlen kann das große Naschen schon beginnen.

 

Eine Geschichte entsteht…

Öffentliches Schreiben:

Der Elfenschrat (2)

… „Oh, bist du der Elfenschrat, über den man in diesem Haus so oft spricht?“ Das Auge blinzelte, als wollte es nicken. „Weißt du, wie man dich aus diesem Holz befreien kann?“, fragte Hermine aufgeregt. Leise knarrte nun die Stimme aus dem Holz: „Du musst im Morgengrauen, kurz vor Sonnenaufgang, in den Garten gehen, um dort deine Augen, deine Ohren und dein Herz zu öffnen. Nur so kannst du die wundertätigen Elfen sehen und sie bitten, mich aus diesem Bann zu befreien.“
„Oh, ich bin dort draußen noch nie einer Elfe begegnet, bist du sicher, dass du dich da nicht irrst?“
„Mit einem Zweifel wird das nichts, es geht nur mit offenen Sinnen. Mich hast du doch auch entdeckt“, raunte der Elfenschrat und schloss müde das Auge.
Hermine stieg zurück in ihre Dielenunterwelt, steckte sich die buntkarierten Kopfkissenzipfel in die Ohren, um das Knarren zu dämpfen. Jetzt halten die Elfen sowieso Winterschlaf, dachte die Hausmaus. Vor dem Frühling würde sie dem Elfenschrat nicht helfen können. Während sie den Gedanken mit in ihren Traum nahm, flüsterte ihr die Stimme aus dem Holz hinterher: „Winterschlaf? Was für ein Unsinn! Die Welt der Elfen hat nichts mit der realen Zeit zu tun. Geh‘ hinaus in den Winternebel und sieh‘ genau hin.“
Am nächsten Morgen versank der Tag im dichten Nebel. Hermine lief hinein und versuchte etwas zu entdecken, Nein, sie sah nichts, aber sie spürte etwas. Nur was? Die lebendige Natur, die immer nach Heilung strebt. Und Hermine sprach mit großem Herzklopfen: „Hast du den Elfenschrat vergessen? Er steckt in der alten Eichentür und kann seit hundert Jahren nicht heraus. Bitte hilf ihm!“ Da knisterte und funkelte der Nebel und strömte auf das Winterhäuschen zu, kroch durch die Ritzen und weichte den Elfenschrat aus dem Holz. Kaum später trug der milchige Schwaden den alten Elf mit sich hinaus in den dunklen Wald, aus dem man manchmal sein knarrendes Lachen hört.


© Petra Elsner

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Eine Geschichte entsteht…

Öffentliches Schreiben:

Der Elfenschrat (1)

Das Winterhäuschen knarrte und knisterte im ruppigen Novemberwind, und die Türschwelle wuchs wieder ein bisschen in der kalten Feuchte. Dadurch knarrte das Türöffnen so mächtig, als wollte ein Elfenschrat dem Holz entspringen. Einer, der schon hundert Jahre in dem Holz wohnt und darüber klagt. Plattgeschlagen von einer alten Eiche im Schorfheidewald. Er hatte den Waldarbeitern beim Baumfällen und Köhlern zugeschaut, und just, als diese Eiche fiel, war er nicht achtsam genug. Da hat es ihn hineingepresst in dieses Holz – auf Ewigkeit. Immer, wenn es Winter wird, jammert der Elfenschrat besonders laut aus diesem Holz.
Wenn ich sein Abbild finde, kann ich ihn vielleicht erlösen, dachte sich die Hausmaus Hermine unter den Dielen, denn dieses Schrammen war ihr einfach zu laut.
Sie kroch durch das Loch neben dem Heizungsrohr in die Oberwelt und besah sich die schnarrende Pforte. Es war tiefste Nacht, längst schliefen die Hausbewohner tief und fest, nur Hermine konnte kein Auge schließen. An einer Fuge kletterte sie aufwärts und besah sich Schritt für Schritt die Maserung der alten Eichentür. Irgendwo muss es ihn doch hineingepresst haben. Eine Mausbreite aufwärts, eine Mausbreite abwärts und so weiter, Stückchen für Stückchen hangelte sie sich auf und nieder. Die Maus kam ins Schwitzen, doch sie hatte gerade erst die Hälfte der Tür genau inspiziert, als es plötzlich kicherte. „Nicht, das kitzelt doch!“ Hermine hielt inne und kletterte vorsichtig ein paar Schritte zurück: „Wo steckst du?“ Offenbar war sie zu nahe dran, um gut zu sehen. „Hi, hi, hi, hi.“, kicherte es wieder, und Hermine entdeckte ein uraltes Auge, das schlaff blinzelte…

Morgenstunde (714. Blog-Notat)

Dieser Tage kommt allenthalben etwas vorbeigeflattert. Am Freitag ein Eimer voll Birnen, am Samstag ein Sack voll Riesenäpfel. Die Geschenke aus der Nachbarschaft füllen gut meine Erntelücken 😊, denn von unseren kindlichen Obstbäumen werden wohl erst die Nachfahren richtig ernten können… Aber offensichtlich gibt es diese ausgleichende Gerechtigkeit. Danke Regina, danke Maren 😊!
Es herbstelt energisch, wir frösteln, müssen schon kurzweilig heizen, ist eben Jackenwetter. Morgen fahren wir auf einen Nachmittag zu Freunden in die Nähe des Dammsees. Da wird es auch klamm sein in dem alten Katen im Wind. Aber Steine können wir auf dem Rückweg sammeln: Trittsteine und Steine für Trolle😊. Das nächste Dorf hinter Bühlowsiege liegt schon Mecklenburg. Keine Stunde bis zur Küste. Ans Meer – dahin zieht es uns. In gut einer Woche brechen wir dorthin auf, für drei Tage – Seelenstreichler, es wird Zeit dafür…

Der Goldene (3)

Öffentliches Arbeiten – der Schluss.   

…Vor Kälte zitternd fand ihn der Rabe. „Du gehst sehr leichtsinnig mit meinen Geschenken um!“, schimpfte der Vogel. „Den Glanz der goldenen Blätter sollst du in die Welt tragen, um den Menschen vor der kargen Winterzeit noch eine pralle Freude zu bringen. Du hast ihn nicht bekommen, um dich darin allein zu sonnen!“ Der Rabe war höchst ärgerlich und murrte vor sich hin. „Wie kann man nur so seinen Daseinsgrund verpennen, nein aber auch!“  Aurel schlotterte und ihn packte die Scham als er bat: „Verzeih mir bitte, es soll nie wieder vorkommen.“ Da rief der Rabe nach seinen Brüdern vom goldenen Reif. Gemeinsam zupften sie sich die Farben des Jahres aus dem Gefieder und schenkten dem Herbstmann daraus ein neues Gewand, dessen Pracht mit ihm in die Landschaft wehte. Spät zwar, aber besonders schön.

Der Goldene. Hier die ganze Geschichte im Zusammenhang:

Der bunte Schläfer drehte sich noch einmal in seinen Wolkenkissen auf die Herzseite. Ein Zwielicht streichelte sein funkelndes Haupt. Es konnte ihm noch nicht flüstern, ob der Tag noch Sommer oder schon Herbst werden wollte. Nachts hatte es den ersten Frost gegeben und die Hirsche röhrten majestätisch im kalten Mondlicht. Doch Aurel fühlte sich nicht gerufen. Er schlummerte genüsslich, wie alle jene, die gerade den Wecker ausgeschaltet haben, um sich noch eine kleine Zugabe zu gönnen. Längst müsste der Herbstmann walten, denn der September war weit vorangeschritten und die Herbstsonne stand schon tief.
Der Hüter des Jahres war besorgt und stieß seinen Rabenreif an. Die vier Raben erwachten, reckten ihre Köpfe und krächzten: „Was ist zu tun?“ Der Maigrüne, der Mohnrote, der Goldene und der Schneeweiße sahen erwartungsvoll zu ihrem Herrn. Der raunte ernst: „Goldener, dein Herbstmann verschläft seinen Auftritt. Du musst ihn aufstöbern, damit er seine Aufgaben verrichtet. Spute dich, es eilt!“
Der Rabe erhob sich sogleich und spähte bei seinem Flug nach Aurel zwischen all dem bunten Laub auf der Erde. Irgendwo dort unten musste er doch stecken. Aber der Herbstmann schlief noch in den Wolken. Sein Blattgewand färbte sich indes von Rot zu Orange und schließlich golden. Das war die Zeit, in der Aurel besonders gefährdet war, denn sein Glanz weckte Begehrlichkeiten, was er sehr bald zu spüren bekommen sollte. Am Horizont zog ein wildes Wetter auf und in dem Sturm jagten die Wolkenreiter nach allem was edel funkelte. Das Windrauschen weckte den Schläfer, aber schon stachen die Blitze der Wolkenreiter nach seinem Blattgoldgewand. Kaum, dass er sich erheben konnte, hatten sie ihm seine ganze Pracht entrissen und ließen ihn vollkommen nackt zurück.
Vor Kälte zitternd fand ihn der Rabe. „Du gehst sehr leichtsinnig mit meinen Geschenken um!“, schimpfte der Vogel. „Den Glanz der goldenen Blätter sollst du in die Welt tragen, um den Menschen vor der kargen Winterzeit noch eine pralle Freude zu bringen. Du hast ihn nicht bekommen, um dich darin allein zu sonnen!“ Der Rabe war höchst ärgerlich und murrte vor sich hin. „Wie kann man nur so seinen Daseinsgrund verpennen, nein aber auch!“  Aurel schlotterte und ihn packte die Scham als er bat: „Verzeih mir bitte, es soll nie wieder vorkommen.“ Da rief der Rabe nach seinen Brüdern vom goldenen Reif. Gemeinsam zupften sie sich die Farben des Jahres aus dem Gefieder und schenkten dem Herbstmann daraus ein neues Gewand, dessen Pracht mit ihm in die Landschaft wehte. Spät zwar, aber besonders schön.

© Petra Elsner

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Der Goldene (2)

Öffentliches Arbeiten: Ein Märchen entsteht:

…Der Rabe erhob sich sogleich und spähte bei seinem Flug nach Aurel zwischen all dem bunten Laub auf der Erde. Irgendwo dort unten musste er doch stecken. Aber der Herbstmann schlief noch in den Wolken. Sein Blattgewand färbte sich indes von Rot zu Orange und schließlich golden. Das war die Zeit in der Aurel besonders gefährdet war, denn sein Glanz weckte Begehrlichkeiten, was er sehr bald zu spüren bekommen sollte. Am Horizont zog ein wildes Wetter auf und in dem Sturm jagten die Wolkenreiter nach allem was edel funkelte. Das Windrauschen weckte den Schläfer, aber schon stachen die Blitze der Wolkenreiter nach seinem Blattgoldgewand. Kaum, dass er sich erheben konnte, hatten sie ihm seine ganze Pracht entrissen und ließen ihn vollkommen nackt zurück…

Der Goldene (1)

Öffentliches Arbeiten: Ein Märchen entsteht….

Der bunte Schläfer drehte sich noch einmal in seinen Wolkenkissen auf die Herzseite. Ein Zwielicht streichelte sein funkelndes Haupt. Es konnte ihm noch nicht flüstern, ob der Tag noch Sommer oder schon Herbst werden wollte. Nachts hatte es den ersten Frost gegeben und die Hirsche röhrten majestätisch im kalten Mondlicht. Doch Aurel fühlte sich nicht gerufen. Er schlummerte genüsslich, wie alle jene, die gerade den Wecker ausgeschaltet haben, um sich noch eine kleine Zugabe zu gönnen. Längst müsste der Herbstmann walten, denn der September war weit vorangeschritten und die Herbstsonne stand schon tief.

Der Hüter des Jahres war besorgt und stieß seinen Rabenreif an. Die vier Raben erwachten, reckten ihre Köpfe und krächzten: „Was ist zu tun?“ Der Maigrüne, der Mohnrote, der Goldene und der Schneeweiße sahen erwartungsvoll zu ihrem Herrn. Der raunte ernst: „Goldener, dein Herbstmann verschläft seinen Auftritt. Du musst ihn aufstöbern, damit er seine Aufgaben verrichtet. Spute dich, es eilt!“…

Kerzen in der Stadtbahn (4)

Öffentliches Schreiben einer Kurzgeschichte:
Er hatte sich verspätet, Irenes Schutzengel. Er war nie wirklich so pünktlich, wie er sollte. Auch unter den Engeln gab es nachlässigere Gewächse. Doch glücklicherweise hatte das Mädchen die Heilige Nacht allein überstanden und nun war er an ihrer Seite. Unsichtbar saß er im Sessel in der Leseecke und wachte.
Irene lugte in den duftenden Stoffbeutel, frische Schrippen und eine Streuselschnecke. Wunderbar! Sie liebte diese tellergroßen Schnecken. Das Mädchen schloss das Fenster und sah, unten auf dem Gehweg schlenderte Herr Kronberg. Ob er den Beutel an die Tür gehängt hatte? Egal.
Irene frühstückte und sprach mit vollem Mund mit dem Schreibblock:
„Moin, moin, schmeckts Euch auch?“
Wieder räusperte sich die väterliche Stimme und erklärte: „Deine Mutter hat Früchtebrot gebacken. Ist köstlich wie jedes Jahr.“
„Oh, Mann, Früchtebrot! Aber stellt euch mal vor, heute Morgen hat mir jemand ganz frische Schrippen und eine Streuselschnecke an die Tür gehängt – in einem wunderschönen Stoffbeutel.“
„Du weißt nicht von wem die sind und isst sie?“
„Ja, Mama, sei nicht so vorwurfsvoll. Es hat nur jemand an mich gedacht. Vielleicht der nette Herr Kronberg, der nebenan eingezogen ist.“
„Die Wohnung nebenan ist unbewohnt. Gesperrt wegen Rohrbruch, der den ganzen Fußboden ruiniert hatte. Dieser Herr Kronberg ist -,“ die Mutterstimme brach ab und Irene trieb ein Verdacht hinaus aus der Wohnung. Sie sprang die Treppe hinauf in den dritten Stock und klingelte bei Familie Krause. Die Nachbarin öffnete: „Ah, Irene. Frohe Weihnachten.“
„Ja, frohe Weihnachten. Frau Krause, ich will nicht stören, nur eine Frage: Ist in der Wohnung neben uns ein neuer Mieter eingezogen?“
Die Krause schüttelte den Kopf. „Die Wohnung muss erst saniert werden. Wenn da einer reingeht, dann ist er vielleicht von der Versicherung oder ein Klempner.“
Irene setzte düster nach: „Oder – einer von der Firma.“
„Wer weiß“, murmelte Frau Krause verhalten. „Ist sonst noch was?“
„Nein danke.“ Die Tür schloss sich wieder und Irene, wusste plötzlich nicht, was sie tun sollte. Wut stieg in ihr auf. Der hatte sie einfach frech angelogen. Sie klingelte Sturm bei Kronberg, aber niemand öffnete.

Sie hastete zurück in die elterliche Wohnung zu ihrem Blockdialog. Sie schrieb und sprach: „Mama, ich glaube, der Kronberg ist mein Schatten!“
„Und von dem nimmst du Brötchen an?“
„Sie sind von mir“, flüsterte der Engel. Irene sah erschrocken in die Leseecke. Dort war nichts. „Werd‘ ich jetzt irre, wer spricht da?“, schrie sie in den Raum. Da schimmerte der Engel in seiner Gestalt. Lessig saß er da in einem grünen Kapuzenmantel. Braune Locken fielen bis zu seinen schmalen Schultern und er schaute mit einem sanftmütigen Blick, der Irene an ihren Lieblingsbeatle George Herrison erinnerte.
„Mir wurde gesagt, mit Streuselschnecken kann man dich trösten. Ich bin Raphael und werde über Weihnachten Dein Schutzengel sein.“
Für Irene war das im Augenblick alles ein bisschen viel. Missgestimmt fragte sie barsch: „Und, wo warst du gestern?“
„Ich hatte verschlafen.“
„Die Heilige Nacht?“
„Ja.“
„Na sowas.“
„Wenn ich störe, bleibe ich unsichtbar.
„Ja, bitte.“
Der Engel atomisierte sich und Irene tippte mit dem Stift auf ihren Schreibblock: „Vati, Mama, ich bin nicht mehr allein. Ich habe jetzt einen Schatten und einen Engel.“ Der Schreibblock schwieg.

Sie musste raus. Abends fuhr Irene wieder S-Bahn und sprang von Wagon zu Wagon. Sich an Leuten sattsehen und ihnen Kerzenlicht spendieren. Diesmal war es schwieriger ihre Weihnachtslichter unbemerkt aufzustellen. Himmel und Menschen waren unterwegs und schleppten Geschenke von A nach B. Doch Irene fand stets diesen kleinen unbemerkten Moment oder war da wer, der sie abschirmte? „Raphael?“ flüsterte sie. Der Engel stand direkt neben ihr und lächelte. Und da noch einer, der sie beobachtete. Dieser Kurt Kronberg. Als sie ihn entdeckte, kam er auf sie zu und reichte ihr wieder ein Telegramm. „Sie sind wohl unter die Briefträger gegangen?“ zischte ihn Irene an. Dann las sie unter Freudentränen: „Komme morgen mit dem Zug, Mama“. Der Schatten verschwand, der Engel aber begleitete sie durch die Nacht.
                                                                         ***
© Petra Elsner

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