Der Spuk in der Tanne – der 4. Akt

Der Spuk.

Die kleine Stadt erwachte langsam. Flocken wirbelten. Ein Mann schlich um die Tanne und lauschte, ob sich darin etwas regte. Es war ihm, wäre etwas in ihr Unterholz gehuscht, schnell wie ein Luftzug. Fridolins Augen suchten hellwach die Dunkelheit ab. Dort, bei den Blumenkübeln, entdeckte er einen zweiten Wachmann. Und weiter hinten noch einen und dahinter noch einen. Bewegliche Schatten, die offenkundig den Marktplatz beobachteten. Die Schritte knirschten nicht mehr im Schnee.  Der Mann in Fridolins Nähe blieb stehen. Klein und kahlköpfig. Just dort, wo gestern das Eichhörnchen seine Vorräte vergraben hatte. Fridolin wartete, aber der Wächter bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Er  passte auf, dass niemand mehr unbemerkt über das Marktgelände spazierte.

Gut, dass in dem Baum noch andere Leckereien hingen. Fridolin kletterte von Astetage zu Astetage, knabberte hier an Schockladenplätzchen, dort an roten Äpfeln, ganz unten fand er Leons goldene Nüsse: Oh, wie wunderbar, dachte der kleine Nager und knackte eine Schale nach der anderen. Die übrigen versteckte  Fridolin diesmal in den Balkonkästen des Hauses gleich hinter der Tanne. Es war mit einem kleinen Eichkatersprung locker zu erreichen,  ohne  dass er auf das Steinpflaster hinabsteigen musste.

Am Nachmittag schlenderte Leon mit seinen Freunden von der Kinderfeuerwehr über den Adventsmarkt. Von Tag zu Tag kamen immer mehr Händler mit weihnachtlichen Waren. Darunter auch Handwerker, die ihre Künste vorführten. Auch Rudi Sonne, war unter ihnen und bot sich als Porträtzeichner an. Leon wollte ihm dabei zusehen.  Als die Kindergruppe bei der Tanne ankam, fragte jemand: „ Habt ihr  wirklich alle hundert Nüsse neu vergoldet und angehängt, du und der Maler, ganz allein?“ Leon nickte. Sein Blick suchte jetzt die Tanne ab. Wo waren sie nur. Aufgeregt lief er um den ganzen Weihnachtsbaum herum. Nein, nicht eine einzige konnte er noch finden. Leon stand und prustete: „Jemand hat meine Nüsse geklaut!“ Alle Augen richteten sich nun auf das Kind. Die Blicke fragten: Wer? Wo? Was? Warum? Aber als sie Leon, den Tollpatsch,  entdeckten, lächelten die Leute nur milde. Gewiss hatte er sie nur wieder verloren.  Die Feuerwehrkinder aber schauten nicht so entspannt: „Erst lässt du unsere Goldnüsse vom Laster zermalmen, und dann schwindelst du uns obendrein noch an“, sprach  einer aus, was alle dachten. Leon drehte sich blitzartig ab und rannte zu Rudi Sonne: „Jemand hat unsere Nüsse gestohlen!“ Der Maler hob die Brauen: „Wie jetzt, unsere Goldnüsse, alle?“ „Alle hundert, wer macht denn  so was?“, schluchzte das Kind. „Und meine Kameraden glauben mir kein Wort mehr!“ Leon sah den Malerfreund so herzergreifend an, dass jener vorschlug: „Komm heute Abend zu mir, wir zaubern zusammen noch einmal neue Goldnüsse und hängen sie morgen Nachmittag mit deinen Freunden gemeinsam auf!“

Diesmal ging alles viel schneller, denn der Maler hatte einfach flüssige Goldfarbe auf den Tisch gestellt, in die er mit Leon Nüsse tauchte. Wieder waren es genau hundert Stück, nur nicht ganz so leuchtend und edel wie jene, die mit Blattgold belegt waren. Die trockneten sehr bald draußen auf dem Balkon. „Hoffentlich stibitzt die nicht wieder jemand!“, wünschte sich Leon.

Fridolin beim Nüsse mausen.

Die Beiden saßen zufrieden beim Tee und schauten hinaus in das Winterdunkel, als plötzlich Fridolin auf dem Balkon auftauchte. Zwischen seinen Zähnen hielt er eine Nuss, natürlich eine  goldene …

Der Spuk in der Tanne – der 3. Akt

Fridolins Herz raste,  und die ganze kleine haarige Gestalt zitterte.  Noch immer saß ihm der Schock in den Knochen, selbst als der Baum zur Ruhe kam. Was war geschehen? Das kleine Eichhörnchen schlief fest in seiner Höhle, als die Holzfäller nächtens Flutlicht auf die Tanne richteten. Alles ging blitzschnell: Eine Motorsäge jaulte auf,  sie schnitt einen Keil in den Fuß des Baumes, dann legte sich Fridolins allerschönste Tanne krachend um. Im Fallen dachte der Eichkater noch, sein letztes Stündlein habe geschlagen, doch er konnte sich vor Schreck nicht rühren. Und so kam es, dass er mitsamt der Tanne auf dem Tieflader an diesen fremden Ort geriet.

Fridolin. Zeichnung: Petra Elsner

Jetzt sortierte und putzte Fridolin sein Fell über den unzähligen blauen Flecken. Seine Schlafstatt hatte sich komplett aufgelöst und hing nun wie Spagetti an der rauen Höhlenwand. Fridolin sammelte von ihr die Heu-, Stroh- und Moosteile ab und baute sich daraus ein neues Lager. Darauf sank er erschöpft nieder und grübelte: Da hat es Opa Willi doch wahrgemacht. Schon seit Wochen sprach er zu Oma Frieda, die Tanne müsse weg, sie überschatte ihr kleines Häuschen am Waldesrand. Oma Frieda schimpfte: „Das kannst du doch nicht machen,  Willi! Die Tiere im Baum haben hier ihr Winterquartier, sie werden ohne Obdach umkommen!“ Doch der alte Mann meinte nur, wenn kein Licht ins Haus fiele, koste es zu viel Strom. Er werde die Tanne einfach der Stadt als Weihnachtsbaum spendieren, dann habe man auch mit dem Fällen keine Mühe. Zwar hörte Fridolin das Gespräch der beiden Alten, doch er konnte sich nicht  recht  vorstellen, was das bedeuten würde.

„Nun, ich hab es ja überstanden“, murmelte er sich Mut zu. Doch  erst  als der kleine Nager wieder Hunger verspürte, wurde ihm klar, dass ihm seine Wintervorräte abhandengekommen waren. Der unfreiwillige Umzug hatte gefährliche Folgen. Schließlich trug das flinke Tier den ganzen Herbst über sein Futter zusammen. Fridolin rieb sich die Wintermüdigkeit aus den Augen. Er musste neue Nahrung heranschaffen  –  rasch! So lockerte er das Aststück vor seiner Höhle und lugte vorsichtig hinaus. Hui, was war das für ein Lichtermeer, es schien ihm weiter, als das der himmlischen Milchstraße, und wie bunt sein Baum aussah. Beinahe verzückt lauschte er der Marktmusik und dem herzhaften Kinderlachen. Fridolin wunderte sich über all das muntere Treiben. Das letzte Lachen hatte  er in der Pilzzeit gehört, als Ferienkinder den Wald durchstreiften. Und wie er hinter dem Stern in der Tannenspitze in seine neue Welt linste, gefiel ihm, was er sah.

Als die Nacht kam und kein Mensch mehr unterwegs war, kletterte Fridolin durch die Tanne. Oh, hier fand er viele Leckereien, doch er brauchte etwas Handfestes, um der Kälte gut trotzen zu können. So griff er sich eine der Solar-Laternen und balancierte tänzelnd erst über die Hüttendächer der Händler, über die Stromleitungen, Verkehrsschilder und Litfaßsäulen, bis er sein neues Revier erkundet hatte. Er schien in ein kleines Paradies geraten zu sein. Überall duftete es lecker und nahrhaft. Bald schon hatte er einen Futterberg zusammengetragen. Nur wo sollte er seine neuen Vorräte verstecken? Der Boden war hier überall mit Steinen belegt, nur in den großen Blumenkübeln konnte er etwas einlagern. Als der Morgen graute und erste Autos Ware auf de m  Markt anlieferten, huschte Fridolin wieder in seine Höhle zurück…

Der Spuk in der Tanne – der 2. Akt

Beim Vergolden. Zeichnung: Petra Elsner

Leon hockte an Rudi Sonnes blank gescheuertem Küchentisch und tupfte mit ihm vorsichtig Blattgold auf die frischen Walnüsse. Der Maler konnte die Traurigkeit des Jungen einfach nicht mit ansehen und  hatte das Kind noch am gleichen Abend zu sich   eingeladen. Dort saßen sie nun. Das Küchenfenster gab den Blick zum Markt frei, wo die Weihnachtstanne ihr glanzvolles Licht über den inzwischen leisen Ort warf. Rudi zeigte dem Jungen  noch einmal, wie man mit dem Pinsel eine hauchdünne Blattgoldlage zu fassen bekam. Nämlich,  indem er zuvor leicht mit dem Pinselhaar über seine Wange strich und es so mit Hautfett haftfähig machte. „Es sind die kleinen Tricks, die ein gutes Handwerk zu  Stande bringen“, kommentierte der Mann sein Tun. Dann goss er Tee in zwei Becher und schob den Teller mit Schmalzstullen wortlos in die Mitte des Tisches. Er wusste, Leons Mutter hat Nachtschicht, ein gemeinsames Abendbrot konnte dem Kind nur willkommen sein. Der Junge balancierte noch ein Goldblatt auf seine Nuss. „Jetzt nur nicht niesen“, warnte Rudi mit einem Augenzwinkern. Leon musste sich schwer ein prustendes Lachen verkneifen. Dann aßen sie erst einmal in aller Ruhe. Sechs Nüsse hatten sie inzwischen bezogen,  und  sie wussten, sie würden Morgen auch noch Zeit damit zubringen.

Leon schärfte seinen Blick auf die Tanne. „Schau’ mal,  Rudi, irgendetwas bewegt sich in dem Baum. Sieh’ nur, jetzt hüpft ein kleines Licht über die Marktstände. Und nun tänzelte  es dort oben auf der Stromleitung entlang. Was ist das nur?“ Der  Mann stutzte ebenso und wusste keine Antwort. Die  Zwei schauten dem seltsamen Wanderlicht nach, bis es entschwand. Ratlos zuckten die Beobachter mit ihren Schultern und wandten sich wieder dem Vergolden zu.

Am nächsten Morgen hing ein Geschrei und Gezeter über dem Marktplatz. „Bei mir hat einer den Sack mit Sonnenblumenkernen aufgerissen“, brüllte verärgert der Mann vom  Bio-Stand. „ Bei mir fehlen zwei Duftkissen“, rief die Blumenfrau. „In meiner Hütte hat auch jemand stibitzt“, raunte der Mandelbäcker. Und die üppige Frau vom Gemüsestand entdeckte: „Von meiner Auslage hat jemand Aprikosen und Trockenpflaumen geklaut!“ An anderer Stelle waren Esskastanien und ein Lebkuchenherz angeknabbert. Es war nicht wirklich viel, was jedem fehlte, aber die Händler fühlten sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass nächtens jemand frech durch ihre Hütten spazierte und sich heimlich bediente.

Bürgermeister Conrad Lob hatte die ärgerlichen Rufe durch das offene Fenster seiner Amtsstube vernommen. Jetzt trat er in die aufgebrachte Runde und versicherte, nein, Ratten gäbe es in seiner sauberen Stadt wirklich nicht. Doch was oder wer könnte dann der nächtliche Besucher sein? Auf jeden Fall forderte Herr Lob sicherheitshalber einen Wachschutz an, damit der schöne Adventsmarkt seiner Stadt nicht in Verruf geriet.

Als abends Rudi Sonne und der kleine Leon mit ihren Goldnüssen vor die Tanne traten, war der Ärger unter den Marktleuten längst verraucht. Keiner sprach mehr von den nächtlichen Vorkommnissen. Gern wäre Leon jetzt auf die Feuerwehrleiter gestiegen, um rund um die große Weihnachtstanne seine schönen Schmuckstücke zu platzieren. Doch die rückte wegen solcher Kleinigkeiten nicht extra an. Auch nicht für Mitglieder der Kinderfeuerwehr. So hängten die Zwei ungesehen ihre Goldnüsse nur ins  Erdgeschoss des Baumes. In der Tüte der Gemüsefrau war nur noch eine einzige unverzierte Walnuss verblieben. Der Maler zog seine buschigen Augenbrauen hoch und drückte  die Nuss dem Jungen mit den Worten in die Hand: „Es ist eine Zaubernuss! Öffne sie nur, wenn dir gar nichts  Anderes mehr einfällt.“ Dann zog der Mann seinen schwarzen Schlapphut und ging. Leon schaute hinauf in den prachtvollen Weihnachtsbaum. Aber seltsam, irgendetwas schien ihn von dort oben aus zu fixieren…

Der Spuk in der Tanne (1)

Die letzten Tage vor Weihnachten will ich Euch mit einer Weihnachtsgeschichte in sechs Akten beleben. Sie steckt in meinem Weihnachtsbuch „Von der Stille des Winters“…

Auf dem Marktplatz…

Das erste fahle Licht dieses Morgens stieg gerade über die verschneiten Dachfirste, als ein schwer tuckerndes Motorengeräusch die Stille zerriss. Ein Rabe kreischte auf der Laterne unheilvoll auf,  und der letzte Langschläfer huschte an die Gardine, um zu sehen, was dort draußen so einen Krach verursachte. Otto, dem Truckerfahrer standen Schweißperlen auf der Stirn, während er sich mit seinem Tieflader durch diese enge Gasse quetschte. Kaum drei Meter standen sich die geduckten Feldstein- und Fachwerkhäuschen gegenüber. Zentimeterweise manövrierte der Mann am Lenkrad die gewaltige Fuhre. In jeder Kurve war Präzision gefragt. Er wagte sich kaum zu atmen, als würde er so ein, zwei Zentimeter dünner werden. Nicht, dass er auf den letzten Metern noch die Tannenspitze lädierte. Doch schließlich öffnete sich die Pflasterenge zum Marktplatz, wo schon eine Menge Menschen wartete.

Ortsbrandmeister Lemke schnupperte gerade am Holunderpunsch, als der kleine Leon über ein Kabel stolperte und ihm dabei die hundert vergoldeten Walnüsse aus der Schale sprangen, welche er eben noch stolz vor sich trug. Wie Murmeln rollten sie auf den Steinen auseinander. Leon galt als der größte Tollpatsch der Kinderfeuerwehr, und nun lachten ihn schon wieder alle aus. Er verschluckte entsetzt seinen Aufschrei, während  der große Truck die handvergoldeten Nüsse  platt rollte. Leon stiegen Tränen in die  Augen. Tagelang hatte die Kindergruppe diese Nüsse mit kostbarem Blattgold belegt. Rudi Sonne, der Kunstmaler, zeigte ihnen, wie man den güldenen Hauch mit einem Pinsel auf Nüsse oder Äpfel  aufbrachte. Dazu erzählte der Wirt vom „Weißen Hirsch“, dass dieses Blattgold sogar essbar auf Schokolade oder einem Pfefferkuchen sei.

Die Ankunft der Tanne auf dem Markt vor dem Rathaus war immer ein großes Ereignis im Städtchen. Festlich geschmückt, beleuchtete der Baum die dunkle Jahreszeit und den Monat der Vorfreude auf die schönsten Feiertage des Jahres. Und was das Beste an diesem Ankunftstage war, dass jeder mitschmücken und etwas dazu beisteuern konnte. Doch Leon hatte wieder einmal alles vermasselt. Es interessierte den Jungen  nicht mehr, dass jetzt gerade ein Kran die mächtige Tanne vom Tieflader hievte und die Feuerwehrmänner den Baum zum Stehen brachten. Der Achtjährige  wollte sich einfach nur noch durch die Reihen der Wochenmarkthändler davonschleichen.  Da legte sich plötzlich eine schwere Hand auf seine Schulter. Als er sich umdrehte, lächelte ihn die rotbäckige Gemüsefrau an und drückte ihm eine große Tüte voll Walnüsse in die Hand: „Hier, mein Jung’, nun musst du sie nur noch schön goldig machen.“ Dankbar stand das Kind noch bei der Marktfrau, da wogte ein „Oh“ und ein „Ah“ durch die Menge auf dem Platze. Der erste Stern auf der Tannenspitze erstrahlte,  und Lemke platzierte von der großen Feuerwehrleiter aus auf dem Baum, was man ihm zureichte.

Immer mehr Menschen kamen zum Schmücken herbei. Die einen brachten selbstgebackene Weihnachtsplätzchen mit, die anderen Glaskugeln und Lichterketten, klitzekleine Päckchen mit roten und blauen Schleifen, kandierte Früchte, Schokoladenherzen, kleine, solarbetriebene Laternen  und echte Tannenzapfen. Auf dem Markt duftete es plötzlich nach Zuckerwatte, Zimt, Nelken und gerösteten Mandeln. Es schneite wieder, und das frische Weiß dämpfte alle Töne. Frau Ortsbrandmeister  Lemke schenkte gegen die fröstelnde Kälte dampfenden Holunderpunsch aus, und Adventsstimmung schlüpfte in alle Herzen….

Teil 2 hier
Teil3 hier:
Teil 4 hier:
Teil 5 hier:
Teil 6 hier:

Zwölf Monate: Blick auf die Bleiche am Döllnfließ (9)

Zwölfmal im Jahr schießt meine Kamera von der „Bleiche am Döllnfließ in Kurtschlag“ einen Schnappschuss und friert das Motiv so für die Ewigkeit ein. Herr Zeilenende hat das Projekt „12 Monate“ als Blogger-Aktion im  Februar 2017 angeregt … Hier kommt mein Fotoblick für den Monat Oktober:

Die Bleiche am Döllnfließ im Oktoberlicht.
Foto: Petra Elsner

Es herbstelt auf der Kurtschlager Bleiche. Das Eichenlaub kreiselt welk auf dem Wiesenland. Ansonsten ist hier gar nichts los. Erst zum Martinsfest im November  wird es hier wieder belebter sein.
Also zücke ich zum letzten Mal  für diese 12-Monate-Aktion eins meiner  Schorfheidemärchen, das zwar nicht speziell vom Döllnfließ berichtet, aber von einem Berufstand, der am Fließ vor langer, langer Zeit siedelte. Wegen des großen Holzreichtums bekam unser Nachbardorf Groß Dölln 1729 eine Glashütte. Die lag unweit des Döllnfließes. Grünes Flaschenglas wurde dort hergestellt, bis die Hütte 1744 abbrannte…

Der Alchimist und der Herr der Tautropfen

Ein Nix vom Döllnfließ.
Zeichnung: Petra Elsner

Völlig unbemerkt war er mit seiner Wanderglashütte eingetroffen, der böhmische Alchimist und Glasmacher Johann mit seiner Sippe. Er lagerte dort, wo der Wald am undurchdringlichsten war. Nur selten durchquerten ein paar Mönche diesen Winkel  der Heide. Johann hatte Gründe, sich gut zu verbergen. Um sein Glas aus Sand und Pflanzenasche zu schmelzen, benötigte der Glasmacher viel Holz. Zu viel, weswegen ihn der Fürst des Böhmerwaldes verjagte. Unterwegs hatte man ihm seine kostbaren Glaswaren gestohlen. Nun besaß er keinen Tauschwert mehr, um mit dem Herrn dieses Waldes, einen Handel zu schließen. Es durfte nicht auffallen, dass er heimlich Holz stahl, und deshalb musste sich der Mann etwas ganz Besonderes ausdenken, dass wenig Material benötigte.
Es war Nacht, Johann schaute in den Sternenhimmel und sorgte sich. Noch war es Sommer, aber die notdürftige Hütte, die er für seine Familie gezimmert hatte, würde im Winter nicht ausreichend Schutz bieten. Durch seine Finger glitt eine kleine, feine Kugel. Grün wie das Wasser im Döllnfließ und blau wie der Himmel an einem Sommertag war sie. Er hatte diese besondere Färbung heute erstmals erreicht. Der Glasmacher drehte und wendete das kleine Rund im Mondlicht, wobei es ihm plötzlich aus den Händen rutschte. Als Johann danach fingerte schrie ihn etwas an: „Nein, hinfort, das ist jetzt meine!“ Johann zündete ein Schwefelholz an und sah nach dem, was da so zeterte. Es war eine winzige grün-blaue Gestalt, die leuchtete wie seine Glaskugel. „Wer bist Du?“, fragte der Glasmacher und das kleine Wesen zirpte: „Ich bin der Herr der Tautropfen.“
„Ah“, Johann lächelte, „ein kleiner Nix auf Landgang.“
„So ist es, aber diese Kugel ist jetzt trotzdem meine, auch wenn Du mich erkannt hast.“
„Reg’ Dich nicht auf, ich schenke sie Dir“, sprach leise der Mann.
„Ach, wirklich?“ Der kleine Nix, halb Fisch, halb Frosch, schlüpfte in Johanns Schoß. „Verrate mir, wie Du sie gemacht hast – diese Kugel des Lichts.“
„Oh, ich habe sie aus diesem Sand dort gekocht“, erklärte der Mann.
„Aus diesem Staub da, dass glaube ich nicht“, zankte der Winzling und sagte: „Wenn Du wahr gesprochen hast, dann kannst Du mir ja für meine Liebste bis morgen Nacht eine zweite,  gleiche Kugel formen.“ „Aber gewiss“, antwortete Johann, und indem verschwand der kleine Nix.
Am nächsten Tag kochte und goss der Alchimist eine zweite, ganz gleiche Kugel. Die leuchtete ebenso schön wie der Sommer. Und als nachts der Nix kam, die zweite Kugel zu holen, staunte er nicht schlecht. „Dieses Glas ist so herrlich wie das Wanderland und deshalb soll Dir auch ein wenig davon gehören, aber gehe sorgsam damit um!“ Dann griff der Nix nach der Kugel und entschwand.
Als anderentags Johanns Frau am Fluss Wasser schöpfte, fand sie eine Flaschenpost. Aufgeregt lief sie damit zu ihrem Manne. Der holte die Nachricht aus dem gläsernen Bauch: Es war eine Karte, die „Johanns Waldland“ beurkundete. Ein Hektar, gelegen am Fließ. Johann lächelte, von nun an hatte seine Familie hier ein Recht zu siedeln, aber für seine Wanderglashütte, würde das Holz auf dem Waldstück nicht reichen. Johann klopfte auf die gläserne Postille. Sie war aus grünem Waldglas, wenn er nun altes Glas zu neuem schmelzen würde? Dann müsste er keinen Wald mehr roden und könnte für immer hier bleiben. Der Alchimist sammelte seit diesem Tage zerbrochenes Glas aus der Landschaft. Grünes und weißes, beides erhitzte er getrennt und dem weißen gab er eine Priese Cobaltoxid hinzu, dass brachte die Farbe eines lichten Himmels in das Glas. Dann goss er daraus die grün-blauen, die Himmel-und-Erde-Kugeln, die ein kleiner Nix im Morgengrauen mit Tautropfen wusch und heimlich beseelte. Kein Wunder, dass bald ein jeder so einen schönen, kraftvollen Schmuck tragen wollte, und so Johanns Sippe in eine sorglose Zeit gelangte.

(Aus: Petra Elsner, „Schattengeschichten aus dem Wanderland – Schorfheidemärchen“, zurzeit verlagsseitig vergriffen, aber noch bei mir im Atelier für satte 6 Euro, zzgl. Versand zu haben.)

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Zwölf Monate: Blick auf die Bleiche am Döllnfließ (8)

Zwölfmal im Jahr schießt meine Kamera von der „Bleiche am Döllnfließ in Kurtschlag“ einen Schnappschuss und friert das Motiv so für die Ewigkeit ein. Herr Zeilenende hat das Projekt „12 Monate“ als Blogger-Aktion im  Februar 2017 angeregt … Hier kommt mein Fotoblick für den Monat September:

Der Septemberblick auf die Kurtschlager Bleiche. Erste Eichenblätter färben sich und das Licht fällt flacher auf das Wiesenland am Fließ. Foto: Petra Elsner

Eigentlich ist der September mein Lieblingsmonat, zumal ich ein Septemberkind bin. Sternbild Waage, Aszendent Löwe. Also kein Wunder, das ich die Zeit der Ernte, milder Temperaturen und Farbschauer in der Landschaft mag. Aber dieser September ist nicht mit anderen zu vergleichen, ihm fehlte die Gelassenheit. Auf der Bleiche am Döllnfließ hat sich nicht viel seit August getan. Nur badet inzwischen Wiese täglich im Tau. Noch ist von den Winterfesten, die hier stattfinden werden nichts zu ahnen.
In Ermanglung von dörflichen Bleichen-Aktivitäten habe ich wieder in meinem Archiv gekramt und mich  eines Schorfheidemärchens erinnert, dass auch am Döllnfließ angesiedelt ist. Zum Ausklang der Sommerzeit passt das ganz gut:

Döllnfließwasser.

Der Ball der Wasserfrauen

Die kichernden Regentropfennixen waren zum Ball geladen und kamen mit einem kräftigen Guss im Döllnfließ an. Immer in der Johannisnacht trafen sich die Wassergeister aller vier Himmelssphären, um für Freya, die hohe Wasserfrau des Wanderlandes, Kräuter zu sammeln. Für diese eine Nacht des Jahres verloren die Nixen ihr Fischgewand, und all die schönen Wesen aus Pfützen, Tümpeln, Brunnen und Teichen, aus Flüssen und Seen lustwandelten im hellen Mondlicht durch die Wiesen, und schnitten schweigend reife Pflanzen. Nur das leise Läuten ihrer Glockenblumenkränze und das Zirpen der Grillen waren vernehmbar.
Die Wiesen am Fließ dufteten schon Tage lang so berauschend, dass kaum einer in den Heidedörfern Schlaf fand. Man hockte hellwach am Feuer, tanzte, trank Bier oder Wein, als ein Mädchen vor einem liebestollen Manne in die Wiesen floh. Aber es war zu weit die Hänge hinuntergelaufen, denn dort, wo der Auenwald begann, verästelte sich der Fluss, und die Wiese verwandelte sich in einen wundersam blühenden Sumpf. Das Mädchen war völlig entrückt, als es die Blütenpracht sah. Es pflückte sich einen Strauß, wie er schöner nicht sein konnte, aber währenddessen verlor es den festen Boden unter den Füßen, und die schmatzende Erde verschluckte das Mädchen.

Wasserfrau. Zeichnung: Petra Elsner

Es waren die Regentropfenixen Pia, Nike und Dafne, die das versinkende Wesen entdeckten und die hohe Wasserfrau herbei riefen. Freya schüttelte ärgerlich ihr Blumenhaupt. „Wer unsere Rituale stört, sollte eigentlich mit dem Sumpfwasser ziehen.“ Als Wächterin des unterirdischen Flusses, der an diesem Ort vom Diesseits ins Jenseits strömt, konnte die weiße Nixe Leben schenken oder nehmen. Aber Pia, Nike und Dafne waren so aufgeregt: „Sieh, sie ist so schön, du darfst sie nicht mit unseren Blumen geschmückt ins Reich der Toten schicken“, riefen die kleinen Nixen wie aus einer Stimme. „Gütiger Himmel“, raunte Freya. „Gut, dass die Kräuter geschnitten und gebündelt sind, sonst hätte euer Aufschrei ihnen all ihre Heilkraft genommen“, schimpfte die hohe Frau. Da es aber so gar keinen Grund gab, in dieser Festnacht ein so schönes Mädchen im Sumpf stecken zu lassen, zog Freya es aus dem Morast, wusch es in dem glasklaren Wasser des Fließes und legte es sanft am Ufer ab. Immer noch hielt das ohnmächtige Mädchen den prächtigen Strauß fest umklammert. Und wie es da so lag, schön wie ein Sommermorgen, steckte ihm Freya eine schützende Seerose ins Haar.
Als das Mädchen erwachte, sah es, wie die Wasserfrauen tanzten oder lachend Kräuter wuschen. Aber als jene bemerkten, dass das Mädchen ihnen zusah, erschraken sie, denn augenblicklich wuchs ihm ein Fischleib. Freya hatte den alten Zauber ihres Vaters vollkommen vergessen: Wenn ein Mädchen den Ball der Wasserfrauen beobachtet, wird es selbst zur Nixe. Gerade war die Verwandlung geschehen, da ritt auf einem Wellenross der alte Seegott heran. Der zottige Zausel mit dickem Wanst holte sich die neue Nixe.
Wochen und Monate vergingen. Schauerwetter peitschte das Land, da konnten die Regentropfennixen reisen. Eines Nachts gelangten sie an das Haus eben jenes Jünglings, der noch immer nach dem Mädchen suchte. Sie trommelten auf seine Fensterscheibe eine Melodie und malten aus Klangfarben einen See. Der Jüngling schreckte auf, hatte er nur geträumt oder sah er seine Liebste als schöne Nixe, die ein alter Seegott begehrte. Als endlich die nächste Johannisnacht anbrach, lief der junge Mann zum Großen Döllnsee und lauschte dem Wellenspiel. Irgendwo klatschte etwas auf das Wasser, ein Flossenschlag? Und richtig, im Mondlicht schwamm eine helle Gestalt auf ihn zu. Da sprang der Jüngling in das schwarze Nass und erhaschte die Nixe. Die war so schön, dass er fast das Atmen vergaß, aber dann küsste er das Mädchen. Indem verloren sie sich in einem Strudel, der dem Fischmädchen die Flosse abzog. Als das Paar auftauchte, erleuchteten hunderte große und kleine Wasserfrauen mit ihren weißen Leibern den See. Wie ein Geleitzug brachten sie die Zwei sicher zum nächtlichen Ufer, während der Seegott aus den Tiefen des Wassers machtlos grollte.

(Aus: Petra Elsner, „Schattengeschichten aus dem Wanderland – Schorfheidemärchen“,
zurzeit verlagsseitig vergriffen, aber noch bei mir im Atelier für satte 6 Euro, zzgl. Versand zu haben.)

Kurtschlag am Döllnfließ

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Zwölf Monate: Blick auf die Bleiche am Döllnfließ (7)

Zwölfmal im Jahr schießt meine Kamera von der „Bleiche am Döllnfließ in Kurtschlag“ einen Schnappschuss und friert das Motiv so für die Ewigkeit ein. Herr Zeilenende hat das Projekt „12 Monate“ als Blogger-Aktion im  Februar 2017 angeregt … Hier kommt mein Fotoblick für den Monat August:

Heuernte auf dem Grünland hinter der Bleiche am 24. August 2017.

Der August war wie Herbst. Sattgrün säumt das Gras die Ufer des Fließwassers. Wenigstens die Heuernte scheint in 2017  gut zu laufen. Äpfel, Kirschen, Birnen gibt es nicht, selbst die Himbeeren sind im Frühjahr erfroren. Auf der Kurtschlager Bleiche ist es im Regenaugust zu mückig, so dass man hier kein bisschen verweilen möchte. Geschweiger denn feiern. Also erzähle ich Euch zum Monatsschnappschuss wieder  eine Geschichte, die sich entlang ds Döllnfließes entspinnt …
Der Waldläufer
Geisterhaft quoll Dunst aus dem Döllnfließ, so als ob es Herbst werden wollte. Aber es war noch Sommer, wenn auch ein kühler, bedeckter Tag. Ein erdiger Geruch hing in den satten Moorwiesen, in denen dicke Binsenbündel wie lauernde Kobolde hockten. Hier tropfte der Morgen im Tau, doch der tiefgrüne Kiefernwald am Rande knisterte stumpf und trocken. Die Sommerhitze der letzten Tage hatte ihm alle Feuchte entzogen, ein Funke nur, und er stünde in Flammen. Dürre Äste knackten und der Boden staubte unter seinem festen Schritt.
Oskar Frese war schon Stunden unterwegs. Auf dem Eichendamm traf er einen meckernden Eichkater und die Eidechsen raschelten versteckt im Saum der ersten trockenen Blätter. Der Tag war noch leise. Das Döllnfließ floss unberührt durch die wieder ansteigende Dünenlandschaft, in der noch Wachtelkönig, Schreihadler, Wiedehopf, Zaunkönig, Wanderfalke und sogar Schwarzstörche lebten. Im Birken- und Holunderhain pickten Kraniche nach Samen, aber dem Biber war er nicht begegnet, nur den Spuren seines Aufbruchs. Leider. Die Bauern hatten seinen Damm in der großen Wiesensenke zerstört. Oskar war sauer, es hätte ein schöner See entstehen können. Aber der Bauer brauchte sein Grünland. Das gilt immer noch – Besitz – dachte der Waldläufer bei sich, doch die Zeitläufe und Gewissheiten von Generationen sind unzuverlässig geworden.
Das satte Grün lag in sommerlicher Lethargie. Selbst die Vögel hielten sich nach ihrer Frühjahrsbalz in den heißen Tagesstunden mit ihrem Gezwitscher zurück. Der nachsinnende Mann hörte nur seine eigenen Schritte. Kein Rauschen in den Wipfeln und auch kein heranwehendes Getöse vom Autofluss auf der nahen Landstraße Richtung Norden. Einfach nichts, keinen Laut. Er kam an seiner Lieblingskiefer vorbei, einer bizarren Burkussel*, gewachsen wie ein üppiger Busch. Die hätte der Förster längst als nutzlose Missgestalt schlagen lassen, wenn Frese nicht dessen farbige Kennzeichnung abgewaschen hätte. Jetzt ist die Bauernkiefer zu einer viel bestaunten Schönheit herangewachsen. Gegen alle Norm. „Es geht nur mit starkem Selbstvertrauen“, sprach er leise vor sich hin. „Vielleicht indem man frühzeitig alle seine Talente lebendig hält, um im Trab die Pferde wechseln zu können, wenn nötig oder wenn gewollt. Kann man das aushalten? Und wenn ja, wie?“
Im nächsten Fließbogen sah der Waldläufer nochmals die blaue Federkugel von einem Ast ins Wasser stürzen, kaum später tauchte der Meisterfischer mit seinem Fang auf und flog davon.
Abermals moderierte Freses Kopf zwischen Anblick und seinen rastlosen Gedanken: Der Eisvogel schillert wie ein fliegender Edelstein, aber seine intensive Färbung ist zugleich die beste Tarnung im Spiel von Licht und Schatten. Es gibt ihn nur auf unverbrauchtem Grund, an einem glasklaren Wasser. Nicht sein Schillern bringt ihn in Gefahr, sondern verdorbene Natur. Was kann das für mich heißen? Lebe nicht getarnt, sondern deine ganze Schönheit?
Oskar Frese holte sich gerne seine Lebensphilosophie aus der Natur. Er pflückte sie sich gewissermaßen aus der Landschaft und trug sie als Sinnsprüche mit sich. Zum Beispiel diesen: „Ein Fisch kann Wunschfisch sein, aber auch ein schlüpfriger Schwärmer.“ Den benutzte er immer, wenn er mit Tim über Charakterbildung sprach und davon, was in jedem von uns steckt.
Endlich war der Waldläufer am Großen Döllnsee angelangt, dort, wo das Döllnlließ in die Schorfheide springt. Im großzügigen Landschaftspark des Hotels hämmerte ein Specht an einer alten Eiche. Oskar Frese war in diesem gediegenen Hotel zum Mittagstisch mit seiner Frau verabredet. Er blickte auf die Uhr, er hatte noch Zeit. Vor ihm lag das helle, ruhige Wasser, ein paar Kinder sprangen lachend vom Steg mit dem berühmten Badehaus. Plötzlich wusste Oskar Frese, wie er seinen Sohn beraten könnte. Er wird diesen Waldlauf am Döllnfließ entlang mit ihm wiederholen, um die Wiederkehr der Stille zu entdecken und seinen Platz darin. Der Junge wird den Wellenschlag des Alltags bestehen, wenn er sich Auszeiten gönnt, um Zeit zu haben, selber zu denken und zu agieren, denn Zeit ist das Zauberwort für Glück.
(Aus „Vom Duft der warmen Zeit“, geschrieben und illustriert von Petra Elsner, 2015, Verlagsbuchhandlung Ehm Welk)

Eine weitere Szene aus den Baumriesen …

Als Anregung für alle, die noch planlos sind: Heute, 14 Uhr, Buchlesung beim Maulbeerfest in Zernikow in der Kleinen Schmiede.

Zweite Kostprobe aus meinem „Der Schatz der Baumriesen“:

Kein Morgen- oder Abendrot – ein Immerrot. Carbos Vulkan.
Zeichnungen: Petra Elsner

Aron folgte seinem Instinkt und ritt nach Süden. Aber Melchor wollte es genauer wissen: „Wo sollen wir nur suchen?“
„Bei diesem Rätsel musst du wie Gora denken, um es zu lösen“, schnaufte der Hirsch. „Also Feuer zu Feuer und Wasser zu Wasser“, erklärte er weiter. Melchor schwieg in die Stille der Schneewelt. Erst nach Stunden sprach er wieder. „Du meinst, wenn wir die Feuerkugel suchen, sollten wir zu dem größten Feuerloch der Welt ziehen? Nicht irgendeinem kleinen, sondern dem mächtigsten Vulkan überhaupt, aus dem die Erde heiß brodelt und stöhnt?“
Aron nickte: „Vielleicht ist es so.“ Sicher war das allerdings nicht, sie konnten sich auch irren.
Sie waren schon Tage unterwegs. In der Nähe des großen Meeres verschwanden die Schneefelder. Es schien, als wollte es Frühling werden, aber es war nur ein breiter Geröllstreifen, der das vorgaukelte. Denn in Wirklichkeit durchschritten sie das immer warme Feuerfeld eines fauchenden Vulkans. Weithin sichtbar warf der Feuerberg einen rot brennenden Schein an den Himmel. Kein Morgen- oder Abendrot – ein Immerrot.
Der Legende nach, lebte an diesem Vulkan ein Steinriese, der vollkommen aus schwarzer Lava bestand. Tagein, tagaus rührte der Riese in dem mächtigen Trichter. Er panschte Eruptionen und trieb die Ausbrüche des Magmas voran. Carbo war ein launischer und sehr unberechenbarer Steinriese. Aber er war auch ein Künstler, der mit heißer Lava Bergwände besprühte. Und wenn er so richtig in Fahrt und Rage geriet, vergaß er alles um sich. Das würde die Gelegenheit sein, um dicht an ihm vorbei zum Feuerschlund zu gelangen.
Aber noch waren Hirsch und Mann dort nicht angekommen. Der Boden dampfte. Feuersalamander huschten über den Geröllteppich, und hier und da zischten gelbe, stinkende Geysire. Das Land dampfte schwer.
Der Hirsch scheute: „Melchor, ich bin ein Geschöpf des Winters! Ich kann nicht über so heiße Böden galoppieren. Du musst diesen Weg alleine bestehen.“ Der Läufer hatte schon längst auf diese Ansage seines Begleiters gewartet, war aber froh über jedes weitere gemeinsame Wegstück. „Ich weiß, du hättest schon vor Stunden aufgeben sollen. Wir werden uns dort, wo die Schneefelder beginnen, nach drei Monden wiedersehen.“

Melchor hatte es geschafft. Er war wirklich bis dicht unter den Vulkan gelangt. Der schwarze Riese besprühte gerade mit völliger Hingabe die Nordwand. So wagte der Jüngling den Aufstieg von Osten her.
Der Kraterrand war schon ganz nah, als der Berg schaurig grollte und sich in dicke Wolken hüllte. Melchor sah die Hand vor Augen nicht, wenn der jetzt Lava spritzte, wäre es um ihn geschehen. Sein Magen knurrte. Er fühlte sich matt und seine Füße schmerzten. Hinter einem gewaltigen Gesteinsbrocken versank der Läufer in einen seltsamen Dämmerzustand. Feuerrösser durchgeisterten darin die gelben Nebel. Gora sprang böse lachend auf den Rücken des ersten Hengstes und zügelte ihn. Er wieherte schmerzgetroffen, zischte und dampfte und zerrann in Tausende Wassertropfen, die als Schnee zu Boden rieselten. Die Hexe aber sprang auf das nächste Ross und das übernächste, während der Vulkan im Schnee erlosch.
Es roch nach Schwefel, denn der Berg spuckt nicht Feuerfunken, sondern Asche und Gas. Als Melchor wieder zu sich kam, regnete es und ein starker Wind blies. Der war wohl seine Rettung, denn er vertrieb die giftigen Wolken und die Fiktionen.
Der Läufer kletterte das letzte Stück hinauf zum Berggrat. Als er in den Schlund des Vulkans schaute, war er ergriffen von der Schönheit seiner flammenden Flanken. Purpurfarbig. Und in der Mitte, tief unten im Lavasee, schwebte eine schwarz-blaue Wolke, in der, wie auf Samt gebettet, die Feuerkugel ruhte.
Wie nur sollte er dort hingelangen? Seine Hände waren übersät von Schnitten und Brandblasen vom heißen Gestein. Es war vollkommen unmöglich, sich dem brodelnden Innenleben weiter zu nähern. Er würde verdampfen.
Etwas kreischte und Melchors Blick suchte den roten Wolkenhimmel ab. Hoch über dem Vulkan schwebte ein kaminroter Adler. Dieses Rot-in-Rot machte ihn beinahe unsichtbar. Der Adler rief zweifellos den Riesen herbei, denn schwere Schritte rumsten Richtung Osten.
Melchor schmiegte sich flach an den Kraterrand und vergrub sein Gesicht in den kaputten Händen. Das Donnern der Schritte zeigte Wirkung. Gesteinsbrocken lösten sich aus der Wand, dann rutschten Geröllmassen ab und mit ihnen stürzte auch der Läufer abwärts. Aber er fing sich unbeschadet am Hang, und plötzlich tippte ihn ganz sacht etwas an seine Schulter:

Custo, der Steinriese.

 


„Hallo du, kleiner Wanderer, was suchst du denn hier“, bröselten die Worte aus dem Steinriesen.
Melchor schaute vorsichtig auf: „Ähm, ich wollte nicht stören, mir nur mal deinen Vulkan anschauen.“ „Das ist nicht mein Vulkan. Ich wohne nur hier“, bollerte es aus Carbo, „und spiele mit dem Feuer. Ha, eine glutheiße Sache ist das, sag ich dir. Hast du schon meine neueste Arbeit an der Nordwand gesehen?“
Melchor schüttelte verblüfft den Kopf.
„Nein?“ Der Riese legte seine Hand neben den verschreckten Menschen und lachte: „Komm, steig auf, ich zeige sie dir.“
Wenige Augenblicke später sah Melchor rot glühende Tropfenornamente, die wie Sonnen von der Wand strahlten.
„Schöööön, oh, wie wunderschön. Wie machst du sie?“, fragte er.
„Ha, ganz einfach!“ Der Riese lehnte sich über den Kraterrand, hangelte mit seiner schweren Steinpranke in den Lavasee und schöpfte sich heißes Magma daraus. Nahm dann einen kräftigen Schluck in seine Mundhöhle und pustete sie gleich einem Feuerschlucker an die Bergwand.
„Beim Teufel, sieht das gut aus!“, fand Melchor, und der schwarze Riese lächelte sehr stolz.
„Aber nun mal ehrlich, kleiner Mann, was suchst du hier in dieser flammenden Einöde, doch gewiss nicht meine Sonnenkunst?“
„Die Feuerkugel, dort unten in der brodelnden Magmasuppe. Die Winterhexe Gora hat sie gestohlen und damit das Gleichgewicht der Welt aus den Angeln gehoben. Im Land der Baumriesen brechen und erfrieren die uralten Baumgiganten. Ich bin ihr erwählter Läufer.“ Er verbeugte sich vor Carbo: „Verzeih mir, wenn ich nicht ganz ehrlich war. Ich musste doch erst herausbekommen, ob du nicht ein Mann der Winterhexe bist.“
„Ho, ho, ho, hooo, ich und der Winter – das geht doch gar nicht. Aber diese kalte Schöne war wirklich vor einiger Zeit hier. Sie kam mit einem Sturm, der faustgroße Graupelkörner trieb. Der Berg fauchte und zischte, und sie kreiste wie ein Wolkenwirbel über dem Schlund. Doch ich konnte nicht sehen, was sie dort tat. Der Sturm aus Eiskörnern drückte mir die Lieder nieder und versperrte mir die Sicht. In diesem Augenblick muss die gewiefte Gora die Kugel in den Feuersee geworfen haben. Denn anschließend war sie einfach da unten, auf der schwarzen Wolke. Der Spuk kam auf und ging wie ein kurzer Schauer.“
Carbo lehnte sich nun wieder über den Kraterrand und brachte mit seiner schwarzen Pranke die Feuerkugel aus dem Vulkan. Er drehte und wendete sie: „Schönes Teil! Nicht heiß und doch hält sie die Wärme der Welt, was für ein Wunder. Hier.“ Er legte die Kugel in die Hände des staunenden Läufers. „Ich brauche sie nicht. Ich bin Künstler und schaffe selbst Schätze, da ist man nicht auf das Zauberwerk anderer angewiesen. Trag sie sicher zu den hölzernen Giganten, sie sind fast so alt wie ich. Doch sei auf der Hut vor dieser Gora, die schöne Kalte hat kein Herz.“ …

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Zwölf Monate: Blick auf die Bleiche am Döllnfließ (6)

Zwölfmal im Jahr schießt meine Kamera von der „Bleiche am Döllnfließ in Kurtschlag“ einen Schnappschuss und friert das Motiv so für die Ewigkeit ein. Herr Zeilenende hat das Projekt „12 Monate“ als Blogger-Aktion im  Februar 2017 angeregt …

Hier kommt mein Fotoblick für den Monat Juli :

Die frisch gemähte Bleiche am Kurtschlager Döllnfließ – Mitte Juli 2017.

Mitte Juli feierte das Schorfheidedorf Kurtschlag sein alljährliches Sommerfest. Nein, nicht auf der Bleiche, die ist hierfür zu klein. Dafür zieht die Dorfgemeinschaft mit ihren Gästen (die sogar aus Freiamt kamen) auf den alten Sportplatz mit seiner Kulturbaracke an der Rübengasse.
Aber: Die Bleiche war  dafür – wie man sieht – frisch frisiert. Und weil die Feuerwehr ein rundes Jubiläum zeitgleich feierte, hatten die Blaulichter einige „Kameraden“ aufgestellt.

Der Schmuckkumpel am Fließ insperierte mich zu dieser Geschichte

Der Flusswächter vom Döllnfließ? Nein, ein Feuerwehrkamerad auf der Leiter…

Der Flusswächter vom Döllnfließ

Die Nebelgestalt des Flusswächters.
Zeichnung: Petra Elsner

Vor Zeiten wohnte in den Wiesen am Döllnfließ ein Flusswächter. Der schritt täglich die Ufer ab, um die Dämme für die Flößerei zu kontrollieren. Eines frühen Morgens entdeckte er am Kolken hinter der Schleuse bei Klein Dölln frische Stiefelabdrücke im Sand: Krebsdiebe, dachte sich der strenge Mann und begann sogleich den Spuren nachzustellen.

Niemand sah, wie und wann er dazu aufbrach. Doch bald schon murrten die Leute, wo denn der Flusswächter stecke. Hier sei ein Leck im Damm und beim Moor zwischen Kurtschlag und Kappe trieben Weidenkörbe mit Flusskrebsen im Wasser.

Man wollte mit dem nachlässigen Wächter ein ernstes Wort reden. Doch sein Katen war verlassen. Der Flusswächter blieb seit jener Zeit verschollen und bald darauf starben alle  Krebse im Fließ.

Flusskrebs. Zeichnung: Petra Elsner

Über die Zeit webten die Herbstnebel die Legende vom ruhelosen Flusswächter, der noch immer als Nebelgestalt aus dem Wasser aufsteigt und seine Runde dreht.

© Petra Elsner
Juli 2017

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Arno von Rosen zeigt die Eiche in Nachbars Garten

Chris zeigt den Baum vor seinem Fenster

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Neues vom Schreibtisch zeigt den Park rund um die Reste des Garnisons-/Katharinenfriedhofs in Braunschweig

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Das Mädchen Mo

Mo liebte es zu Kochen und Schlagzeug zu spielen. Sie sammelte Puppen und ihre Leidenschaft galt eher den Frauen. Wohl deshalb hatte sie Thüringen verlassen und sich im Dschungel Berlins versteckt. Aber Weihnachten musste sie unbedingt in den Schoß der Familie schlüpfen – das war heilig. 1995 klappte das nicht. Sie bekam keinen Urlaub und musste im „Briefe an Felice“ kochen. Dort hatte ich in besagtem Jahr eine Ausstellung mit meinen Arbeiten: Beize auf Packpapier hängen. Und eine dieser Nachtgestalten hatte es Mo so angetan, dass sie mich immer wieder nötigte, sie brauche dieses Bild, habe aber kein Geld.  Ich lächelte dazu nur milde, ich hatte auch keins.
Tage vor Weihnachten hockte Mo in unserer gemeinsamen Stammkneipe um die Ecke, die damals noch Fiasko hieß und heulte. Sie hatte Heimweh nach ihrem Puderzuckerstädtchen. Umso näher das Fest rückte, desto unleidlicher wurde die junge Frau. Heilig Abend in der Nacht.  Mo hatte längst Kochschluss und lümmelte träge am Fiasko-Tresen.  Ich hatte nachmittags den „Schlagzeuger auf dem Mond“ eingepackt und als wir gegen 23 Uhr den Szeneladen betraten, rutschte Mo vom Hocker, griff sich das Packet und verließ mit einem „Oh, da kommt ja mein Weihnachtsgeschenk!“ – ohne ein weiteres Wort das Quartier.