Morgenstunde (21)

Berlin, 1993, Kunstquartier in der Auguststraße. Foto: Petra Elsner

Ja, die undankbaren Ossis… schon wieder einmal … und nach all den neuerlichen Irrungen und Wirrungen … sagt doch wieder eine: „Man muss endlich ganz viel erzählen und einander zuhören.“ Du meine Güte. Die Ossis der 90er Jahre haben sich bis zum Erbrechen erklärt, aber es wollte doch nicht wirklich jemand wissen, was ihnen wichtig war. Ich habe damals schon über linken und rechten Extremismus in Romanform geschrieben, selbst das hat einfach kaum wen interessiert. 1993. Seitdem schreibe ich Märchen. Das sagt wohl alles. Ich gehöre zu jenen Menschen, die nach der Wende nie wieder einen festen Job bekommen haben. Nur weil ich nicht in der sozialen Hängematte herumdümpeln wollte, bin ich in die Freiberuflichkeit gesprungen.
Ich wusste nicht, wie das geht und ich kann Euch sagen, es waren sauschwere, unbeschützte Jahre. Keiner meiner einstigen Kollegen war noch in seinem Beruf  unterwegs. Überall, auch im Kulturbetrieb, standen mir plötzlich westdeutsche Entscheidungsträger gegenüber, die mich nicht kannten und mich schon gar nicht brauchten. Sie sind in den Osten gezogen und haben hier über Jahrzehnte die guten Jobs übernommen. Mit ihrem Reichtum sorgten sie mit der Zeit für „ossifreie Zonen“ im Osten. Nicht nur bei den Jobs, sondern auch in angesagten Stadtquartieren, Kulturorten … Aber das ist ja bekannt – oder? Und jene, die aus glücklicher Fügung ihre Verlagsjob behalten hatten, fühlten sich sehr bald als die besseren Menschen. Wir hier drinnen und ihr da draußen. 17 Jahres-Honorarverträge habe ich als freie Redakteurin „bekommen“, bevor man den letzten einfach auslaufen ließ. Freiwild eben. Sie ließen zu, dass die Honorare ins bodenlose sanken – Du bist ja schließlich nicht mein Kollege, nur eine Freie. Und so oder so erging es in diesem Teil Deutschlands vielen. Der ganze Mist hat mit dem Zugeständnis zu zwei Tarifzonen begonnen. Das Grundgesetz wurde dafür ausgehebelt. Hernach galt nicht mehr: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Man muss sich also nicht wundern, wenn es irgendwann, nach schlapp 30 Jahren, unter dem Teppich zu stinken beginnt.

PS: Übrigens habe ich mich hier schon einmal sehr ausfühlich zu diesem leidigen Thema geäußert.

Morgenstunde (20)

Die Sonnenaugen blün nicht mehr – Saisonschluss im Blumenmond.

Es ist Saisonschluss im Lesegarten. Bis zum Frühling lese ich nun nur noch außerhalb. Halt, das stimmt nicht ganz: Treue Ateliergäste bekommen natürlich in der Adventszeit zum Kaffee von mir eine kleine Geschichte serviert. Ich hab schon mal probeweise die ersten Wiener Mandelkipfel gebacken. Nach dem aufgeregten September brauchten wir einfach etwas Knuspersüßes. Im Advent gibt es bei uns Böhmische Nussplätzchen. Das Rezept wird inzwischen in der dritten Generation von meiner Familie wachgehalten.
Jetzt wird es erst einmal still auf dem Hof und wir beginnen nach und nach mit der Winterfestmachung. Die Bilder im Speicher sind (bei Anmeldung) noch vier Wochen zu sehen, dann werden auch sie verpackt und die Treppe zur Empore geschlossen. Das Häuschen wird dann winterwinzig und im Schreib- und Zeichenatelier ist gerade noch genug Platz für drei bis fünf Gäste. Aber diese Kleingruppen oder Familien empfange ich gerne und hoffe, dass sie sich bei mir nach  Weihnachtsgeschenken umsehen. Bitte einfach anrufen, dann wird Ihnen/Euch gerne das Atelier im kleinen Katen geöffnet.
Draußen hat es zu regnen begonnen, genau die richtige Stimmung, um ein Wintermärchen in meinem Kopf wachsen zu lassen. Wann es in die Tasten fällt, ist noch ungewiss. Aber es wird bald sein. Diese schöne Tradition werde ich wohl so lange durchhalten, bis die ersten Sargnägel klimpern…

Morgenstunde (19)

Unter den Schichten der Zeit lauert die Erinnerung und nagt an der Jetztzeit.
Spruch und Foto: Petra Elsner

Nach der Wahl hören wir all die Klagepunkte (Rente, Pflege, Sicherheit…), die Bürger in den Wahlarenen fordernd formuliert haben, jetzt als Programmpunkte aller, die noch politisch mitmischen. Das ist im Grunde gut, aber diese Sachthemen werden in einer Häufigkeit als Formel aufgetischt, dass sie fast schon wie Allgemeinplätze klingen. Dazu werden sie so pathetisch vorgetragen, als hätten man für alle Zeit den Stein der Weisheit geborgen. Doch dem ist nicht so.
Ich wünschte mir, es würde ein öffentliches Phrasenschwein geben, in das  jeder Phrasendrescher, der ein  öffentliches Amt bekleidet, einzahlen muss. Ein Fünfer pro Plattitüde oder Floskel – wir könnten die Steuern abschaffen… Beispielsweise würde ich zu gerne den Satz zum Verhaltenskodex gegenüber der AFD: „…nicht über jedes Stöckchen springen“ nicht mehr hören. Macht es einfach und kümmert Euch um den Problemstau! Schließlich wurden nicht alle Sorgenplätze der Bürgerschaft in den Talkshows berührt. Es darf also ruhig weiter gefragt werden, was sich ändern muss.

Morgenstunde (18)

Linde am Blumenmond im Herbst.

Es ist noch zeitig. Im Ofen backt schon ein Kuchen, während ich verschlafen meine sieben Sinne suche. Zu 10.30 Uhr hat sich der letzte Septemberbesuch im Atelier angekündigt. Es ist eine Gruppe aus dem ehemaligen Zehdenicker Kulturbund, die sich auf eine zweite Stippvisite zu mir aufmachen wird.
Vor sechs Jahren waren sie das erste Mal hier im Quartier. Kurz vor Ostern 2011. Ich weiß noch, dass es lause kalt war, so dass sich die Besucher blitzschnell aus dem Lesegarten in meine Wohnküche verzogen hatten, um eng beieinander heißen Kaffee zu schlürfen. Die Wohnküche misst knapp 24 Quadratmeter … Wie sie dort dicht beieinander hockten, hab ich ihnen einen kleinen Märchenvortrag im Stehen gehalten. Die 20 Leutchen fanden es kuschlig und ich wunderte mich still, dass das Häuschen keine Ausbeulungen bekam…
Mal sehen wie der neuerliche Besuch läuft. Diesmal kann ich draußen im herbstlichen Blumenmond eine Geschichte vorlesen, denn das Wetter soll ja wieder einmal ein Geschenk für uns alle bereit halten, noch nieselt es…

Wie gemalt: Im Herbst verwandelt sich der Garten  in ein Märchen-Szenario. 
Im Lesegarten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Amselfrau am Teich

Morgenstunde (16)

Foto: Petra Elsner

So, nun Schluss mit der Orakelei. Ich werde morgen natürlich wählen gehen und mich humanistisch entscheiden. Der Bürger muss sich auch als Einzelwesen einmischen.
Mir scheint, die letzten lauten Wochen waren nur ein Vorgeplänkel für eine Zeit, in der auch Westeuropa in gravierende Veränderungen geraten wird.
Gerade deshalb muss man/frau  an der Wahlurne mitmischen …
Habt – wie auch immer – ein schönes Wochenende

Morgenstunde (15)

Treibgut. Foto: pe

Noch eine Woche bis zur Wahl und zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, wem ich meine Stimme geben soll. Ich bin in den medialen Arenen der alten Eliten keinem begegnet, der auch nur annähernd Antworten auf die Herausforderungen unserer unruhigen Welt hervorgebracht hätte. Stattdessen haben wir  hemmungslose und gefährliche Umarmungen im traditionellen Parteiensystem erlebt. Ein gegenseitiges Festhalten in Zeiten der Eruption der welkenden Machtgebilde. Keiner hat wirklich etwas vorgelegt, das sich den Problemen Deutschlands und Welt kreativ stellt. Der einzige, der mich gestern wirklich erstaunte, war Lindner mit seiner freien Rede ohne Pult und Block. Bemerkenswert, aber auch er hatte keine tiefgründige Zukunftsvision, die in den Technikschüben und geopolitischen Konflikten bestehen könnte.
Wir leben in einer Zeit der Mogelpackungen. Wie bei Volkswagen wird eher ein Schleichpfand mit Nebenwirkungen gegangen, als die Probleme der Erneuerung und des Wandels anzupacken. Viele Menschen sind längst mit ihren empirischen Erfahrungen den Politikern voraus und gerade deshalb so unduldsam gegen Phrasendrescherei  geworden. Ich gehe einstweilen in die innere Klausur, um meine Wahrnehmungen zu schärfen – in freier Selbstbestimmung.

Morgenstunde (14)

Es herbstelt.

Die Woche war wie flüchtiges Gas. Der Marktrückbau im Atelier und unzählige Verrichtungen und Kleinigkeiten fraßen die Stunden. Wenn ich mich umschaue, weiß ich kaum noch, was vorgestern war. Heute kam Doro mit ihrem Mann, um das Bild, was sie in meiner Sommerausstellung schon gekauft hatte, endlich abzuholen – nach all den Sommerreisen.

Petra Elsner: Geheimnis 67, 80 x 100, Mischtechnik auf Leinwand

Es wird nach Jena ziehen – das Geheimnis 67. Dieses steht für: UNENDLICH und alles, was sich dahinter verbirgt. Die Spirale als magisches Zeichen für Lebendigkeit, Anschub, Göttlichkeit ….

Irgendwo in diesem universellen Spiralnebel hab ich diese Woche zugebracht. Zwischen herbstlichen Verrichtungen und Mohnblüten.
Im Ofen duftete eben noch ein Blech voll Sauerkirschen-Quark-Kuchen und auf dem Herd köchelt die erste fette Hühnersuppe des  Winterhalbjahres. Der September beginnt sich leise zu färben. Man müsste die Zeit dehnen können…

Weinbergschnecke zu Gast.

Morgenstunde (13)

Zeichnung: Petra Elsner

Florale Motive haben mich lange nicht mehr interessiert. Sie gehörten nicht zu jener  Bilderwelt, aus der sich meine Erfindungen speisen. Aber seit ich in diesem verpeilten Sommer das Märchen „Die Mohnfee und die verschwundene Zeit“ geschrieben und illustriert habe, ist das irgendwie anders. Immer wieder fragen mich Ateliergäste, ob ich nicht diese wundervollen Mohnblüten aus besagter Geschichte ohne Märchen aufs Blatt bringen könnte. Auf dem Berliner Kunstmarkt am vergangenen Wochenende war das auch allenthalben so. Hm, wollte ich eigentlich nicht. Aber nun, da es draußen  regendunkel ist und der Sommer sich wieder aus dem Staub gemacht hat, war mir nach leichter Kost gegen den Trübsinn. Und da sind sie nun, die ersten zwei Mohnblütenblätter. Nein, ich werde das Florale nicht ewiglich betreiben, aber als stimmungsaufhellende Fingerübung sind die Zarten wirklich geeignet. Offenbar helfen Mohnblütenblätter gegen Herbstblues… 🙂

Zeichnung: Petra Elsner

Morgenstunde (12)

September im Lesegarten. Es ist früh am Morgen. Die Lesebanner sind schon aufgehängt und die ersten Möbel aufgestellt. Es fehlt noch das Kaffeegeschirr und die Sitzmöglichkeiten im Blumenmond. Noch liegen die langen Schatten auf der Wiese, aber heute Nachmittag wird hier mildes Sonnenlicht wohnen.

Das Wetter scheint mitzuspielen. Das ist ein Glück, denn heute Nachmittag kommt der Frauentreff aus dem Örtchen Hammer, um das Atelier und den Lesegarten zu besichtigen. Für mich ist das immer total aufregend. Denn man/frau kennt nicht die Erwartungshaltung der Ateliergucker und macht so viel  mehr als vielleicht notwendig. Zum Beispiel ist der Garten frisch frisiert. Klar, dass hätte ich im September eh vorgehabt, aber so auf den Punkt – nicht. Da wir einen Altweibersommertag bekommen haben, können wir die ganze Pracht wenigstens gut genießen. Ich werde 15 Minuten lang im Blumenmond eine Geschichte als Kostprobe vorlesen und Kaffee ausgeben. Danach hoffe ich auf wirklich interessierte Besucher, die sich gut umschauen und all die schönen Dinge mit den Augen berühren. Vor einigen Monaten hatte ich in Hammer eine Autorenlesung gegeben. Die Ausflugsidee der Landfrauen entstand in diesem Kontext. Ich bin gespannt wie das ausgeht.

(pe, 5. September 2017)

Gartenschmöker.

Stunden später:

War schön gewesen. Die Frauengruppe hat sich zwei Bleche voll Kuchen mitgebracht und zur Kaffeezeit meiner Mohnfeegeschichte gelauscht. Mit dem Ergebnis, dass doch ein großer Teil der Besucherinnen Bücher für sich entdeckten. Was will frau mehr! Dazu bekamen wir alle diesen wunderbaren Spätsommertag geschenkt- einfach klasse. Inzwischen ist das ganze Szenario im Garten zurückgebaut, wir sind gut geschafft. Zu morgen hat sich eben der nächste Atelierbesuch angesagt. Eine Kleingruppe, die ein Sommer- und ein Winterbuch von mir haben will – kann sie :).

Pausieren: Besucherinnen vom Frauentreff Hammer bei ihrer Kaffeezeit in der Nachmittagssonne.
Lesung im Sonnenlicht.

Morgenstunde (11)

In den Zeitenwind gesprochen.
Foto: Petra Elsner

Vor nicht allzu langer Zeit wurden die jungen Schreiber von erfahrenen Redakteuren unter die Flügel genommen. Denn so lernt man am besten fliegen (nicht wahr Gitta?). Gemeint ist eine fachlich, stilistisch und journalistisch solide Arbeit. Dabei ging es nicht nur um kompetente Recherche, sondern auch und vor allem um Augenmaß und Verantwortung. Ein Gespür für die Folgen einer Headline zu entwickeln. Das alles gibt es heute kaum noch. Denn die alten Redakteure hocken auf ihrem Erfahrungsberg wie auf einem Goldschatz und hüten ihn verschlossen. Doch das ist keine Rückversicherung für das Verbleiben in den Redaktionsstuben. Längst gehen Sensation und Originalität vor Qualität und Mitmenschlichkeit. Berufsethos – was ist das heute noch?
Mein „Meister“ war einst der Redakteur Eckard Sommer. Er war kaum älter als ich, aber schon lange bei der Presse, während ich als 33-jährige Quereinsteigerin erst nebenberuflich studierte. Er übernahm für mich die sogenannte Zweitlese und trieb mir die schlimmsten ledernen Wortverbindungen aus. Danke Ecki! Ich spreche das ins virtuelle Nirwana, weil ich den Herrn Sommer kurz nach der Wende aus den Augen verloren habe. Sehr schade.
Schüler-Meister, dass ist, wie ich finde, auch heute noch ein wichtiges gesellschaftliches Verhältnis. Ein starkes Bindemittel. Die Jungen denken vielleicht, es gibt Google, was soll ich da noch irgendjemanden fragen. Aber Gespür und Instinkt bekommt man nicht über eine Suchmaschine serviert. Es gab schon einmal solch einen gesellschaftlichen Einbruch, nach dem die Jungen glaubten, die Alten nicht mehr zu brauchen. Es war die Erfindung der Schrift… (pe, 2. September 2017)