Die 90er Jahre wuseln derzeit immer öfter durch meine Gedanken. Und manchmal suche ich heute aus ihnen einen Menschen, den ich in all dem Gewimmel verlor. Eine alte Freundin aus Zeuthen, einen Studienkumpel von anno knips, einen entfernten Verwandten… Die Zeit war so eilig und so dramatisch überlagert von Ereignissen, dass es mich manchmal nicht einmal erreichte, dass jemand verstorben war. Da kam vielleicht eine Nachricht zum Vater, der in einem neuen Leben steckte und er gab sie an mich nicht weiter. Warum auch immer. Zum Beispiel die Sterbenachricht von Frieda, Großvaters zweite Frau. Ich weiß nicht, wann und wo und kann es auch niemanden fragen. Irgendwann – fast 30 Jahre später blitzt so ein Stück verschollenes Leben in meinen Gedanken auf und bohrt sich zurück in mein Herz. Ich klicke mich dann bei Facebook oder Wikipedia durch das Menschengewimmel, aber bei Frieda bringt das nichts, sie hat die Sozialen Netzwerke nicht mehr erlebt. Umso älter ich werde, desto dringlicher treten diese Verluste im Gedächtnis an und ich staune, wie viele es sind, wie viele verschwundene, verlassene Lebensplätze, spurlose Lebensenden, Nachwendeschäden in der Seele. Manchmal habe ich Glück und ich finde einen, eine wieder und es gibt dieses eine Nachtgespräch, dass eine neuerliche Verbindung herstellt, aber das ist doch eher selten. Wie oft denke ich beispielsweise, wenn ich die Stimme von Tom Böttcher auf „radio 1“ höre, ist das nicht einer der Söhne meiner Freundin Karen, aus Zeuthen? Aber in Zeuthen ist sie nicht mehr zu finden, vielleicht lebt sie gar nicht mehr. Ich würde gerne ihre großartigen Gedichte aus den 80er Jahren noch einmal lesen, aber zuweilen kommt man eben nicht mehr an… so entstehen die Geheimnisse des Lebens.
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