Ende der Schreibzeit


Die Schreibzeit ist abgeschlossen. Gestern entstand noch diese kleine Abgangsgeschichte, ab morgen werde ich die Texte layouten, dann kann meine Handproduktion der Künstler-Hefte beginnen…

Wenn der Traum den Hut zieht

Er spreizte sich und referierte „Träume kann man nicht einsperren. Sie haben Flügel, die durch Raum und Zeit gleiten und dich einholen, wohin du dich auch verirrst. Sie haken sich an deinem Mantel fest. Und jede verdammte Nacht schleichen sie sich aufs Neue an.“ Der alte Kasper zog die Zipfelmütze vom Kahlkopf und senkte seinen Blick, als würde ein Vorhang fallen. Er wusste, wovon er sprach, aber das Rampenlicht war lange schon erloschen. Er hatte seinen Traum erreicht, und nun flüsterte er nur noch aus dem Dunkel. Ob ihn jemand hörte? „Kommt schon! Wo habt ihr eure Ohren? Keiner da?“ rief er halblaut in die Kammer und lauschte. Es regte sich nichts.
Da sprach der Kasper wieder mit sich selbst: „Ich weiß ja, es schmerzt, wenn dir niemand mehr zuschaut, wenn du singst und spielst. Aber ganz gleich, denn nachts kannst du die Traumflügel überstreifen und aufsteigen wie ein Ikarus. Im Traumschatten bist du frei. Meistens jedenfalls, wenn du nicht einem Trugbild aufsitzt. Denn das Leben verträumen, meine ich nicht. Einen Lebenstraum muss man packen wie einen Stier bei den Hörnern.“ Der Kasper nickte seinem Gedanken nach und sinnierte betreten: „Was aber, wenn sich der Lebenstraum verabschiedet? Er einfach den Hut zückt und weiterzieht, dem Land der Jugend entgegen? Tja, dann ist guter Rat teuer und die Stimme wird rostig.“
„Na, dann kommt ein neuer Traum vorbei“, knautschte eine Stimme „Der schenkt dir vielleicht Reiseflügel oder Gartenträume am sicheren Ort.“
Der Kasper knipste seine Taschenlampe an und sah sich suchend um. Es war eine zerrupfte Brockenhexe, die an der Kammerdecke hing.
„Ah, noch eine Ausgediente,“ brummte der Kasper. „Solche Träume meine ich nicht und auch keine Nachtfantasien, in denen wir alle wieder jung und schön sind. Ich will den alten Kasper spielen im vollen Scheinwerferlicht, aber man besetzt mich nicht mehr.“
„Kannst du dir doch erträumen, oder etwa nicht?“ fragte die Brockenhexe auf dem Besen.
„Das geht nicht, denn ich weiß ja schon, dass es nicht passieren wird. Ich liege im Staub der Zeit. Niemand will meine Faltenfurchen sehen und hören, wenn ein Schatzmeister über seine Lebensperlen spricht. Sie taugen nicht für die Moderne.“
„Oh, ich habe einen guten Besen, der kann Staub aufwirbeln.“
„Mach keine Witze, wenn ich über mein Leben sinniere!“
„Hört das denn niemals auf? Sollte diese Frage im Alter nicht längst passé sein?“
„Nein. Sie stellt sich immer wieder neu. Man träumt doch nicht, für immer abzutreten. Da sind wohl Sinnfragen angemessen.“
Die Hexe räuspert sich dünn: „Herr Kasper, wir sind doch nur die Hüter von längst Vergangenem.“
„Mag sein, aber das Sehnen nach Vollendung bleibt, selbst wenn die Träume ausgeträumt sind.

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