Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (6)

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

… Die Stadt lärmte schon ihr morgendliches Getöse, als sich quietschend der Containerdeckel lüftete. Wallo streifte eine Sekunde warmes Sonnenlicht, dann, was für ein schauerliches Erwachen, ergoss sich eine  grässliche Müll-Ladung über den Grüngeist, daraufhin schloss sich der Deckel wieder krachend.

„Mein Gott, was ist das Ekliges?“, schrie Wallo entsetzt in seiner düsteren Schlafstelle. Die Sache roch schlecht, klebte, und überhaupt, Wallo plagten mächtige Kopfschmerzen an diesem Morgen. Er hatte sich noch nicht den Matsch vom Leib gewischt, da ergoss sich die nächste Portion über ihn.

Gerade rieb sich der Grüngeist die Stielaugen, als es über ihm kurz knackte und etwas scharf pfiff: „Was machst du in meinem Frühstück.“

Der Erwachende.
Der Erwachende.

Wallo stutzte. Einen Spalt weit stand jetzt der Deckel auf. Im Gegenlicht erblickte Wallo eine merkwürdige Gestalt, die sehr wütend vor sich hin zischte und pfiff. „So weit kommt es noch, dass mir, Nack, dem Fürchterlichen, jemand das Frühstück klaut. Ungeheuerlich! Warte,  dir zeig ich’s. Mir frisst keiner ungestraft was weg!“

Ehe Wallo etwas sagen konnte, sprang die Gestalt ins Halbdunkel und ging mit gefletschten Zähnen auf ihn los. Aber der rasende Nack riss nur Löcher in Wallos Hemd. Sein Körper jedoch schien unverletzbar.

Wallo griff mit seinen Ärmelstrahlen den Angreifer und hielt den wutschnaubenden Nack ausgestreckt von sich:

„Gib Ruhe! Ich will deine Leckerbissen nicht!“

Nack.
Nack.

Nack zappelte wild: „Du kannst mir viel erzählen! So wie du aussiehst, frisst du alles, was du kriegen kannst. Was bist du eigentlich für einer?“

„Ich bin ein obdachloser Baumgeist.“

„Ein waaas?“

„Ja, ich bin ein grüner Lichtschweif und war bis gestern die Seele eine Baumes“, antwortete Wallo ruhig. „Kann ich dich jetzt loslassen, ohne dass du weiter verrückt spielst?“

Nack lachte ein kaltes, höhnisches Lachen: „Hah, ich spinne nicht halb so viel wie ein anderer in dieser Blechbüchse. Aber okay, lass mich runter.“

„Du kannst ganz beruhigt sein, ich tu dir nichts“, versicherte Wallo dem kleinen, haarigen Kerl.

Der pfiff überheblich mit rollenden Augen:

„Baumgeist, oha, oho, grüner Lichtschweif, ha! Was ich sehe, ist ein schmieriges Ungetüm in abgerissenem Hemd. Von wegen grün und licht. Du bist nicht ganz dicht in deinem Drachenkopf, was?“

Während Nack das sagte, schaute Wallo beschämt an sich herab. Wirklich, von seinem Grünlicht war keine Spur mehr. Der Ruß, die klebrige Müllmasse saßen fest auf ihm, wie eine schrumplige, schmutzige Haut. Kein Wunder, dass Nack ihm nicht glaubte.

Nack stolzierte, die Arme auf seinem Rücken verschränkt, auf und ab. Griff sich einen für ihn lukullischen Apfelgriebs und nagte genüsslich an ihm, wobei er immer wieder lauernd zu Wallo aufsah. Doch sein Hunger war nunmehr größer als seine Furcht vor dem massigen Mülldrachen.

Aber auch Wallo bestaunte seinen Morgenschreck. Über seinem Fellkörper trug Nack einen schwarzen Lederoverall, der von einer dicken Metallkette gegürtet war. Auf dem Haupt thronten ein blauer und ein gelber Fellstreifen und an Nacks Barthaaren hingen winzige Goldglöckchen, die bei jedem Atemzug hektisch läuteten.

Wallos prüfender Blick störte Nack: „Was gaffst du so! Noch nie ’ne Hard-Rocker-Panky-Ratte beim Essen gesehen?“

„Nein“, antwortete Wallo.

„Komisch, dabei wimmelt es nur so von Rattengangs in diesem Viertel“, wunderte sich Nack. „Aber du? Nun mal ohne Flunkern: Wer bist du, und wo kommst du her?“ Nack setzte sich gespannt auf eine leere Bohnenbüchse, begann ausgiebig zu speisen.

Wallo seufzte tief: „Ich heiße Wallo und ich lüge nie. Ob du es nun glaubst oder nicht, das ändert gar nichts, ich bin wirklich die Seele eines alten Baumes. Der ist aber gestern Nacht abgebrannt, und ich wusste einfach nicht, wohin. Diese Mülltonne war das Einzige, was sich als Schlafplatz bot.“

Nack nickte cool: „Den Ärger kenn’ ich, wenn du erst einmal ohne Dach über dem Kopf bist, nimmt dich in einer großen Stadt so schnell keiner auf. Aber, eines bekomme ich nicht in auf die Reihe, wenn du eine Baumseele bist, wieso kann ich dich sehen, und warum bist du nicht im Seelenhimmel, wenn es deinen Baum nicht mehr gibt?“

Wallo kratzte sich nachdenklich am Gurkenkopf. „Wenn ich das nur selbst wüsste. Normalerweise sind wir, die Seelen von Lebewesen und den Dingen, überhaupt nicht sichtbar. Ich weiß nicht, wie es kam, dass es mit mir plötzlich anders war“, grummelte er. „Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, bin aber nicht drauf gekommen. Womöglich hat es nur etwas damit zu tun, dass Ken in mir war, der Baum schon tot, ich nichts Besseres zu tun hatte, als auf Kens Rufen hin zu erscheinen. Vielleicht waren die Schwingungen günstig, standen die Planeten gut, hatten sich besondere magnetische Felder gebildet oder sonst etwas. Keine Ahnung. Mir schwirrt alles im Kopf durcheinander. lass uns hinausgehen, ich brauche dringend frische Luft. Alles andere ist mir momentan egal. Kommst du mit?“

„Moment mal. Machen wir. Gleich, später“, nuschelte Nack mit einem Wurstzipfel zwischen den Zähnen.

„Erst muss ich mir noch ein paar Leckerbissen zusammensuchen, und du klärst mich inzwischen auf. Wer ist dieser Typ, ähm, Ken, ja?“

Wallo lehnte sich wehmütig zurück und erzählte Nack von seinem toten Walnussbaum, der Höhle und Ken.

Nack hatte gut zugehört. Jetzt stellte er lebenspraktisch wie er war fest:

„Gut, du warst eine Baumseele. Wenn schon, aber eine Baumseele ohne Baum macht keinen Sinn. Sag das einem da draußen, der legt sich doch glatt vor Lachen hin. Die Wesen glauben lieber dem Schein. Und für mich siehst du aus wie ein obdachloser Stadtdrache. Das mit der Seele war einmal, ab jetzt bist du Drache. Okay? Du wirst sehen, das gibt dir mehr Ansehen. Komm jetzt, ich zeige dir, wo ich wohne.

 

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