Ein weihnachtliches Abenteuer von Petra Elsner
Das Flügelmädchen Malve erwachte im Moos als es zu schneien begann. Leise wisperte es seine Klage: „Ich friere so sehr.“ Malve zitterte und senkte wieder die Lieder. Der Eichelhäher hörte das Jammern und weckte mit seinem lauten Rätschen den ganzen Wald. Alvin, der Eichkater blinzelte verschlafen aus seiner Baumhöhle und entdeckte im Flockenwirbel die zarte Gestalt. Schnell raffte er seine rote Schlafdecke und war mit flinken Sprüngen bald bei der Winselnden: „Dich hat wohl der Sommer vergessen?“ Er wickelte fürsorglich die Decke um Malve, doch genau in diesem Augenblick wurde sie von der Erde verschluckt und das rote Tuch sackte als leeres Häufchen zusammen.
„Wer oder was war das?“ schrie Alvin entsetzt. Indem schwebte der Eichelhäher aus einem Baumwipfel zu dieser Stelle. Dort klaffte ein dunkles Loch, in das der Rabenvogel lugte und schließlich krächzte: „Zeigt euch ihr Erdlinge – alle!“ Der Wald begann zu rascheln und zu knistern. Soweit das Auge schauen konnte, öffneten sich Höhlengänge, scharrten sich unzählige Mäuse und Maulwürfe, kleine Kobolde und große Käfer hervor. Selbst eine fast erstarrte Ringelnatter hob ihren Kopf in die Winterluft und eine alte Kröte auch. Die hustete und raunte dann: „Es war der Riesenratterich. Der stiehlt alle Wesen, die einen guten Zauber verströmen. Auf das winterlahme Flügelmädchen hat er schon lange gelauert.“
„Oh, wie entsetzlich! Ich muss hinterher und Malve retten“. Der Eichkater wollte schon in das Erdloch springen, da stöhnte die Kröte noch: „Das wird schwer, denn der Riesenratterich atmet auch den Mutigen die guten Gedanken weg und ersetzt sie gegen Frust und Gier. Du musst dich sehr in Acht nehmen.“ Dann grub sich die alte Kröte zurück in das Erdinnere.„Wie soll ich mich schützen?“, fragte sich der Eichkater ratlos und tippelte nervös auf und ab. „Schöpf dir etwas Blaunebel aus der Dämmerung und verberge dich in ihm, wenn du in die Erde steigst“, flüsterte ein listiger Mooskobold. Gesagt, getan. In der Blauen Stunde fing sich Alvin mit einem großen Tuch Blaunebel ein und huschte mit dem Bündel über die dünne Schneedecke zu dem Erdloch, in dem das Flügelmädchen verschwunden war. Vorsichtig stieg er ab. Es roch modrig und seine dunklen Augen mussten sich sehr anstrengen, um etwas zu entdecken. Irgendwo in der Ferne blitze ein schmaler Lichtschein in den schwarzen Gang. Der Eichkater schlich dem Licht entgegen und linste in den hellen Schein. Da sah er sie, viele kleine Weihnachtsfeen, gefesselt an Händen und Füßen, und dort hockte auch Malve. Sie alle schienen steif vor Angst. Der Riesenratterich marschierte durch den Kerker und drohte: „Keine von euch wird dieses Jahr ihren Weihnachtszauber in die Welt bringen, denn ich werde all eure guten Wunschgedanken verbrauchen, bis ihr gar nichts mehr könnt.“ Die Feen schluchzten leise vor sich hin, als der Unhold sich eine von ihnen griff und ihren Atem aufsog. Danach hing sie nur noch schlapp in seiner Pranke.
Der Eichkater fuhr erschrocken zurück ins Dunkel. Was für ein Ungeheuer! Es schauderte ihn bis in die letzte Fellspitze, aber er musste etwas tun. Der Blaunebel würde ihn verbergen. Alvin öffnete das Bündel und zwängte sich im Schutz einer blauen Wolke durch den Spalt in den Kerker. Die Feen zuckten etwas erschrocken, als plötzlich irgendetwas ihre Fesseln zernagte. Sie hielten aber still, damit der Riesenratterich nichts davon bemerkte. Der verließ inzwischen den Kerker, um wieder auf Jagd zu gehen. Da sprang Alvin aus dem Blaunebel und rief den ängstlichen Feen zu: „Ihr müsst euch wehren!“ „Wie soll das gehen? Wir sind viel zu schwach mit unserem kleinen Zauber“, hauchten die Zarten. „Na, dann vereint eure Magie! Ihr müsst einfach nur alle das Gleiche wünschen!“, rief der Eichkater. Die Weihnachtsfeen waren immer allein unterwegs, so war ihnen dieser Gedanke nicht gekommen. Sie tuschelten sehr aufgeregt miteinander. Als die knarrende Kerkerpforte wieder aufsprang schrien sie wie mit einer Stimme: „Her mit dem guten Zauber, der dir nicht gehört!“ und hielten dem Ungetüm ihre funkelnden Zauberstäbe entgegen. Da hustete und pustete der Riesenratterich, sein Atem fuhr wie ein Wind aus ihm, und er schrumpfte dabei zu einem Staubkornwinzling. All die ausgesogenen Wesen erwachten hier und überall im Land wieder zu neuem Leben. Die Feen staunten über die Kraft ihrer Gemeinschaft. Das würden sie niemals vergessen. Während sie den düsteren Ort verließen, schlug Alvin die rote Decke um das immer noch frierende Flügelmädchen und fand: „Jetzt siehst du fast wie eine Weihnachtsfee aus.“ Malve fragte „Was müssen Weihnachtsfeen können? Ich tanze ja nur mit den Blumen und belohne die Menschen mit einem freundlichen Zauber.“ Der Eichkater lächelte: „Das machen die Weihnachtsfeen auch. Du musst halt nur mit den Flocken tanzen lernen und für den guten Geist der Weihnacht sorgen.“ Malve raffte entschlossen die schleifende, rote Decke und verschwand mit einem „Das will ich tun!“ in der Winternacht.
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Das will auch ich tun.