Die Schmetterlingswiesen sind verblüht und stehen trockengrau, also kommt die Mahd. Gestern Nachmittag schon und heute folgt der Rest unter den Obstbäumen. Ich will die letzten trockenen Stunden dafür nutzen. Der Garten bekommt so augenblicklich wieder Weite, auch schön, aber ehrlich, die Wildblumenwiese war mir lieber, doch alles ist vergänglich…
Für Euch kommt hier eine weitere Leseprobe aus „Die Zeit der weißen Wälder“ (meinem aktuellen Roman-Projekt):
… Samstagnachmittag fuhr Emilia nach Reichenbach. Schlapp 20 Kilometer waren es nur von dem Dörfchen bei Niesky. Abends würde sie in ihr Fremdenzimmer zurückkehren. Sie wollte die sichere Distanz bewahren und sich nicht sofort von der Familienvergangenheit vereinnahmen lassen. Aber würde das gehen? In der Parktasche vor dem Ackerbürgermuseum in der Görlitzer Straße stoppte sie. Es war ihr, als lächelte sie das fein sanierte, weinberankte Kleinstadthäuschen an. Sie hatte Glück, denn das Museum öffnete nur am Wochenende. Emilia trödelte ein wenig ratlos durch das rekonstruierte Hausinnere, den schönen Garten und die anliegenden Werkstätten. Was suchte sie hier? In ihrer Erinnerung hing in der Vorgängerin dieser „Guten Stube“ eine kleine Malerei ihres Urgroßvaters, aber nach der Erneuerung zierten jetzt große Fotos die sandgelben Wände. Auf dem großen Tisch in der Raummitte lagen Fotoalben, als hätte soeben ein Familienbesuch dazu geführt, den Nachfahren ein altes Foto von einer Hochzeit oder einem runden Jahrestag zu zeigen. Sie zog sich einen der dunklen Holzstühle zurecht, setzte sich und begann in die schwarzweißen Fotogesichter zu schauen. Während sie blätterte, hatte sie das Gefühl, gleich würde Fredi an den Tisch heranschlurfen und sich mit einer Tasse Eingebrocktem zu ihr setzen. Diesen Schlabberkram aus Malzkaffee, Milch, Zucker und Weißbrotstücken mochte sie so gar nicht und schüttelte sich jetzt angewidert. Ja, diese Stube atmete das Original der kleinen Leute von einst, nur war Fredis Stube viel dunkler und dichter möbliert. Die Enge zwang dazu. Emilia wollte schon gehen, als die Museumsaufsicht mit einem Stapel Broschüren das Ziegelpflaster im Hausflur betrat und den Gast freundlich ansprach: „Die Nachauflage unserer Künstler-Broschüre ist gerade eingetroffen. Möchten Sie mal reinsehen? Allein die Stadt Reichenbach hatte in den 1900er Jahren immerhin 13 Kunstmaler. Deswegen finden Sie auch keine Gemälde mehr in unserem Museum. Alle oder keiner, sonst gibt es nur böses Blut, denn für alle ist eben dieses Haus zu klein. Aber schauen Sie mal, so sahen diese Maler damals ihre Stadt und deren Umgebung.“
Emilia griff nach dem obersten Bändchen und sah, das erste Bild neben den Geleitworten zeigte ihren Urgroßvater an seiner Staffelei. Zwischen Eingangstür und Küchentür hatte er auf lumpigen zwei Quadratmetern gearbeitet. Ein paar Sonntagsstunden. Das Bildwerk darin war vielleicht 1,20 Meter breit. Eine Welt in der Welt und von dort aus, ein Blick in die Weite, die wie in Zeitlupe entstand. Minutiös, Pinselstrich an Pinselstrich glänzende Ölfarbe und ein Dunst aus Malöl und Terpentin zog durch den Raum. Emilias Sinne nahmen die Foto-Pose in sich auf und sie dachte dazu: Wie klein Fredis Welt war und doch holte er für sich und andere verlorene Landschaften zurück in diese Nachkriegsstuben: Das Isermoor, das Kirchlein von Morchenstern, die Wälder Nordböhmens. Später erst erkundete er künstlerisch die neue Heimat, den Rotstein, den Töpferberg, das Hussitentor… Still bei sich. Emilia wusste von ihrer Mutter, dass Fredi sich nie wagte auszustellen. Er fürchtete sich vor der öffentlichen Kritik, vor dem Verriss seiner Heimatmalerei als kleinbürgerlich rückständig. So schuf er nach innengewandt und in diesem Schutzraum durfte er alles.
Emilia verließ mit der Künstler-Broschüre das kleine Museum. Sie steckte das Bändchen in eine leere Papiertüte und dachte: Mutter konnte das auch – auf wenigen Quadratmetern Bilderwelten schaffen. Viele Jahre ohne Atelier. Sie legte einfach ein paar Plastiksäcke auf den Wohnzimmerboden und legte los. Sie war die Einzige dieser Familie, die sich wirklich traute, von ihrer Kunst zu leben. Wahrlich nicht immer gut. Aber gerade das fürchten die Menschen seit der Zeit der Aufklärung. Die Freiheit der Kunst von Glaubenszwängen, aber auch vom Dienstherren-Salär, führte in das Risiko der Verarmung. Heutzutage bauen sich manche gut betuchten Rentner nach einem sicheren Berufsleben erst einmal ein stattliches Atelier, bevor sie beginnen, ihre erste Leinwand zu bepinseln. Sie nennen sich ein Jahr später „Künstler“ und stellen ihre Anfängerarbeiten in Kaffeehäusern und Zahnarztpraxen zur Schau. Aber ach, Emilia wollte das nicht weiter sinnieren. Sie startete das Auto und fuhr aus der Stadt…
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Liebe Petra, leider habe ich deine @mail Adresse nicht, deshalb auf diesem Weg die Nachricht, dass ich heute wieder einmal zwei von deinen Gedichten im Park von Graal-Müritz unter der Lyrikbuche vorgetragen habe.
Sie fanden großen Anklang, so dass ich auch deine Bilder dazu präsentierte.
Dir wünsche ich alles Gute und Freude bei allem, was du tust.
Ich habe inzwischen Berlin verlassen und bin sicher auch aufgrund der Erfahrungen unter Corona , ganz an die Küste gezogen.
Bis bald einmal in deinem Atelier , Marion Petznick
Liebe Marion, schön von Dir zu lesen. Welche Gedichte hattest Du denn auserwählt? Ich hoffe, es geht Dir gut an der Küste. Wir haben vor 14 Jahren Berlin verlassen und ehrlich, bis auf meine Stammkneipe fehlt mir gar nichts. Nach der dritten Welle hat auch die für immer geschlossen… Was macht Deine Schreiberei? Meine interne Mailadresse lautet: petraelsner@gmx.de
Liebe Grüße aus der Schorfheide von Petra