Eigentlich wollte ich nie wieder über das Arbeiten für Zeitungen schreiben. Eines Tages saß ich in einem Wartezimmer beim Arzt, lange und als ich nach zweieinhalb Stunden endlich dran war und mein Blutdruck 110 zu 180 anzeigte, wurde ich gefragt, ob ich mich aufgeregt oder Angst hätte. Ich schüttelte ahnungslos meinen Kopf. Erst auf dem Nachhauseweg wurde mir klar, was diesen Tumult ausgelöst hatte – das Büchlein „Der letzte Zeitungsleser“ von Michael Angeles, was ich im Wartezimmer las. Die Fiktion erzählt von einer Zeit, in der es kaum noch Zeitungen geben wird und der Hatz nach jener Rarität. Alles was darin berichtet wird, ist wie aus der Jetztzeit gepflückt, einer Zeit, in der die Blätter zu Filterpapier verkommen und verelenden. Beim Lesen raste mein Puls los, denn mein Innerstes schrie als wären die Zeilen in eine offene Wunde gefallen. Und das waren sie auch. An diesem Tag habe ich mir gesagt, es ist die Sache nicht wert, sich soooo aufzuregen. Aber das ist nicht wahr. Der Autor und Blogger Arno von Rosen hat mir heute mit seinem Beitrag über NACHRICHTEN dieses Stöckchen hingehalten. Er verwies darin auf einen guten Artikel von Sanra Matteotti, die den Verfall der Schweizer Zeitungslandschaft kommentiert und die Folgen für die Demokratie aufzeigt. Diesen Prozess haben wir im Osten Deutschlands schon lange durch. Seit mehr als zehn Jahren verkam das Zeitungsmachen zum FÜLLEN von Papier. Immer weniger Menschen müssen immer mehr Seiten schruppen. Das hat haarige Auswirkungen auf die Qualität von Recherche und Text. Und weil die Artikel im Mengen „ausgeworfen“ werden, als würden sie Maschinen produzieren, ist auch der verlegerische Umgang mit den Journalisten respektlos geworden. Von den freien Mitarbeitern will ich gar nicht erst reden. Die kommen noch hinter den Paketsklaven der Post. Was waren wir früher stolz über jede Edelfeder, die für unser Blättchen schrieb! Die Redaktion hat diesem Talent den Rücken frei geschaufelt und es gehütet und gepflegt. Heute sind alle Schreiber nur noch Kostenfaktoren. Und jeder, der noch draufsitzt auf dem alten Zeitungsdampfer hofft, der Pott möge ihn noch über die letzten Lebenswellen bis zur Rente tragen. Aber das ist ungewiss, wie die Frage, was kommt danach.
(pe, 29. August 2017)
Views: 2012
Gänsehaut. Schüttelfrost – bei Sommerwetter. Puls?
Ach Petra … Du schreibst in meine Seele.
Nach der Wende kamen sich viele wie Vögel vor. Ich lernte fliegen!
(Like an eagle)
Und nun?
Alles amüsant, aber zu nichts zu gebrauchen.
Und: es ist so wie Du es beschreibst 🙁
Sei umarmt von G. PM
Liebe Gitta, ich dank‘ Dir für Dein Lebenszeichen. Manchmal schmerzen die alten Lebensnarben halt … aber wir hatten wenigstens ein ganzes Jahr im ganzen Leben (1990) in dem wir schreiben konnten, was wir wollten … Das ist eine Erfahrung wie eine große Reise, man kann sie uns nicht nehmen.
Sommergrüße aus der Schorfheide, meine Gute! Deine Petra
Danke für deine interessante Stellungnahme und den Link. Ich glaube die Papierzeitung begann zu sterben, als die sozialen Plattformen (wo ich mich immer frage wieso sozial, es ist mehr asozial als alles andere) wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Die Zunkunft kann nur in einem Bündel liegen, wo die Papierzeitung ein Teil ist und andere Teile aus Anschaffungen bestehen, wie Elektrogeräte, Reisen usw. damit der Zeitungskauf schmerzfrei und unberechnet getätigt wird. Damit wird dann aber auch das letzte Bisschen Unabhängigkeit verloren gegangen sein.
Lieber Arno, „schmerzfrei und unberechnet“ – schöne neue Welt …:). Danke für Deine visionären Zeilen!
Das kenne ich aus eigener Erfahrung bei der Zeitung, als Fotograf. Nach der Wende wurde ich von einer neuen Zeitung angeworben und ich verließ die Märkische Volksstimme, die in eine Art Lethargie verfallen war. Ich bekam ein sehr gutes Gehalt als Fotoredakteur und hatte dann fast ein Jahr lange keinen! freien Tag mehr. Die Arbeitszeit richtete sich nach allen „wichtigen Dingen“ die so passierten, vor allem Brände, Unfälle und Sportereignisse waren der Renner. Meine Ehe bekam da schon die ersten schweren Risse und hatte sich nicht wirklich mehr davon erholt was vor knapp zwei Jahren auch die Trennung brachte. Mit den Jahren kamen etliche Redakteure aus dem „Westen“ hinzu und unsere „Aufbauer“ der zeitung, die Ossis mit Lokalwissen, wurden Stück um Stück weggelobt. Man brauchte keine Leute mit Rückgrat, es blieben nur noch die Ossis, die das Lecken an einer bestimmten Körperstelle beherrschten und im Schnitt keine der guten Schreiber waren. 1998 wurde ich gekündigt nach einem Jahr Mobbing denn ich war zu teuer. Für mich wurden dann zwei Freie eingestellt, die sich mein Gehalt teilten. Und mit der Digitalisierung und vor allem einfachsten digitalen Kameras 2005 die „Revolution“ in dieser Zeitung. Alle Fotografen der Zeitungen, (es gab insgesamt drei davon im Land Brandenburg) die zusammen gehörten, wurden in Hauptquartier bestellt und ihnen die fristlose Kündigung verabreicht. Im selben Moment erhielt jeder freie Schreiber eine kleine digitale Kompaktkamera auf den Schreibtisch und eine Fotosoftware auf den Computer. Und somit wurde die Fotografie, oder besser das Knipsen, gleich auf eine Person konzentriert 😉 Wundert es dass diese Zeitung irgendwann abgewickelt wurde und nun einer Größeren gehört? Es gab mal den Spruch „Leben und leben lassen“ von Leuten die genug Geld hatten und andere auch leben lassen wollten, also eine Art Fairness. Aber das ist in den letzten Jahren im Zuge einer ungebremsten Gier nach Geld und Macht zu einer Seltenheit verödet.
Und dann die Kehrseite, warum macht eine blöde Zeitung mit den großen Bildern und Lettern trotzdem Auflage? Obwohl (fast) Jeder weiß wie blöd die sind?
Letztendlich liegt alles auch am Menschen selbst, also nicht unterkriegen lassen und neue Wege für seine Talente und Freude am Tun finden. Klingt sehr naiv, ist es aber nicht wenn man drüber nachdenkt, finde ich. Und ja, die „sozialen Medien“ sind genau das was mein Vorredner schreibt, außer man nutzt sie gezielter für sich selbst und ist stark genug sich nicht von Dümmlichkeiten aus der Bahn werfen zu lassen. Ich hatte mich durch meine Bekanntschaft mit einer Frau und ihren Interessen ganz schön von meinem Weg abbringen lassen bis zum Reset. Seitdem lasse ich alles was mich belastet und mir nicht gut tut aus und ich bin wieder auf den Seiten unterwegs, die mir Freude und Inspiration geben. Wie schon vor zwei Jahren. Und ich merke wie mir das gut tut und Kraft gibt.
Vielleicht konnte ich Dir damit etwas helfen, ich weiß ich komme vom Hundertsten ins Tausendste, kurz gesagt, ich denke die Zeitungslandschaft ist kleiner aber auch in manchen Bereichen Qualitätvoller geworden. Umdenken und nicht aufgeben ist angesagt. Und das geht 😉 🙂
Liebe Grüße Frank
Lieber Frank, ich merke schon, da habe ich einen Schmerz berührt. Danke für Deine ausgühlichen Gedanken! Ich kenne das alles haarklein. Bin ich doch mit einem freien Fotografen verheiratet…1992 kam auch für den letzten Rest (36 Redakteure) des Verlages Junge Welt (Verlag, nicht Tageszeitung) die Kündigung. Damals hatte Berlin rund 5000 arbeitslose Journalisten. Freie Stellen wurden lange nicht mit Leuten aus dem Osten besetzt. Seit dem bin ich freiberuflich und habe mir dabei viele Verletzungen eingetreten, über die ich nicht mehr reden will. Über die Zeit habe ich alle meine Berufe neu belebt – Gott sei Dank gibt es da noch diese grafische Seite in mir…. Alles Gute, Petra
Liebe Petra, Du hast so Recht. Ich wollte das auch nicht mehr denken und nicht mehr dran rühren. Ist hier auch das einzige mal dass ich so ausführlich drüber geschrieben habe, denn ich bin mir bewusst dass Ihr ebenso einiges durch habt. Und ich habe festgestellt, dass ich alles immer noch gern fotografiere, am liebsten meine Landschaften. Und so schlägt man sich durch so gut es eben geht. Ich hoffe ich schaffe auch in diesem jahr noch meinen Panorama-Kalender.
Auch Dir/Euch alles Gute, Frank
… lieber Frank, alles gut, so machen wir das auch. Drücke Dir die Daumen für Deinen Panorama-Kalender. Mein Eulenkalender (Morgenstunde 4) beginnt auch seine Anhänger zu finden. Das ist ein super-schönes Gefühl!