Dieses Schiffchen bekam ich irgendwann einmal von meinem Malerfreund Ecki Böttger geschenkt. Er hatte es in irgendeinem Quartier im Abriss gefunden, bevor nach Klingmühl die Braunkohlenbagger kommen sollten. Es war eine Gabe, in der unausgesprochen die Worte: „Mach was draus!“ mitschwangen. Was Ecki nicht wusste: Meine Großeltern väterlicherseits waren einst Weber in Schlesien. So hatte dieses Schiffchen für mich etwas seltsam Vertrautes, aber es lag und lag Jahre, bis ich es derletzt im Lesegarten als eine Art Arche aufgestellt habe. Für alle, die wir zurückgelassen haben in der Zeit … (pe)
Am kommenden Sonntag gibt es zum letzten Male von 15 bis 18 Uhr eine Sonntagsöffnungszeit. Danach endet nicht nur die Saison, sondern, ich streiche die offenen Sonntage aus meinem Leben. Sieben Jahre lang habe ich sonntags zur Kaffeezeit Einblicke ins Atelier gewährt. Anfänglich ganzjährig, später in der Sommersaison, nun stelle ich fest – der Aufwand ist einfach zu groß für die wenigen, die sich wirklich unangekündigt auf den Weg machten.
So wird es fortan heißen:
Einblicke ins Atelier sind auf telefonische Anfrage möglich.
Dann schließe ich gern für Neugierige auf. Ansonsten aber will ich mich auf meine schöpferische Arbeit konzentrieren – das sogenannte Kerngeschäft: Malen-Schreiben-Zeichnen- Ausstellen-Lesen. Im siebenten Jahr unseres Lebens auf dem Lande braucht es nun ein Korrektiv. Es sind viele schöne Ereignisse ich den letzten Tagen in mein Leben getreten: Drei Verträge konnte ich unterschreiben, zwei werden sich noch im November in reale Bücher verwandeln, der dritte wird meine Winterarbeit umfassen. Es ist eine tiefe Freude in meinem Herzen. Wenn es greifbar ist, erzähle ich mehr …. (pe)
… meine Güte, frau wird fast wehmütig, ich muss die alten Fotokisten wieder schließen. Wer meint, er müsse mal das Berlin der Zwischenzeit betrachten, kann ja kommen, und in meinen Kisten wühlen … :). Im Sommer 1993 enden meine Fotorecherchen. An einem späten Herbsttag war ich im CC an der Rosenthaler Straße mit einem mir fremden Rucksacktouristen verabredet. Der brachte mir 25 druckfrische Belegexemplare vom Defini Verlag aus Athen mit. Mein erstes Buch – in griechischer Sprache, ich kam mir vor wie eine Hochstaplerin, denn ich hatte zwar ein Buch geschrieben, aber keiner konnte es hier lesen… Übersetzt und in Wege geleitet wurde es übrigens von der Fotografin und Dolmetscherin Katerina Mavrokefalidion, die übrigens sehr besondere Fotos aus dem Westberlin der 60er Jahre geschossen hat …
Hier noch ein paar Bilderblicke zum Abschied, morgen gehts zurück ins Jetzt:
Das Zosch als Musikkneipe gibt es in der Tucholskystraße 30 noch. Damals hatte es auch eine Lesebühne im Keller.
Ein verwunschener Blick auf die Kuppel der Neuen Synagoge an der Oranienburger.
Das Hackische Hoftheater in den Hackisches Höfen war Berlins Adresse für gestisch-mimisches Theater und jiddische Kultur. Das Theater wurde Anfang Januar 2006 geschlossen.
Und die Zwei: Claudia Koch und Hardy Reich (von Aufwind) spielten hier in „Max & Moritz…“
Die Stadtsteine zwischen Oranienburger Straße, Große Hamburger Straße,Rosenthaler Straße und Steinstraße waren schon ruinös beschaffen, damals 1993 – ohne Worte ein paar Bilder aus dem Kiez jener Tage:
Das Silberstein an der Oranienburger Straße 27 war als Café, Bar und Restaurant besonders stylisch eingerichtet: mit Kunststühlen, Stahlfiguren und großformatiger Malerei an der Wand und elektrische Musik. Meine Aufnahmen stammen aus 1993. Der Ort hatte eine wunderbare Atmosphäre, leider ist das Silberstein in Berlins Scheunenviertel indes auch geschlossen.
Vom Franz- Club habe ich seltsamerweise nur diesen Schnappschuss (gefunden).
Aber diese Szene aus meinem Buch „Glatze & Palituch“ (was bestimmt nicht mein bestes war, eher ein Freischreiben, doch es hat die Zeit eingefangen) erzählt davon :
„… Im „Franz“, dem Club in der denkmalgeschützten Brauerei Ecke
Schönhauser/Sredzkistraße, ist kurz nach 21 Uhr noch gähnende Leere. Das ändert sich mit zunehmenden Viertelstunden rasch. Im Buch- und Plattenladen guckt Matze nach Neuerscheinungen. Anschließend sucht er sich im angrenzenden Raum einen guten Beobachtungsposten. Links, neben der Doppeltür, ermöglicht eine gewaltige Spiegelfront selbst in das größte Menschendickicht totale Einsicht. Diagonal dazu erhebt sich ein kleines Podest mit drei Sitzgruppen. Einen dieser Tische steuert Matze an. Von dort aus kann er nicht nur gut die dichter werdende Gästeszene überschauen, er wird auch von den Eintreffenden leicht entdeckt. Matze schaut in die Gesichter und stellt fest: Der ‚Franz‘ ist auch nicht mehr das, was er mal war: Linke-Szene-Treff. Is nur noch ’n Mythos. Höchst ärgerlich. Der Schickimicki-Zuzug macht mit seinen Klüngeln jeden Ort kalt. Aber heute Abend ist Blues, der lockt bestimmt noch andere Typen. Und ob. Das ist aber ne süße Hippie-Braut. Irre Spätlese. Mensch, und die Jungs aus dem Dunkerklub machen heute auch nen Gemeinschaftsausflug. Gibt‘s nicht. Dass die mal ihr Revier verlassen. Echt selten. Junge, sind die böse drauf. Bis zum Anschlag vollgetankt, typisch.
Matze starrt wieder gebannt in den Eingangsbereich: Vielleicht kommt Vonny doch noch. Für Blues ist sie immer zu haben. Die Warte-Gedanken treiben urplötzlich Matzes Herz an. Darüber beginnen ihm die Hände zu fliegen, es ist das zweite Mal in diesen Tagen. Matze kann das Glas Bier nicht zitterfrei führen. Es ärgert den Mann, so seine Selbstkontrolle zu verlieren. Wenn wenigstens ein bekanntes Gesicht auftauchen würde, einer, der einen ablenkt. Tage gibt‘s, die sind wie verhext. Ich könnte ja jetzt meditieren, dann wär das Zittern weg. Schön, aber dann kann ich nicht sehen, wer kommt.
Die Zeit schleicht. Matze blättert abermals im Programmheft. Wer ist eigentlich Amos Garret?, fragt er sich und liest nach: „Musiker vom Range Stevi Wonder, Mark Knopfler oder Elliot Easton meinen, Amos habe eins der zehn schönsten Gitarrensoli der Rockmusik gespielt, das auf Maria Muldaurs Hit ‚Midnight At The Oasis’…macht heute zeitlose, handwerklich meisterhafte und durch und durch ehrliche Musik…“ Oha“, resümiert Matze, es wird also was Gutes. Aber das allein baut ihn noch nicht auf. Nach einer Weile gibt er seine Wachpose auf, holt sich bei der schlanken Schwarzen hinterm Tresen ein weiteres Bier und schiebt sich schließlich durch die bereits fan-gefüllten Clubräume in den Konzertsaal. Rechts vor der Bühne, neben den monströsen Lautsprecherboxen, entdeckt er an der Fensterseite noch einen Sitzplatz auf der Podest-Stufe dieses schwarz gestrichenen Raums. Er nimmt den letzten, kräftigen Schluck aus der Flasche, spürt, wie seine Zerrissenheit zugunsten einer leichten biergeschwängerten Gelassenheit weicht und geht langsam auf den Platz zu. Die Frau, die neben ihm hockt, ist annähernd vierzig. Sie kommt ihm bekannt vor. Wann und wo? Matze weiß es nicht mehr. Sie unterhält sich ernst und wortführend mit zwei Männern etwa gleichen Alters und beachtet den jungen Typen, der neben ihr die Lücke schließt, nicht.
Die Band stellt sich vor. Matze schaut bühnenwärts in fünf zerknitterte Gesichter. Der Bandleader, denkt er sich belustigt, muss mit dem Pferd gekommen sein. John-Wayne-Verschnitt, irre komisch. Daneben, der Bassist, wirkt mephistohaft. Das ist irre gut gemacht. Der Mann ist einfach von grünem Licht überflutet. Teuflisch. Und der mit der Quetsche – nein! Der sieht aus wie ein versoffener, lebensgebeutelter Farmer, der in einer Hamburger Hafenkneipe verloren ging. Aber was für ein ehrliches Mienenspiel. Wahnsinn! Keine kalten Posen! Alte Leute brauchen keine Lügen mehr.
Matze kann sich nicht sattgucken und findet: Die Typen muten an, als wären sie einem Musik-Comic entsprungen. Und was sollen die Hawaiitöne zwischen dem eher rockigen Blues? Aber das ergibt einen verdammt irren Sound.
In Matzes Gemüt zieht ein Lächeln und die Band im späten Zenit spielt ihm langsam Rhythmus und Wärme in den Bauch. Die alten Blues-Country-Männer sind gut, so gut, dass sie die Leute nicht nur zuhören und mitstampfen lassen. Die Masse muss sich bewegen, sich hineintanzen in den Pulsschlag eines vertonten Schicksals – Trance. Keine Koketterie zwischen Bühne und erster Reihe.
In der Pause flitzt Matze zu Vonnys Wohnung, ein paar Ecken weiter in der Rykestraße. Hoffentlich glaubt sie nicht, ich will sie bedrängen. Nein, will ich nicht. Ich muss einfach meinen Fotoapparat holen. Puh, Alter, musst mehr rauchen, das keucht sich gleich viel besser. Ich werd‘ ihr sagen, keine Panik, ich brauche nur meine Knipse. Da sind faszinierenden Gesichter auf der Franz-Bühne, die muss ich einfach mal für mich festhalten. Das kennt Vonny. Meine Leidenschaft – etwas zu bewahren, wie in den ästhetischen Aktfotos von ihr. Solche Fotos gelingen nur, wenn‘s innen stimmt. Puh, nur noch die Treppen. Los, Alter, los!
Matze hastet die durchgetretenen Stufen des Hinterhauses hinauf. Sie knarren und das Geländer wackelt. Es riecht nach Katzen und Moder. Die undefinierbare Wandfarbe blättert sich wie Haut nach einem schlimmen Sonnenbrand. Nur die farbigen Türen stechen aus der schäbigen Kulisse, mal mit Aufklebern oder Postern versehen, andere sind wahrste Pinn-Wände: „Maike! Ich bin auf’m Kolli!“ „Jule, ruf mich an, Sveni!“… Botschaften der Bewohner und Mitteilungen für sie.
Schnaufend schließt er im vierten Stock die Wohnung auf und findet Vonny über Büchern vertieft. Keine Frage, weshalb sie ihn warten ließ, nur ein:
„Hallo! Ich such‘ nur meine Canon. Bin gleich wieder weg. Im ‚Franz‘ ist ein ganz fantastischer Blues.“
Die blasse Mädchengestalt im Lichtkegel einer Conti-Stehlampe, Modell 60er Jahre, verfolgt verdutzt hinter ihrer Nickelbrille Matzes hektisches Kramen im Bretterregal ihr gegenüber. Keinerlei Zuwendung, das verwirrt sie. Dann ist der Freund, den sie heute und demnächst nicht sehen wollte, ohne weitere Worte schon wieder zur Tür heraus, und sie war nicht einmal dazu gekommen, etwas zu ihm zu sagen.
Als der Langbeinige atemlos den Club betritt, ziehen die Musiker den letzten Zug an ihrer zweiten Pausenzigarette und greifen nun wieder nach den Sinnen der Fan-Gemeinde. Matze ist zu seinem Platz zurückgekehrt. Er versucht sich nicht von den Klängen einnehmen zu lassen, zumindest bis er die Fotos im Kasten hat. Es gelingt ihm nicht. So schleicht er swingend dem Faltenspiel der lebensgezeichneten Seelenfänger entgegen. Als er nachdem von der Bühnenrampe den Sucher ins Publikum richtet, hat er plötzlich die reifere Frau im Visier. Sie tanzt. Jeder Muskel ihres Körpers nimmt die Klangwellen in sich auf und formt daraus natürliche, gleißende Bewegungen. Matze wird ganz warm von so viel nach außen gekehrtem Gefühl. Da ist auf einmal Vonny neben ihm und nimmt das gleiche Bild in sich auf. Schauen und fühlen. Das Tanzen der Frau und der Sound lösen in ihnen Verklemmungen. Matze legt den Fotoapparat beiseite und greift nach Vonnys Händen. Was tief in Vonnys Herzen vergraben und scheinbar mit Vernunft versiegelt, fließt in einen allessagenden Blues-Tanz, erst noch etwas steif hippelnd, dann geschmeidiger, Matthias wieder zu. Indem wachsen sie, sich der Musik hingebend, zu einem Körper mit vier Händen, Beinen, zwei Köpfen und einem Sinn.
Gegen zwei Uhr morgens treten die kanadischen Profis von der Bühne ab. Im Spiegelsaal thronen schon die Stühle auf den Tischen, aber ein paar Unermüdliche wollen noch nicht hinaus in die dunkle Stille der grauen Stadt … “ (pe)
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