Die Warnung des Deutschen Wetterdienstes für die Region Berlin-Brandenburg hat die Mittagshitze noch stiller gemacht. Nicht einmal Nachbars schwarzes Samtpfötchen setzt eine flinke Sohle auf das brütend heiße Kopfsteinpflaster. Auch mein Spruch zum Sonntag war schon geistreicher – sorry, es wird wieder bessere geben… In der Gewissheit, dass diese Temperaturen Atelier- und Lesegartengucker davon abhalten werden, meine Sonntagsöffnungszeit zu nutzen – hab ich trotzdem artig die Texte in die Lesestehlen gehängt, denn wenn nicht, kommt garantiert EINER und beschwert sich, dass ich nicht auf ihn vorbereitet bin. Sommersonntage sind für mich rätselhaft, denn ich weiß NIE was geschieht , ich zeichne derweil einen Musikclown-Cartoon …
und alle andern sind am See, wie dieser hier aus meiner alten Träume-Serie:
PS am Abend: Man glaubt es kaum, aber trotz der Trope kamen fünf Bildergucker. Zwei aus Groß Schönebeck, einer aus Schluft, eine aus Kopenhagen und einer aus Amsterdam … 🙂
Auf den Tag genau bin ich heute 20 Jahre als Freiberuflerin – also selbstständig – unterwegs. Mancher wird meinen, das wäre ein Tag zum Feiern. Ich denke, eher zum Verschnaufen. Denn am 1. Juli 1994 ging ich durch eine Pforte, in eine ungewisse Zeit ohne beschützte Flanken oder gar Eigenkapital. Seither lebe ich ein existenzielles Abenteuer auf einem „Spielplatz“, für den ich als spätes Mädchen aus Ostberlin nicht gut ausgestattet war. Aber: Ich bin noch da, nicht berühmt, nicht reich, doch klüger, immer noch kreativ und selbst bestimmt – DAS ist mein LUXUS. Und dafür bin ich dankbar an diesem Tag.
Heute kam eine Gruppe ehemaliger Kollegen zur Lesung in den Blumenmond. Da die Wetteransagen so dramatisch klangen, haben wir besser ein Zelt aufgebaut, aber der Himmel hielt und mir schien es, der Ausflug in den Schorfheidewald gefiel den Gästen der Zehdenicker Familie Blankenburg sehr. Die Torten haben sie sich mitgebracht …
… und sie hinterließen mir einen bemerkenswerten Eintrag in meinem Gästebuch:
Sie sind beide Profi bis in die letzten Haarspitzen, auch im Älterwerden. Unterwegs gereift, ist es profundes Wissen und die Routine, die immer wieder neu den Drang nach Perfektion aufruft. Christel und Wolfgang Titze waren als junge Menschen Vollblutjournalisten, später Chefredakteure. Nach der Wende gründeten die Zwei eine Agentur und entwickelten aus ihren Erfahrungen heraus Werbekonzepte für Unternehmen. Unter anderem für den Traditionsbetrieb Carstens-Keramik in Rheinsberg. Das sind die mit der bauchigen Kanne, die wohl auf jedem DDR-Abendbrottisch stand. Braun, marmoriert, gelber Musterkranz. Gewiss, ihre Agentur „futur press“ entwickelte sich gut, aber der atemlose Überlebenskampf forderte irgendwann Tribut. Die Gesundheit streikte. Damit schwand die Lust am Konzepten für andere.
Wolfgang Titze hatte in der 90er Jahren nebenberuflich Töpfern gelernt. Seither wuchs in ihm ein großes Faible für dieses Metier und eine Sammelleidenschaft. Als zweites Standbein betrieben die Zwei schon seit den 90ern eine Keramikscheune in Buckow in der Märkischen Schweiz. Als ihnen schließlich 2008 das Keramikhaus in Rheinsberg angeboten wurde, zögerten sie nicht lange. Es reizte, das einst entworfene Werbekonzept selbst umzusetzen. Sie verkauften ihre Agentur und stiegen in ihr nächstes Abenteuer ein.
Eigentlich wollten sie nun ein anderes Tempo leben, doch gemächlich – geht nicht. Christel und Wolfgang sind jetzt 64 Jahre alt, und sprühen immer noch diese Art von Leidenschaft aus, die mitreißt und Qualitätsmaßstäbe setzt. So wundert es kaum, dass sie inzwischen das Keramikhaus in der Rhinstraße 1 zur feinen Perle poliert haben. Hinter der Ladentür eröffnet sich einem die weite Welt der Keramik. Gekonnt inszeniert findet der Besucher ganz unterschiedliche Handschriften vor. Neben dem Fabrikverkauf von Carstens-Keramik präsentieren die Geschäftsführer ihre Entdeckungen: Oxidische und nichtoxidische Keramik, Feinkeramik, Grobkeramik, Aufbau-, Dreh- und Gießkeramiken. Vieles noch handbemalt. Alle dargebotenen Objekte sind gekauft und nicht nur in Kommission genommen. „Es ist unsere Art, fair mit den Handwerkern und Künstlern umzugehen“, erklärt es Christel Titze wie in einem Nebensatz. Im Vordergrund steht natürlich die Rheinsberger Manufaktur Carstens, deren Geschichte bis ins Jahr 1901 zurückreicht. Formen und Dekore, die damals für das Feinsteinzeug entstanden, bestimmen noch heute die Produktion. Seit 1762 wird übrigens in Rheinberg ohne Unterbrechung Keramik hergestellt.
Zwischen all den Scherben, den klitzekleinen Gussstücken und riesigen handgedrehten Gefäßen von der Scheibe bekommt man eine Ahnung vom ältesten Handwerk der Welt. Man sieht unterschiedliche Stile der Glasuren – welche mit Ascheanflug oder Salzbeigaben. Und durch die Herrlichkeit dieser Schau führt die Chefin souverän, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. „Porzellan ist nur eine Fassette. Es gibt Keramiker, die mit Porzellan ganz anders umgehen. Die glasieren es nicht, es kann rohe und matte Oberflächen haben …“ Ein paar Nischen weiter erzählt sie: „Das hier ist unsere ‚Galerie der Unikate’ mit künstlerischer Keramik. Seit 2009 sponsern wir einen Wettbewerb der Töpfer, die an Rheinsbergs Töpfermarkt teilnehmen. Für den Wettbewerb geben wir ein breit interpretierbares Thema vor. Zum Beispiel „Deckel drauf“ oder ein Zitat des Kronprinzen. Dieses Jahr heißt es ‚Auf drei bis sechs Füßen’. Das Interesse der Kundschaft an diesen Unikaten wächst inzwischen spürbar.“
Gewissermaßen im Hinterzimmer wächst indes still ein musealer Bereich. Es ist nicht zu übersehen, dass sich hier auch Wolfgangs Sammelleidenschaft auslebt. In dem kleinen Raum wurden erstmals zum 100. Jahrestag von Carstens Keramik die wichtigsten Stücke aus der Produktion von 1900 bis 2000 zusammengetragen. Gefunden auch in Tauschbörsen. Eine ständige Ausstellung über die Historie der Töpferei wird in den nächsten Monaten hier entstehen. Titzes sind längst europaweit unterwegs – auf Messen, Märkten, in Keramikateliers und haben etliche Töpferfilme aufgestöbert. Die werden bald in ihrem kleinen Museum Schleife laufen.
Aus der Überlegung heraus: „Wie nimmt man den Menschen die Berührungsängste gegenüber der Scheibentöpferei?“, entstand die Idee, besondere Tassen zu präsentieren. In einem Setzkasten für Hundert Stück. „Der ist zu unserem Türöffner zur Scheibenkeramik geworden. Denn Tassen sind so etwas Alltägliches – danach greift man unwillkürlich“, erklärt Christel Titze den Hintersinn. Neben gelegentlichen Personalausstellungen sind jetzt in dieser Schaustelle „Hundert schönste Tassen“ von unterschiedlichen Töpfern zu entdecken – als aufschlussreiches Detail im Gesamtbild.
Das Geheimnis, ein Thema durch gekonnte Akzentsetzung immer wieder neu und spannend aufzumachen, zieht sich magisch durch diesen schönen Ort. Gelebte Erfahrungswelt. Und dann ist da noch die Sache mit dem Becher, ihrem Rheinsbergbecher, ein limitiertes Sammelstück. Christel Titze erzählt:
„Wir wünschten uns ein eigenes Rheinsberg-Souvenir. Der ortsansässige Keramikkünstler Karl Fulle drehte schon immer Becher. Aber nun entwickelte er für uns den sogenannten Rheinsberg-Becher, oder genauer gesagt: einen Jahresbecher. Mit ihm wollen wir zeigen, dass die Geschichte der Stadt Rheinsberg eng mit der Herstellung von Keramik verbunden ist.“ Angesehene Künstler wurden in den Folgejahren gebeten, einen Jahres-Rheinsberg-Becher zu kreieren. Doch Vorsicht! Diese besondere Edition zielt darauf „die Leute mit unserer Leidenschaft für Keramik zu infizieren“, verrät die Unternehmerin. Sie lächelt dazu vielsagend, denn sie weiß, dem kann man sich nicht wirklich entziehen.
„Aus der Pfalz in die Schorfheide“ – Ronald Gerhardts literarische Chronik über Friedrichwalde
Wer nach Friedrichswalde kommt, den grüßt am Ortseingang ein lebensgroßer Holzschuhmacher aus seiner Werkstatt und lädt den Passanten zum Rasten ein. Seit dem 26. November 2005 ist dieser Holzmann das neue Wahrzeichen des Ortes, der unter Friedrich II von Pfälzer Kolonisten besiedelt wurde. Im Gepäck hatten jene ein Handwerk, das im heutigen Friedrichswalde eine Renaissance erlebt – als touristische Attraktion und als historische Wurzel. Ronald Gerhardt hat die Geschichte Friedrichswalder Siedler als literarische Chronik aufgeschrieben, die bei Books on Demand für 7.90 Euro erschienen ist. Auf 140 Seiten erzählt der Autor faktengespickt, in klaren Sprachbildern. Als Klammer vom Damals zum Heute hat eine selbst ersonnene Legende als Brücke über die Zeit gespannt – die Legende von Johann im Eichenbaum. Verbannt wegen eines Waldfrevels, grüßt er heute befreit und kündet von einer langen Geschichte. Die hat Ronald Gerhardt in seinem Taschenbuch „Aus der Pfalz in die Schorfheide“ unterhaltsam notiert.
Petra Elsner
„Aus der Pfalz in die Schorfheide“, Ronald Gerhardt, ISBN 978-3-8391-5020-7
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