Morgenstunde (991. Blog-Notat)

Noch zwei Tage, noch drei Thrombose-Spritzen, dann Röntgen und schauen, ob ich wieder laufen darf und kann. Ehrlich, nach den reichlich sechs Wochen eingeschränkt sein, gibt es nichts, was ich mir mehr wünsche: Laufen. Ich träume nachts davon. Wir haben endlich einen festen Termin für die Eltern-Beerdigung. Es wird nun der 8. November sein – unsere wahrscheinlich letzte Fahrt ins Erzgebirge. Die lange Wartezeit entstand, aus der schwierigen Terminkoordination der kleinen Verwandtschaft. So ist das, wenn ein Abschied in prall gefüllte Kalender fällt. So zieht sich der Abschied hin. Nicht so gut. Der Liebste geht derweil seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Steinpilze finden. Gestern brachte er strahlend seinen ersten Fund in diesem Herbst nach Haus. Das Glück wohnt nicht weit…Im Atelier duftet es inzwischen nahrhaft von den Trockensieben über der Heizung 😊.

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Eine Buchbesprechung

Ungleich vereint – Warum der Osten anders bleibt
von Steffen Mau

Diese Schrift gehört wohl ins Stammbuch der Deutschen. Wenig schmeichelhaft entblättert es den Zustand der Deutschen Einheit. Es spricht von „Unaufrichtigkeiten in der Kommunikation der Vereinigungsgesellschaft zweier unterschiedlicher Deutungshoheiten“, woraus neue Entfremdung entstand. Missverständnisse und Dissonanzen häuften sich. Rühren daher die ostdeutschen Verwerfungen? Steffen Mau analysiert die Konflikt- und Problemlagen und kommt zu dem Schluss einer „Verstetigung ostdeutscher Eigenheiten“, die aus einem „spezifischen Umbruchsgedächtnis“ immer wieder neu gespeist werden. Die ausgebremste Demokratisierung von 1989/90 führte durch die Wiedervereinigung zur Endpolitisierung, auch die Selbstentmachtung durch den Beitritt. Es galt das Ländchen auf bundesdeutsche Standards zu trimmen und nicht seine Graswurzelbewegungen zu erhören. Dem folgten die Belehrungen durch westdeutsche Diskurseliten. Hier entstanden Abwehrformeln und das Erinnerungsprivileg. Mau spricht von Identitätsfacetten und von den Ostdeutschen als einer „Erfahrungsschicht“, die sich nicht separieren will, sondern gleichberechtigte Teilhabe verlangt. Sein Fazit: „Es gibt eine andauernde Zweiheit in der Einheit.“
Natürlich gibt es auch einen analytischen Abstecher zur Entstehung der AFD und Interpretationen zum Zustand der Ost-West-Debatte, womit es unterschiedliche Zugänge zu dem nicht ganz leicht verdaulichen Sachbuch geben wird.

Petra Elsner

Ungleich vereint – Warum der Osten anders bleibt
von Steffen Mau, ISBN: 978-3-518-02989-3, Edition Suhrkamp, Softcover, 18 €

 

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Morgenstunde (990. Blog-Notat)

Gestern habe ich Bücher für meine nächste Lesung im Groß Schönebecker Jagdschloss nachbestellt. Diesmal geht es um die Kriminalgeschichte „Stumme Gänse“. Wer Lust hat, sich damit auf den Advent einstimmen zu lassen, kann ja schon mal Karten vorbestellen (unter dem Link zum Schloss).
Mich hat die letzten Stunden der Essay „Die Prinzipien der menschlichen Dummheit“ von Carlo Maria Cipolla beschäftigt. Die kleine Schrift schenkte mir meine gute Freundin Ines vielleicht mit dem Hintersinn, die jüngsten Wahlen zu erklären… wer weiß. Der Autor betrachtet darin das Wirken von Unbedarften, Intelligenten, Banditen und Dummen und ihre Anteile in der Gesellschaft. Für mich ein wenig sprödes Thema, aber zum Ende findet sich dieses aufschlussreiche Fazit:

„In einem sich im Niedergang befindlichen Land ist der Anteil an dummen Menschen immer gleichbleibend s; dennoch beobachtet man in der übrigen Bevölkerung, vor allem bei denen, die Macht ausüben, eine alarmierende Ausweitung des Banditentums mit einem hohen Prozentsatz an Dummheit… und bei denen, die keine Macht ausüben, eine gleichermaßen alarmierende Zunahme der Zahl von Unbedarften… Diese Veränderung in der Zusammensetzung der nicht dummen Bevölkerung stärkt unvermeidlich die zerstörerische Macht des Anteils s der Dummen und führt das Land in den Ruin.“

Dacht ichs mir doch… so oder so ähnlich😊

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Morgenstunde (989. Blog-Notat)

Was für ein stiller, feiner Tag. So viele Grüße, gute Gesundheitswünsche, Zuspruch von allen Seiten. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir wollten heute am Meer spazieren gehen und beim Bansiner Fischkopp einkehren. Stattdessen: Sofasitzen. Christina kam wie im Märchen mit selbstgebackenem Kuchen und Wein zur Großmutter 😊 und ging gleich wieder, weil ich einfach augenblicklich nicht die wendige Gastgeberin spielen kann. Wird nachgeholt. Versprochen. Aber dann klingelte es noch einmal und eine Uralt-Zugfreundin traft ein. Dr. Petra N. habe ich seit 18 Jahren nicht mehr gesehen. Plötzlich stand sie da und freute sich, dass ich sie noch erkannte. Wie könnte ich diese unglaubliche Frau vergessen. Dreimal pro Woche gab es zwischen Fürstenwalde (Spree) und dem Alex auf dem R1 für uns jahrelang diese tiefsinnigen Gespräche, die uns für immer verbanden. Die Strahlenärztin bekam in ihrem Alltag so viel Leid zu sehen, da ist man ohne Umschweife beim Eingemachten. Das bleibt, nur unsere Wege haben sich inzwischen sehr verändert. Dr. Petra wusste nicht, dass ich heute Geburtstag habe, sie mag den Wald, das Pilze suchen und wilde Gärten, da war sie in unserem gerade richtig. Ich glaube, ich werde bis tief in den Winter mit dem Wildwuchs kämpfen… Aber jetzt möchte ich erst einmal allen, die heute an mich gedacht haben, DANKESCHÖN sagen, es war eine Freude für mich!

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Eine Buchbesprechung

Das Mädchen zwischen den Zeilen
von Sylvia Krupicka

Meistens ist Gewitterwolkenstimmung zwischen der fast 13-jährigen Simone und ihrer Mutter. Simone sieht es an ihrem Strichmund, wenn so ein Wetter aufzieht. Darin gibt es Schläge und überbordende Strafarbeiten. Die unterkühlte Frau dominiert Simones Leben. Der Vater ist übergriffig und unterbindet die Kontakte der Tochter. Das Mädchen flüchtet sich hinter eine unsichtbare Wand, dort ist es allein und ganz in seiner Welt. Manchmal erwacht dort das „Steingefühl“, manchmal das „Heißer-Wind-Gefühl“. In „Das Mädchen zwischen den Zeilen“ erlebt der Leser den wütenden Gefühlstrudel einer Heranwachsenden, der sie in ihren „Fantasiekeller“ treibt, in dem sie in Schraubgläsern schlimme Gedanken konserviert. All die unaussprechlichen Worte, all die inneren Nöte und Verdächtigungen. Sie kann die Gläser vielleicht irgendwann wieder öffnen, sich ansehen oder für immer wegschließen. Die Ereignisse überschlagen sich, als sich Simone das erste Mal verliebt.
Der Roman von Sylvia Krupicka führt uns authentisch zurück ins Jahr 1973.  Die Wohngegend befindet sich nahe der Berliner Mauer. Dort gibt es eine „Pause“ im Grenzgebiet, eine Brache, auf der die Fantasie erblüht. Sprache und Gedankenwelt des Buches liegen stimmig in der Zeit, ohne dass sie Staub ansetzen. Denn das Mädchenbuch erzählt – auch interessant für heutige Eltern – von den inneren Nöten, die aus mangelnder Zuwendung und alten Rollenbildern entstehen. Ein mutiges, zeitloses Buch; sehr empfehlenswert.

Petra Elsner

Das Mädchen zwischen den Zeilen von Sylvia Krupicka, Klappenbroschur 146 Seiten, Edition Periplaneta, ISBN: 978-3-95996-272-8, 14,50 €

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Morgenstunde (988. Blog-Notat)

Alles zurück auf Anfang. Donnerstag sollte die Beerdigung der Schwiegermutter stattfinden. Nun ist heute Nacht der Schwiegervater gestorben. Wir sind gefasst, denn er war letzte Woche zeitweise schon gar nicht mehr ansprechbar und es war sein letzter Herzenswunsch, mit seiner Frau gemeinsam beerdigt zu werden. Das wird nun so sein. Wir sind mit dem Absagen und der Neuplanung beschäftigt – was für ein grausliges Jahr. Der Liebste raucht Kette. Sein Verstand raunt, sie haben sich lange genug gequält, aber das Herz schmerzt verwaist. Er ist nicht mehr jemandes Kind, das muss man erst einmal erfassen. Die Eltern-Zeiten sind vorbei…

Uferlose Liebe

Als sie ging
blieb ein stiller Schatten
der ließ die Tür noch
einen Spalt weit offen
So konnte er ihr
kaum später nachfolgen
seiner Liebe
über den Tod hinaus.

(pe)

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Morgenstunde (987. Blog-Notat)

Tag 24 in diesem Stützschuh. Freitag wurden die Fäden gezogen, was eine ziemlich unsanfte Zieperei war. Nun muss der Knochen einfach weiter Heilen, am 7. Oktober soll der Schuh abkommen. Die Zeit dehnt sich und sie ist ohne kreative Geistesblitze. Die kreativen Momente sind und waren es, die mich immer wieder aus irgendeiner Schwere gezogen haben, sie bleiben aus. Stattdessen – stille Leere. Wie verordnet. Ein dröges Hin und Her auf Rädern. Sowas gab es noch nie in meinem ganzen Leben. Wenigsten gelingt das tägliche Kochen, aber ich sehe die allgemeine Überforderung des Liebsten. Er hat diese Routine nicht, die täglich wiederkehrenden Verrichtungen zu bewältigen, ohne dass sie zum Maß aller Dinge werden. Irgendwann wird das hinter uns liegen.
Seltsamerweise fallen mir dieser Tage stets Bücher in die Hand, in denen die Kinder der Vertriebenen aus Schlesien, Böhmen und den Sudeten plötzlich über die späten Folgen reflektieren. Es geht mir auch so, zumal mein Sohn sich nun fragt, weshalb in manchen Familien kein Wohlstand gelingt. Dann muss ich ihm erklären, dass meine Großmutter ja „nur“ Weberin war. Ihre Lebensleistung steckte in ihrem Häuschen, dass sie zurücklassen musste. Ihr Mann kam mit TB aus dem Krieg und starb in einem Seuchenhaus 1949. Die Generation meiner Eltern gehörte aus purer Überlebensfreude zu so einer Feiergeneration, die alles immer gleich verprasste. Am Monatsende wurde es oft knapp, obwohl sie gute Berufe ausübten.  Mein Reichtum ist die Kreativität, ein anderes Erbe gab es in meiner Familie nie, es wird ausreichen…

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Morgenstunde (986. Blog-Notat)

Endlich Regen. Gestern stand stickige Hitze dick im Haus, unverträglich. Die 33 Grad vor der Tür waren einfach zu viel für unsere müden Körper und das Hirn. Ich hangele mich durch die Tage: Auf einem Bein Abwaschen. Kochen mit Zureichungen. Den Liebsten unterstützen so gut es eben geht. Es geht nicht gut. Dazwischen Training gegen den erschreckenden Muskelschwund. Dieser Beinbruch macht mich platt. Die Grundstimmung ist einigermaßen angekratzt. Das viele Sitzen mit gestrecktem Bein, hat den Ischias aufjaulen lassen, als wenn‘s nicht schon genug wäre… Inzwischen sechs Bücher gelesen. Seltsamerweise erzählten die letzten aus kindlicher Perspektive, das ist nicht so meins. Aber „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens hat mich tief berührt. Kann diese irre Geschichte nur weiterempfehlen. Wer im Dorf es möchte – ich leihe es gerne aus…

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Morgenstunde (985. Blog-Notat)

Der Garten vertrocknet in den Hitzetagen dieses Spätsommers. Das Gemüse will darin nicht mehr wachsen, obwohl der Liebste abends ein wenig gießt. Die Beinwellstaude ist versenkt, das alte Knochenkraut könnte ich jetzt gut gebrauchen.. Der Liebste ist gehetzt, zwischen all den Verrichtungen, seinen und meinen. Es bleibt viel liegen, ich auch mit ausgestrecktem Bein auf dem Sofa…
Am 19. September ist die Beerdigung der Mutter. Wir haben den Friedhofsvertrag geschlossen, Redematerial für den Pfarrer mit persönlichen Empfindungen zusammengestellt. Trauerlieder ausgesucht, den Kartentext und ein Motiv dazu gefunden. Alles andere hatte der Vater schon vorbereitet – vor drei Jahren, als die Ärzte ihm dazu rieten. Seither hieß es immer: „Bis Weihnachten wird sie es nicht schaffen…“ Man soll nicht unken, die Lebensgeister ticken mit unbestimmter Energie. Heute habe ich die Übernachtung in einer kleinen Pension in Aue gebucht. Ich werde nicht mitfahren können, komme all die Treppen nicht rauf. Das operierte Bein darf noch nicht belastet werden… Das bekümmert mich, aber es lässt sich nicht ändern. Den Ostseeurlaub Ende September haben wir gecancelt…

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Eine Buchbesprechung

„Spielbeschreibung“ von Klaus Dieter Remus

Da kommt einer 1993 mit labbrigen DDR-Pass aus der Welt zurück nach Deutschland und versucht an das einstige Leben in seiner Freundes-Klicke anzuknüpfen. Er wird scheitern, denn das einstige Lebensgefühl der Freunde ist längst Legende, ihr Alltag existentieller Kampf. Edgar sieht diesen Wandel, er gefällt ihm nicht, und so macht er, was er immer als Lösung ansieht: er formt aus dem Übel ein Spiel.
Zu DDR-Zeiten spielte der Klüngel tagelang „Monte Carlo oder Monte Christo“. Es ging um den perfekten Diebstahl völlig unsinniger Dinge. Sowas wie einen Stadtplan von New York z.B., wohin man damals nie reisen konnte. Kultus, Raffaela, Frank und Edgar, der den souveränen Spielführer gab. Kompliziert wurde es, wenn ein Spiel im Spiel entstand. Beispielsweise mit einer unwiderstehlichen Verkäuferin in der Spieleabteilung eines Kaufhauses, worin Edgar genötigt war, eine Erklärung seines gesuchten Spieles abzugeben:

„… Wissen Sie, es könnte darum gehen, dass sich jeder Spieler zu Beginn Klarheit über sich selbst verschaffen müsste. Charakter und Träume, seine Liebe, seinen Hass. Alles, was so dazugehört. Er müsste ein Bild von sich machen, ein Ornament, verstehen Sie?… Und auf alles, was er trifft, muss er versuchen, sein Ornament anzuwenden. Es wiederzufinden. Und es zu behaupten. Und dann muss er mit allen Mitteln versuchen, die Ornamente der anderen Spieler so zu beeinflussen, dass diese unbrauchbar werden. Dann kann er sie nämlich übernehmen. Ganz oder teilweise. Oder auch nicht. Das steht ihm frei…“

Aber manchmal verzockt man sich. Edgar hatte Versäumnisse. Während er nach der Wende den Weltenbummler gab, zog Antje die gemeinsamen Kinder alleine groß. In seiner Abwesenheit hatte das Leben der Anderen harte Züge bekommen, aber Edgar spielte wie eh und je, und es wird sehr schnell klar, sobald einer dieses Ornamenten-Spiel auf das wahre Leben anwendet, gibt es Kollateralschäden…

Klaus Dieter Remos hatte diesen Stoff 1993 gemeinsam mit dem Regieabsolventen Jörn Zielke in Szene gesetzt. Doch das Szenario kam nie in die Filmproduktion. 30 Jahre später formulierte der Regisseur und Autor Remus den Stoff zur Novelle um, die den schlaksigen Ton des Berliner Prenzlauer Bergs in den frühen 90ern wunderbar trifft. Langsam bekommt die damalige regellose Zeit unterwegs ein neues Verhaltenskorsett, und dieses historische Momentum fängt der Autor präzise ein.

Petra Elsner

„Spielbeschreibung“ von Klaus Dieter Remus, 188 Seiten, Taschenbuch, Hardcover, epubi.com, ISBN: 9783759836137, Preis 23,99 €

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