Reportagen aus dem Schorfheidewald: Die Weitsichtigen vom Turm

Richard Hurding und Sarah Phillips auf der Plattform: Das BIORAMA-Projekt in Joachimsthal verbindet Kunst, Design und Tourismus mit der Natur. Die Aussichtsplattform auf dem Wasserturm ermöglicht eine unverbaute Sicht auf den Grimnitzsee, den Werbellinsee und die umgebende Landschaft. Foto: Petra Elsner
Richard Hurding und Sarah Phillips auf der Plattform: Das BIORAMA-Projekt in Joachimsthal verbindet Kunst, Design und Tourismus mit der Natur. Die Aussichtsplattform auf dem Wasserturm ermöglicht eine unverbaute Sicht auf den Grimnitzsee, den Werbellinsee und die umgebende Landschaft. Foto: Petra Elsner

Als sie den Blick aus einer angestrengten Arbeit nahmen, war es genug. Denn eigentlich sind sie zwei Weitseher, der Schotte Richard Hurding (51) und die Engländerin Sarah Phillips (50). Und nicht erst, seit sie von ihrem Turm in den Schorfheidewald schauen.
Immer schon verband Richard Hurding modernes Design mit Ökobau. Ende der 90er Jahre entwarf der Designer die erste Innenausstattung eines Londoner Ladens komplett nach ökologischen Gesichtspunkten. Damals waren Energiesparlampen neu. Aber wegen der seinerzeitigen Wirtschaftskrise, kamen sie auf diesem Gebiet nicht voran. Deshalb ging der Mann 1994 nach Hongkong arbeiten. Die ganz frische Beziehung zu Sarah, die als der Managerin in London blieb, erfuhr somit einen frühen Härtest. Ein Jahr später folgte Sarah ihrem Richard nach. Aber 1997 zog es das Paar zurück nach London. Dort bauten sie sich eine Fabriketage zum Loft um. Richard arbeitete als Mitarbeiter für gutes Geld in einem Architekturbüro, Sarah in einem Design-Geschäft. Nach drei Jahren planten sie den Ausstieg und waren glücklich, als plötzlich die Immobilienpreise explodierten. Die Zwei wären auch ohne diesen Umstand in die Welt gegangen, aber so war es leichter.
2001 zogen sie den Schluss-Strich unter ihre Londoner Zeit, in der sie sich unter „ganz reinen, aggressiven kapitalistischen Bedingungen verdingen mussten“, wie es Hurding heute nennt. „Das war wirklich unangenehm! Und außerdem – es war nicht mehr unser London“, erzählt er. So verkauften sie die Fabriketage und tourten: Drei Monate Lissabon, drei Monate Barcelona, drei Monate Berlin, drei Monate Schanghai … Es sollte mehr als nur eine Atempause werden. Fortan wollten sie selbstbestimmt leben und etwas Eigenes, Bleibendes schaffen. Die Entscheidung fiel schwer, „denn überall war es irgendwie großartig“, schwärmt Sarah immer noch.
2002 saß Richard, einst Radsportler, auf seinem Rad und schruppte Kilometer von Berlin aus nach Joachimsthal. Da sah er ihn, diesen alten Wasserturm auf dem grünen Hügel zwischen Grimnitz- und Werbellinsee. Und als er von diesem Turm in die Landschaft sah, ahnte er, dass jenes bezaubernde Eiszeitszenario der neue Lebensmittelpunkt sein könnte: „Ich dachte auch, hier könnte man eine Brücke zwischen meinem Ökobau und Sarahs Kultur schlagen“ verrät Richard und sie setzt hinzu: „Aber ohne die Vorsilbe „UNESCO“ wäre es nicht in Frage gekommen.“ Es ging nicht nur um die Schönheit, sondern vor allem um die Bedeutsamkeit des Blicks in die Weite des UNESCO Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin.
2003 kam die Entscheidung für Joachimsthal. Das Hügelland haben sie gekauft. Für den Turm bekamen sie von der Stadt einen Erbbaupachtvertrag. Der Ausbau des Wasserturmes war ein Abenteuer. Er war als Einsteinmauerverbund gebaut. Um ihn für das Wohnen und für den Besucherverkehr auf dem Dach stabil zu machen, wurde von innen ein zweiter Turm hochgezogen. Darin lebt und arbeitet heute das Paar auf ganz minimalistische Weise. Das Opulente ist der Rundumblick und das Sonnenlicht des ganzen Tages.
Die Aussichtsplattform erreicht der Besucher über einen zusätzlich errichteten Aufzugsturm, der wie ein Spaceshuttle an dem historischen Bauwerk sitzt. Verbunden sind die beiden Gebäude durch eine Wendeltreppe, deren Konstruktion so viel Leichtigkeit suggeriert, dass dem einen oder anderen schon etwas schwindelig beim Aufstieg wird. Die Gestalt entwarf Architekt Frank Meilchen.
2006 wurde die Aussichtplattform in 21 Meter Höhe für Besucher geöffnet. Das von Sarah und Richard gegründete BIORAMA-Projekt wurde nun erstmals erlebbar. Genauer gesagt, seither (stand 9. August 2013) haben 100 000 Menschen die Eiszeitlandschaft aus einer neuen Perspektive erfahren. „BIORAMA“ – das ist ein Kunstbegriff und was er meint, erklärt sein Erfinder: „Wir wollen den Gästen mit unserem 360-Grad-Panorama den großen biologischen Schatz dieses Waldgebietes näher bringen“. Und dieses Sensibilisieren gelingt Ihnen auch.

Kontakt: Am Wasserturm 1, 16247 Joachimsthal
Telefon: 033361 64931, BIORAMA-Pojekt

Der Wasserturm von Joachimsthal: Die BIORAMA-Aussichtsplattform ist immer von Ostern bis 31. Oktober, Donnerstag bis Sonntag sowie an Feiertagen, von 11.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Foto: Lutz Reinhardt
Der Wasserturm von Joachimsthal: Die BIORAMA-Aussichtsplattform ist immer von Ostern bis 31. Oktober, Donnerstag bis Sonntag sowie an Feiertagen, von 11.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Foto: Lutz Reinhardt

Dorfgeflüster: Nesthocker

Siegfried Haases Waldskulptur. Foto: Lutz Reinhardt
Siegfried Haases Waldskulptur. Foto: Lutz Reinhardt

An manchen Tagen fällt es auf, dass wir weniger geworden sind. Beim Frühjahrsputz oder in den Sommerfestvorbereitungen. Es sind immer die gleichen jungen Alten, die sich umtun, jedes Jahr ein wenig älter und vielleicht auch müder. Ja, es gibt spürbaren Zuzug im Dorf. Der Manni und seine Edeltraut vom Neuen Kiez, Sabine und Patricia im Rosenhäuschen … wirken, als wären sie schon immer dabei gewesen. Sie rackern fürs Allgemeinwohl wie all die rührigen Alteingesessenen.
285 Kurtschlager sind wir eben jetzt. Kann sein, morgen zieht wieder eine Familie hierher an den Saum des Schorfheidewalds. Nur ist das Ankommen oft kaum spürbar. Manch einer schaut schon seit Jahren vorsichtig aus dem Dachfenster zu, wenn ein Festumzug über Kopfsteinpflaster tanzt und rollt, andere kennt und sieht man erst gar nicht. Sie leben unter dem weiten Himmel dieser verträumten Landschaft abgeschottet ganz für und bei sich.
Ich bin im Grunde auch ein Nesthocker, das bringt der einsame Prozess des Malens und Schreibens mit sich. Aber ich schließe mich nicht weg und suche Dorfkontakte im Wechselspiel von Nähe und Distanz. Heißt, ich fehle bei manchen Veranstaltungen, weil nicht alle zu mir passen. Das akzeptiert man im Dorf. In dem Schorfheidedorf Kurtschlag stehen die Häuser der Verstorbenen nicht lange leer, aber gewinnt das Dorf indem auch wirklich neues Leben? Neue Mitglieder für den Sportverein oder die Freiwillige Feuerwehr? Zu wenige. Es wäre wirklich ganz wunderbar, wenn Zuzügler nicht nur im Verborgenen nisten würden, sondern dazu kämen: beim Feiern wie beim gemeinnützigen Arbeiten. Denn Dorfleben ist eben nur so reich und lebenswert, wie es eingebrachte Zeit und Talente in ihm gibt.

© Petra Elsner

PS: Für Leute in der Nähe. Der Kurtschlager Sportverein feiert in der Woche vom 9. bis 13. September 2013 sich im 16. Jahr und spendiert viele Einstiegsmöglichkeiten: Mo, 19 Uhr: Dance-Fitness / Die, 19 Uhr: Zumba-Fitness (2 Euro) / Mi, 19 Uhr: Tanzabend – Country für Anfänger / Mi, 19 Uhr Laufen für Anfänger & Profis / Do, 19 Uhr, Schule für Yang Pai – innere Kampfkunst und Engergiearbeit / Fr, 18 Uhr, Sportfest mit Jedermann Wettkämpfen. Treff: Gemeindezentrum: Rübengasse, Auskünfte unter: 039883-48016

Freizeitläufer,  gezeichnet von Petra Elsner
Freizeitläufer,
gezeichnet von Petra Elsner

Neue Paradiesvögel: Musikclowns 2

…ja, und zu Feierabend kommen noch die Musikclowns Nummer 2 …

(Inzwischen verkauft, 29. September 2013)

Neue Paradiesvögel - Musikclowns 2 von Petra Elsner
Neue Paradiesvögel – Musikclowns 2 von Petra Elsner

DER GRUMSIN „Alte Buchenwälder Deutschlands“

Cover
Cover

Einen bemerkenswerten Fotoband über den Grumsin hat die Angermünder Verlagsbuchhandlung Ehm Welk auf den Büchermarkt gebracht, zweisprachig (dt./engl.). Und obgleich DER GRUMSIN „Alte Buchenwälder Deutschlands“ ein politisches Buch ist, mit hochkarätigen Schlaglichtern auf den Weg bis zur Ernennung zum UNESCO-Welterbe, perlt aus jeder Seite die Liebe der drei Autoren Dr. Tilo Geisel (Foto), Dr. Michael Egidius Luthardt (Foto/Text) und Roland Schulz (Text) zu diesem traumschönen Ort . Kein möglicher Bildband-Nachfolger wird derart perfekt Expertenwissen bündeln. Beachtlich ist auch die Qualität der Herstellung, erst Recht, wenn man erfährt, dass von der Idee bis zur Drucklegung nur ein halbes Jahr verstrich.
Seit gut 20 Jahren gehört der Grumsin zum größten Naturschutzgebiet im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Rund 660 Hektar sind davon als Naturentwicklungsgebiet ausgewiesen. Was das bedeutet erklärt Dr. Michael Egidius Luthardt im Buch so: „Betreten und Bewirtschaften sind verboten! Mit Folgen: Seit mehr als 20 Jahren schweigen hier Axt und Säge und der Wald mit seinen vielfältigen Lebensgemeinschaften darf sich ungehindert entfalten.“ Aber mit dem Buch DER GRUMSIN „Alte Buchenwälder Deutschlands“ geht es nun hinein in diesen verwunschenen Wald im Wandel der Jahreszeiten. Die Autoren öffnen aber nicht nur mit Fotoblicken das Schatzkästchen der Natur, sondern bargen – wie es Roland Schulz bei der Buchpremiere im Hotel am Döllnsee erklärte – „Erlebnisse und Geschichten aus der Region. Als brüchiges Erinnerungsgefüge, denn die Befragten waren schon 80 Jahre und älter.“ Dieses fixierte Zeitwissen ist der Impfstoff, der das Buch herzwarm und lebendig macht. Womit es den Akteuren gelungen ist, durch einen Sehnsuchtsort zu spazieren und dessen üppige Flora und Fauna für den Leser beschaulich zu inszenieren.
© Petra Elsner

DER GRUMSIN „Alte Buchenwälder Deutschlands“, Bildband, Hartcover, 184 Seiten, 21 x 29,7 cm,, ISBN 978-3-943487-00-8, Verlagsbuchhandlung Ehm Welk, 34 Euro

Die Angermüder Verlegerin Karla Schmook und Hoteldirektor Thomas Eick  bei der  Buchpremiere im Hotel Döllnsee. Um das Naturparadies auch für die Zukunft zu bewahren, kommen die Verkaufserlöse aus dem Bildband teilweise dem Erhalt und der Förderung des Weltnaturerbes „Alte Buchenwälder Deutschlands“ – Der Grumsin zugute.
Die Angermüder Verlegerin Karla Schmook und Hoteldirektor Thomas Eick bei der Buchpremiere im Hotel Döllnsee. Um das Naturparadies auch für die Zukunft zu bewahren, kommen die Verkaufserlöse aus dem Bildband teilweise dem Erhalt und der Förderung des Weltnaturerbes „Alte Buchenwälder Deutschlands“ – Der Grumsin zugute.
Die Autoren Dr. Tilo Geisel, Dr. Michael Egidius Luthardt und Roland Schulz (v.l.n.r.) Foto: Petra Elsner
Die Autoren Dr. Tilo Geisel, Dr. Michael Egidius Luthardt und Roland Schulz (v.l.n.r.)
Foto: Petra Elsner

PS: DER GRUMSIN „Alte Buchenwälder Deutschlands“ ist im September 2014 in 2. Auflage erschienen.

Reportagen aus dem Schorfheidewald: Ein Überraschungskünstler für das Ufo im Märchenwald

Als Bernd Kanzow (50) sich im Dezember 2009 das Tagungszentrum der Wirtschaft, Hubertusstock 2, ansah, war ihm schnell klar, es würde nicht einfach sein, dem futuristischen Bau Leben einzuhauchen. Seiner Frau erzählte er von einem „Ufo im Märchenwald“. Knorrige Eichen blickten stumm auf den Ankömmling aus Hannover, der sich fasziniert im milchigen Dunst den Schorfheidewald grün vorstellte. Es gefiel ihm, was er tagträumte. Fortan besaß das „Ringhotel Schorfheide – Tagungszentrum der Wirtschaft“ einen neuen Chef. Einen, der nicht auf austauschbare Beliebigkeit, sondern auf Charakter, Charme und regionalen Touch setzt. Das ist durchaus gegen den Strom, denn die meisten Hotelketten vereinheitlichen ihr Erscheinungsbild und auch kulturelle Angebote sind oft zentralgesteuert.
Inzwischen ist Bernd Kanzow mit Frau und Tochter nach Prenden gezogen und zum Brandenburger geworden. Immer noch schwärmt er „Ich finde: Das Ringhotel Schorfheide ist ein superschönes Haus in einer Spitzen-Lage. Die hohen Fenster machen das Gebäude transparent. Jahreszeiten werden im Haus sichtbar. Es wirkt nie trüb, weil es mit und in der Natur lebt.“
Der nüchterne Stil entspricht durchaus der Art des gebürtigen Norddeutschen. Aber Kanzow spürte, „dem Haus fehlte die Seele.“ Das zu ändern, wurde zur Hauptthema für den gestandenen Hotelier. Jetzt wohnt in jedem der 55 Gästezimmer Hotelelch Hubert, ein wonniges Kuscheltier. Auf den Nachtischen laden Schorfheidemärchen zur Gute-Nacht-Geschichte ein. Unverwechselbare Details.
Die Wandelhalle hatte sich bei manchen Gästen den bissigen Spitznamen „Sing Sing“ erworben. Bernd Kanzow lacht schallend, nein, ein amerikanisches Zuchthaus solle man hier nie wieder assoziieren. Regionale Künstler kamen nun mit Dauerausstellungen ins Spiel. Ihre Bilder belebten auffällig den Ort und förderten zugleich die Kommunikation der Anwesenden. Derzeit dekorieren Banner mit Waldmotiven die Halle – warme Akzente, die aber nicht den klaren Stil des Hauses brechen.
„Mit dieser Belebung verändern sich auch die Zielgruppen“, verrät der Hotelier. „Plötzlich kommen Familien hierher, um Hochzeiten und andere private Feste zu feiern. Mit der Lage des Hauses, dem Park, der Nähe zum Werbellinsees und natürlich unserem Restaurant „Von Hövel“ mit Kamin, Bar und Terrasse – das passt hervorragend zu Familienvergnügen. Unterhalb der Woche buchen uns wie immer Seminar- und Tagungsgäste, das ist unser Hauptgeschäft.“
Darüber hinaus hat der Hotelchef eine bemerkenswerte Erlebniskultur entwickelt: In die eigens für Gäste geschaffene Kochwerkstatt wird zu Kursen und Kochaktionen eingeladen. Einzigartig ist das Geocaching auf Segways. Drei Stunden geht es dazu durch die Schorfheide. Man muss unterwegs Bogenschießen, Golfen, Rechenaufgaben lösen, Schätze finden. Aber auch das Restaurant bietet spannende Inputs: Reisen durch die Welt der Weine oder Cocktail-Kurse. Das spezielle Wissen vermittelt Kanzow höchst selbst. Auch einen Knigge-Kurs zauberte er aus dem Ärmel, darin geht es um das Auffrischen von guten Tischmanieren.
Womit auch immer der Gast dieses Vier-Sterne-Hauses überrascht wird, er wird vom Chef des Hauses oder seinem Assistenten persönlich geleitet. Das ist es, was die Gäste schätzen. „Klar, macht mir das auch Spaß mit einem Segway durch die Gegend zu düsen, aber darum geht es nicht, sondern um das sich kümmern“, erzählt der Überraschungskünstler. „Den Gästen einen persönlichen Kick geben.“ Und diese persönliche Betreuung ist nachhaltig, denn die Gäste sprechen darüber und kommen wieder. Für die Zukunft wünscht sich der Neu-Brandenburger: „Das die vielen Highlights der Region unter einem Dach gebündelt werden und nicht als kleine Königsreiche vor sich hindümpeln.“ Konzentriert für den guten Ruf zu arbeiten nennt er das und weiß, es wird noch etwas dauern.

Kontakt: Ringhotel Schorfheide Tagungszentrum der Wirtschaft, Hubertusstock 2, 16247 Joachimsthal, Telefon: 033363 505

Hotelchef Bernd Kanzow: „Ich bin ein Mensch, der sein Haus prägen muss. Im letzten Hotel in Niedersachsen war ich nach zehn Jahren fertig. Das Haus hatte einen super Status erreicht, es war alles getan. Deshalb suchte ich eine neue Herausforderung und kam nach Brandenburg.   Foto: Petra Elsner
Hotelchef Bernd Kanzow: „Ich bin ein Mensch, der sein Haus prägen muss. Im letzten Hotel in Niedersachsen war ich nach zehn Jahren fertig. Das Haus hatte einen super Status erreicht, es war alles getan. Deshalb suchte ich eine neue Herausforderung und kam nach Brandenburg.
Foto: Petra Elsner

Der Apfelmann & der kleine Apfelkönig

Die wahre Vorgeschichte: Vor etwa einem Jahr schepperte an einem Spätsommersonntag die Glocke am Hoftor und der Apfelmann Jürgen Sinnecker stand mit frohem Gemüt in meinem Tag und fragte nach langem Palaver schlussendlich, weshalb er gekommen war: „Kannst Du mir nicht ein Apfelmärchen schreiben. Eines, dass ich problemlos nächstes Jahr bei der Landesgartenschau in Prenzlau vortragen kann, ohne rechtliche Probleme …?“ Ich nickte, denn der Apfelmann ist so einer, dem man/frau schlecht was abschlagen kann. „Apfelmann“ nennen ihn die Zehdenicker Kinder und der Name passt. Seine Wangen leuchten schön rot im Wind, doch mehr noch seine hellwachen Augen, wenn er nicht gerade krank ist. Der Apfelmann schaut glücklich ins Land, denn er ist ganz bei sich selbst. Er suchte nach alten, regionalen Sorten: Den Lunow, Hasenkopf, Rote Walze, Ochsennase, Gravensteiner, Signe Tillisch … und lernte sie mit der Zeit fachgerecht zu bestimmen. Er ist immer noch ein Lernender. „Manchmal müssen die Pomologen aus Verzweiflung auch mal schwindeln“, scherzt der Mann mit warmer, sinnlicher Stimme, über zuweilen ratlose Apfelbestimmung bei Ausstellungen. „Ich kenn’ mittlerweile das Sortiment von Oberhavel bis weit rein in die Schorfheide – etwa 120 Sorten Naschobst. Und doch erlebt man immer wieder, dass die Sorten durch das Wetter verfälscht sind. Dann erkennt man sie schwer, und genau da beginnt die hohe Schule der Sortenbestimmung …“ Und als unterhaltsames Beiwerk für seine Apfelausstellungen, schrieb ich ihm dieses Märchen: Der kleine Apfelkönig

Der kleine Apfelkönig, Zeichnung von Petra Elsner
Der kleine Apfelkönig, Zeichnung von Petra Elsner

Der kleine Apfelkönig lebte in einem weiten Apfelhain unter der nördlichen Sonne. Er war so rund wie ein schöner Apfel und immer gut gelaunt. Jeden Tag ließ er sich zum Frühstück einen knackigen rotbäckigen Apfel servieren und reimte dazu: „Ein Apfel am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen. Ein Apfel am Abend, ist Sinne labend.“ Dann biss er in die leckere Frucht und seine roten Apfelpausbäckchen tanzten heitere Kreise, während er das saftige Fleisch kaute. Der kleine Apfelkönig hieß Abellio, genauso wie der alte keltische Apfelgott, dem alle Apfelbäume unterstehen sollen. Doch dem göttlichen Gevatter war der kleine Apfelkönig noch nie begegnet, und so herrschte er ohne Ehrfurcht. Besonders wenn im Herbst die roten und prall-grünen Äpfelchen schwer in den Ästen hingen, schlenderte Abellio voller Vorfreude durch sein nahrhaftes Reich und dichtete:  „Wenn der Apfel reif ist, fällt er vom Baume – nicht die Pflaume.“  Oder: „Täglich ein Glas Apfelsaft schützt das Hirn und gibt viel Kraft.“ –  „Isst du drei Äpfel jeden Tag, bekommst du keinen Herzinfarkt.“ – „Wenn dich die Nerven jagen, iss Äpfel, so kannst du ruhig schlafen.“ Der kleine König schrieb schon viele Jahre lang alle seine Sprüche, Reime und Lehrsätze in sein großes Apfelbuch. An stillen Wintertagen las er daraus seinen fleißigen Untertanen vor, damit sie sich das reiche Apfelwissen merkten. „Es ist unser heiliges Wissen. Vergesst es nicht und behütet es gut“, sprach der kleine Apfelkönig sehr bedeutsam, wenn er seine Vorlesung beendete. Eines Tages aber war das große Apfelbuch verschwunden und der kleine König grämte sich: „Wer macht denn so etwas?“ Sein ganzer Wissensschatz über 1000 Apfelsorten und seine Apfelsprüche schienen ihm verloren. Aber er wäre nicht König, wenn Abellio sogleich aufgeben würde. Er rief die Apfelmänner seines Reiches zusammen. Das waren verschwiegene Gefährten, die allerlei betörende Flüssigkeiten dem Apfel abrangen. Mit Genehmigung des kleinen Apfelkönig, versteht sich. Sie sandte Abellio aus, um sein schlaues Buch zu finden. Wer es zurückbringt, dem versprach er einen Goldenen Apfel, der ihm ewige Jugend bringt. Die Apfelmänner nahmen ihre Hunde an die Leinen und zogen los. Tagelang irrten sie umher. Folgten dieser und jener Fährte, bis einer von ihnen, der Jakob, an ein großes Haus gelangte. Es war ein düsteres Gemäuer mit schwerem Eisengitterzaun. So hoch wie zwei Männer. Auf dem Schild an der Pforte war „Industrielle Apfelei – Entwicklungslabor“ zu lesen. Hier schlug Jakobs Hund wie wild an. Ein alter Mann öffnete verstört, und der Apfelmann fragte ihn, was sich denn hinter dem Tor befinde. „Geht dich das etwas an?“, herrschte der Alte und sah ihn mit stechendem Blick an. Aber der Apfelmann ließ sich nicht einschüchtern. „Ich fahnde nach einem gemeinen Dieb, der uns unser Wissen raubte!“ „Einen solchen gibt es hier nicht“, meinte der weißhaarige Mann abwiegelnd. „Wir sind hier nur Forscher, die nach dem Code des Apfels suchen. 300 Inhaltsstoffe haben wir entschlüsselt, aber das sind noch nicht alle.“ Der Apfelmann horchte auf. „Und dazu hab ihr vielleicht das große Apfelbuch vom kleinen Apfelkönig Abellio gebraucht?“ „Was für eine Unterstellung!“, brauste der alte Mann auf, und wollte die schwere Pforte dem Apfelmann vor der Nase zuschlagen. Doch der hatte seinen großen Fuß dazwischengesetzt. Der Alte schob und fluchte, doch so sehr er auch drückte, er bekam die Tür nicht geschlossen. Schließlich druckste er herum: „Na ja, wir wollte nur mal nachsehen, was der kleine Apfelkönig  aufgeschrieben hat – er bekommt es ja zurück.“ Jakob warf mit aller Kraft die Pforte auf: „Gleich und sofort gibst du mir die Schrift! Sonst kommt sie doch noch weg, und ihr verkauft uns dann irgendwann teure Apfelpillen, weil wir den Wert unsere Nationalfrucht nicht mehr kennen. Das werde ich nicht zulassen!“ Er schüttelte den Alten so sehr, bis er das Buch herausgab. Im Gehen sprach Jakob: „Ihr müsst nicht nach der allerletzten Feinheit suchen, esst einfach den Apfel und bleibt gesund.“ Der Alte stampfte wütend mit dem Fuß auf und steckte dem tapferen Apfelmann böse seine Zunge raus. Der aber entschwand mit dem Apfelwissen ins Reich des kleinen Apfelkönigs, der unter der nördlichen Sonne frohen Mutes immer noch nach den Apfelbäumen schaut.

Der Apfelmann von Zehdenick, Jürgen Sinnecker Foto: Lutz Reinhardt
Der Apfelmann von Zehdenick, Jürgen Sinnecker
Foto: Lutz Reinhardt

Ϯ Das Apfelmännchen ist am 3. November 2021, nach langer schwerer Krankheit, in den Apfelhimmel gezogen. Dieser Beitrag bleibt zu seinem Gedenken bestehen, damit Ihr Euch seiner erinnert.

Dorfgeflüster: Gartengeschenke

Gartengeschenke

Manche Leute sind wie ein Geschenk unterwegs. Den letzten dieser Art wehte es mit einem Kleintransporter herbei.  Nach einem Pott Kaffee schlenderte er durch unser Gartengrün, pfiff leise durch seine Zahnlücke und verlor plötzlich atemlos goldene Sätze wie diese: „In den Teich müsst ihr mal ein Stück Kupferrohr geben, dann wird das Wasser glasklar. Und das hier soll eine Kopfweide werden? Die zerreißt euch der Wind, wenn ihr nicht den Kopf lichtet.“ Er sieht mich streng an: „Sieh, dort unten klafft schon ein Riss am Stamm. Solche Baumwunden musst du desinfizieren. Ist ganz einfach. Eine Knoblauchknolle zerstampfen, in ein Marmeladenglas geben, Wasser drauf, drei Wochen stehen lassen, dann die Tinktur auf die Wunde streichen und alles wird gut. Ah, ihr macht Brennnesseljauche, das ist gut, aber Rainfarnjauche bewirkt das Gleiche und stinkt nicht so. Die Brombeerruten musst du zu Bögen binden, dann werden sie schön dicht und tragen mehr. Das kannst du auch mit deinen Kletterrosen machen. Übrigens wenn mal wieder die Mücken nerven, so einen Wedel vom Essigbaum vor dem Partyabend einfach in eine Badewanne mit kaltem Wasser hauen und abends beim Sitzplatz aufhängen, den Duft mögen die fiesen Stecher gar nicht. Die Eibe sieht aber dürr aus! Ihr müsst beim Pflanzen nicht nur das Pflanzloch wässern, sondern die Pflanze richtig mit Erdschlamm einschwämmen. Der Schlamm umschießt sofort die feinen Wurzeln, es bilden sich keine Luftkammern, die oftmals zum Vertrocknen der Pflanze führen …“  Der Mann mit dem schrägen Schlapphütchen lächelt verschmitzt in unsere verwunderten Gesichter, als er nach diesen lehrreichen Minuten wieder geht. Wir aber haben tagelang damit zu schaffen gehabt, seine wertvollen Tipps umzusetzen. Dankeschön Harry.

© Petra Elsner

Ein weiteres Dorfgeflüster hier

Neue Paradiesvögel: Rocklegende 2

… zum Sonntag passt ein unbeschwerter Blick, beispielsweise dieser hier: Der Cartoon „Rocklegende 2“ ist meine Fantasie auf die Scheibe „Stadtaffe“ von Peter Fox und Cold Steel. Entstanden ist das Teil bei 36 Grad im Juli 2013, Ateliertemperatur 29,3 Grad – schnauf …

Peter Fox und Cold Steel-kor-kl

© Petra Elsner

Reportagen aus dem Schorfheidewald: Der Heide-Rebell

Waldskulpturen 2012-kl

Waldskulpturen von Siegfried Haase

Er setzt schon einmal den Stein des Anstoßes, der Siegfried Haase aus Groß Dölln. Jenem Dorf im Schorfheidewald, dem man nachsagt, hier wurden einst die neugeborenen  Söhne auf den Dachfirst gesetzt, um ihre Zukunft vorher zu sehen: Fällt er nach vorn, wird er ein Wilddieb, fällt er nach hinten, wird er ein Holzdieb. Kein Wunder, in „Hungerdölln“ waren die beruflichen Perspektiven nie üppig. Der Boden, auf dem man hier siedelt, ist so mager, dass selbst die zwei Döllner Bauern zu DDR-Zeiten nicht in eine LPG gepresst wurden. So kam es, dass Haases Vater ein freier Bauer blieb und der Sohn unangepasst aufwuchs. Mit dieser „unsozialistischen“ Herkunft konnte man damals leider auch nicht Förster werden, wie er es gern wollte. Vielleicht erklärt sich daher seine Affinität zum berüchtigten Döllner Wildererkönig Georg Schäfke. Über ihn hat ein Buch mit herausgegeben  und  2007 hat er zusammen mit ein paar anderen Döllnern, diesem Wilddieb einen  Gedenkstein am Koppelberg gesetzt. Das gefiel nicht jedem. Auch das findet der Mann in Ordnung.
Er war lange weg, der Siegfried Haase, wegen der Lehre zum BMSR-Techniker, der Arbeit und der Familie in Berlin. Sein Haar ist schon in den 80ger Jahren grau geworden, als die Russen in Dölln seinen Vater überfuhren. Damals ließ man ihn von Amts wegen nicht zurückkehren in sein Elternhaus.* Er musste sich wahrlich ein kleines Sommerhaus unter schwierigen Bedingungen aufbauen, um die Wochenenden und den Urlaub in der Schorfheide verbringen zu können. Ohne die Heide leben, dass wäre für den Naturfreund nicht gegangen.
Haase ist mit 60 Jahren und in Altersteilzeit gegangen. Viel Zeit verbringt er seither in Groß Dölln. Und keine Minute hat er sich seither  gelangweilt. Auf dem geerbten Hof werkelte er schon Jahre lang in den umfunktionierten Ställen. Dabei wuchs er, inspiriert vom Metallbildhauer R. Pfeiffer und Bildbänden von Andy Goldsworthy langsam zum Metallkünstler heran. Getrieben von einer herzerfrischenden Spiellust und einem sensationellen Mutterwitz. Sein verwunschen wirkender Garten ist ein Refugium für all diese spöttischen Objekte. In seinen Inszenierungen aus Gartenforke, Radnabe, Felgen, Speichen, Federn…ist fast immer ein schräger Vogel mit von der Partie. Auch nicht verwunderlich, denn Haase ist Freizeit-Ornithologe. Er macht sich Gedanken um das Ganze und um das Detail. Dabei denkt er gern quer und anders als andere. Jetzt fragt er sich gerade, wie man am besten eine Landschaft „aufladen“ kann. Und meint damit, sie spannender, reizvoller, anziehender, wertvoller zu gestalten.
Gemeinsam mit dem Zehdenicker Bildhauer Uwe Thamm kam ihm ein Überraschungswald in den Sinn. Da es sein Wald ist, der da im Kurtschlager Gebiet liegt, musste er keinen fragen, konnte einfach loslegen. Hinter den Wiesen zum Döllnfließ, bei Klein Dölln, zieht die Waldkante einen schönen Bogen. In ihm finden sich bizarre „Burkusseln“, also krummwüchsige, vielarmige Bauerkiefern, die geradezu zum künstlerischen Spiel einladen. Hier haben Haase und Thamm einiges für den Wanderer und Jogger versteckt: Aufgehängte, vom Biber angespitzte Klanghölzer, anderswo ein Stuhlnest am Stamm,  weiter hinten lenkt ein Wanderbaum den Weg in die Wolken. Ein Hahn und dort ein Pfau… verstecken sich hoch oben im Geäst – erst auf den nächsten Blick sichtbar. Am Boden begegnet man aus Todholz einem Gnom, unweit einem Zweiten … Der parkähnliche Überraschungswald wächst immer weiter. Und Haase meint: „Es geht uns hier um Kunstobjekte aus natürlichen und anderen vergänglichen Materialien. Oder anders gesagt, den Vorgang des Verfalls gehört mit zur Kunst.“ Solche Kunst übt einen ähnlichen Reiz auf ihn aus, wie der morbide Charme verfallender Häuser, „wenn es denn nicht das eigene ist“, witzelt er. Anlass für dieses Gestalten, ist das Nachdenken über das Entstehen und Vergehen anzuregen, aber auch der Spaß, den man dabei hat. Materialien dafür sind absterbendes Holz, Steine, Leder, rostiges Metall, aber es könnte auch Papier sein. Ein Foto hält die Idee für die Ewigkeit fest. Der Rest verweht irgendwann als Rost mit dem Wind,  wird Humus oder vom Regen fort gespült. Auf keinen Fall aber kommt unverrottbarer Plastikmüll zum Einsatz.
Haase will keinen sogenannten Kunstpfad initialisieren, der dann massenweise beschritten wird. Es soll eher zugehen, wie beim Pilze suchen. Die ersten, die ihre Waldfantasien entdecken, sollten seiner Ansicht nach die Einheimischen sein, die vielleicht den Kopf schütteln, sich wundern, kichern, stolz darauf sind und es deswegen weiter erzählen. Den Ort weiter zu beleben, lädt Haase seither Künstlerkollegen und ähnlich Denkende ein. Ihre Ideen müssten sie dann selbst umsetzen. Es darf nichts kosten, und es gibt kein Geld dafür.
Neulich traf der Künstler im Wald den Jäger und Naturwächter Rudi Christian aus Kurtschlag. Der scherzte: „Na, wie viel Kunst verträgt dein Wald?“, und Haase antwortete: „Ihr möbliert den Wald mit Hochsitzen, und wir hängen dazu die Bilder …“

Kontakt Kunstwald: Siegfried Haase, Kleine Dellenstraße 9, 17268 Templin OT Groß Dölln, Mail: siegfried.haase@freenet.de

*Zu DDR-Zeiten, wurde der Wohnraum von einer staatlichen Wohnraumlenkung, auch der private, mit Einquartierungen belegt, wenn er ein bestimmtes Maß überschritt.

Siegfried Haase aus Groß Dölln mit seiner Arche. Foto: Petra Elsner
Siegfried Haase aus Groß Dölln mit seiner Arche. Foto: Petra Elsner

Eine weitere Reportage aus dem Schorfheidewald hier

Vom Sambasyndrom im Schorfheidewald

Die Trommeln hallen aus dem Buschdorf in den Schorfheidewald und erzählen vom unbändigen Frohsinn. Der hat überhaupt kein Alter und so kam es wohl, dass Kurtschlags Trommler 18 Spieler im Alter zwischen 15 und 80 Jahren vereint. Und wer ihnen zuhört, der ist mitgerissen.
Alles begann mit zwei Zugereisten. Von Thüringen, über Berlin ins 300-Seelen-Dorf Kurtschlag. Sie bewohnen seit 1997 das Rosenhäuschen nicht nur im Sommer, wie anfänglich vor 17 Jahren. Die Berliner, jetzt Zehdenicker Rechtsanwältinnen Patricia Virgiels (46) und Sabine Kupfer (60) spielten seinerzeit zum Ausgleich bei „Brincadeira“, den Trommlern vom FEZ in der Berliner Wuhlheide mit. Einmal im Jahr verlebten jene ein Probenwochenende auf dem Lande. Man konnte das Gemeindezentrum kostenlos nutzen. Als Dankeschön spendierte „Brincadeira“ eine öffentliche Probe dem Schorfheidedorf. Fein gemacht, kamen viele und wippten fasziniert mit.
1995 las Patricia in der Zeitung, dass die VHS einen Wochenendkurs im Conga-Trommeln anbot. Dorthin rief sie ihre innere Stimme. Aber es dauerte noch bis 1998, da entdeckte sie die Samba-Gruppe „Stick’n Rainbow“ auf einer Berliner Straße. An die dockte der Trommelneuling an, während die Akkordeon spielende Sabine nur zusah. 2001 warb die Gruppe „Brincaderia“ aus dem FEZ um Zuwachs. Und dorthin kam nun auch Sabine mit, denn zu Haus hatte ihr Patricia längst beigebracht, was sie gelernt hatte. Urlaubsfortbildung über die Landesmusikakademie auf Small Percussion, Spielfreude bei Conga-Workshops, afrikanische Djembes … All das und die wöchentliche Donnerstagsprobe im FEZ, brachte sie musikalisch voran. Weltweit mischen sich derweil die Samba mit dem Tango, mit Kubanischen Rhythmen und Balkanmusik zu einem sich immer wieder neu erfindendem Globel-Sound. Spannend.
Als 14 Kurtschläger vor gut vier Jahren meinten, eine Samba, genauer eine Bahia, zum 260. Jahrestag des Dorfes, auf Parkett legen zu wollen, wuchs die Herausforderung für Patricia und Sabine gewaltig. Plötzlich standen die zwei Spielerinnen vorne und lernten nun zu unterrichten. Altersgerecht. Beispielsweise einen anderen Rhythmus für Erika Asmus und ihre Rocar zu finden, damit die Kraft der damals 79-Jährigen ausreicht. Zu schwierig – dieses sportliche: Datschdadatschdadatsch. Herauskam ein langsameres Datschdadatsch, dass Erika schafft und bei Laune hält.
Es sollte eigentlich nur der Jubiläumsbeitrag des ortsansässigen Kulturvereins sein, aber plötzlich waren alle von der Samba infiziert. Detlef Brünnich stellte sich als Naturtalent heraus. Beinahe alle anderen brauchten gelegentlich Einzelunterricht, damit das eine Stück, innerhalb eines halben Jahres, auch klappt. Geprobt wurde einmal pro Woche. In Auftrittsnähe alle zwei Tage. Es wurde schließlich (unterstützt von „Brincaderia“) ein Bombenerfolg. Was Wunder, dass die Kurtschlager Trommler Lust auf mehr hatten und einfach weiter übten. Die Instrumente waren bis dahin geliehen. Jetzt wurden eigene erworben, Auftrittsgarderobe auch, denn Auftritte gibt es nun öfter: Bei den Kulturwochen in Zehdenick, im Feriendorf am Groß Väter See …
Die Chefinnen hatten es geahnt. Wegen der vielen Zeit, die an dieser musikalischen Sozialarbeit dran hängt – hatten sie erst Skrupel. Aber der Reiz, in dieser ungewöhnlichen Formation zu spielen, war dann doch größer. Im Winter mischten Sabine und Sohn Oliver (37) für jeden Spieler Lern-CDs ab. Die Stücke, die einzelnen Stimmen … Wieder ein Wochenende voller Freizeitarbeit.
Sie nennen sich „Os Velhos Sambeiros“, zu Deutsch: Die alten Sambaspieler. Aber inzwischen ist auch der 15-jährige Kevin Batorsik dabei, der mit seiner Oma nach dem Dorffest dazu kam. Der spielt die Surdo, die brasilianische Basstrommel. Als 19-Jährigen hatten Sabine und Patricia Tobias Steddin eingesammelt, während er im Dorf Zeitungen austrug. Wissend, der spielt schon lange Schlagzeug im häuslichen Keller allein und für eine Mädchenband. Tobi wunderte sich, „wie schräg die Töne kommen“. Das hinzukriegen, war selbst für ihn nicht leicht, aber fesselnd. Inzwischen studiert er weit weg. So ist ganz klar: „Os Velhos Sambeiros sucht immer Nachwuchs – gleich welchen Alters.
Nach nur einem Jahr hatten die Kurtschläger Sambaspieler fünf endlos variierbare Stücke drauf: den Opener, Samba-Duro, Samba-Reggae, Bajao und den Funk, längst können sie mehr. Aber den Funk, den liebt besonders die 73-jährige Sieglinde Imm. Die kleine Frau lächelt bei ihrem Rattatatam auf der kleinen Trommel überglücklich – ganz vorne im Rampenlicht. Nein, leicht viel ihr das Rhythmusfinden nicht, aber sie genießt das lustvolle Gemeinschaftsspiel und die anderen auch.

2-Die Kurtschlager Trommler-kl

Eine weitere Reportage aus dem Schorfheidewald hier