Lesekostprobe

Die ersten 10 Klausurtage sind vergangen. Die Novelle wächst. Im zweiten Teil der Klausur, werden eine Handvoll Kurzgeschichten entstehen. Gestern hatte ich dafür eine Geschichtenidee, die ich Euch zu diesem Wochenende als Lesekostprobe servieren möchte… bis demnächst wieder 😊

Das Grammophon in der Nacht

Er wohnte in dem Eckhaus mit dem besonderen vietnamesischen Spezialitätenladen. Dort, im vierten Stock, hatte er sein Versteck, ein Labyrinth aus Büchern und schönen, alten Dingen. Niemand durfte es betreten, denn wäre zufällig ein Statiker dort hineingekommen, es hätte ihn der Schlag getroffen. Es war die Zeit, in der so mancher sich einen Whirlpool in das frischsanierte Bad stellte und damit rasch mal eine Etage tiefer landete. Im Prenzlauer Berg herrschte vor den Grundsanierungen der Hausschwamm im Gebälk. Weil einst die Leute aus jedem Bau-Container das entsorgte Holz klauten, um sich daraus vielleicht ein Hochbett zu bauen. Der Schwamm durfte also auch in den Dielen von Karl Wunderlich stecken, doch der Mann hielt die Gefahr geheim. Schon immer verführte den Herrn Wunderlich dieser Hang zum Sammeln in eine leise Zeit. Zwischen all den Bücherstapeln bis unter die Gründerzeitdecke, tickte die Uhr langsamer als draußen vor der Tür. Ein Ort der Stille, an dem alles noch seinen Wert hatte, weil er die Dinge schätzte.

Der Wohn-Kietz war im Umbruch und plötzlich bemerkte Karl Wunderlich, dass alle seine Bekannten verzogen waren, selbst seine alte Stammkneipe hatte geschlossen. Er fühlte sich inzwischen sehr allein. Nun trug es sich zu, dass auch besagtes Eckhaus eine Nobelsanierung bekommen sollte. Man forderte den Mieter nicht nur einmal auf, den Umzug vorzubereiten. Aber Karl Wunderlich versteckte sich und öffnete niemandem.
In einer warmen Mainacht öffnete er seine Balkontür und stellte sein Grammophon unter den freien Himmel. Es war weit nach Mitternacht als er die erste Schellackplatte auflegte: Heinz Rühmann und Hans Alberts knisterten mit „Jawohl, meine Herr’n“ über die Balkonbrüstung. „Ich hab dich und du hast mich“ trällerte und pfiff Ilse Werner anschließend und plötzlich tanzte ein Pärchen auf der Straßenkreuzung. Die Nostalgie der Töne lockte Nachtschwärmer herbei. Junge Menschen, die regelrecht verzückt waren von der schrulligen Stimmung. „Bitte leg noch was auf!“ riefen sie dem Mann auf dem Balkon zu. Karl Wunderlich lächelte, winkte scheu den Leuten zu und kaum später leierte Lale Andersens „Lilli Marleen“ durch die Nachtluft. Unterdessen rollte eine Polizeistreife heran. Karl Wunderlich hob den Tonarm von der Platte und schloss seine Balkontür. Die Tänzer drehten sich in einen Kuss und tummelten sich dann, als wäre nichts gewesen.

In der nächsten Nacht rief eine kleine Menschentraube nach ihm: „Hallo, Grammophon-DJ, leg uns ne Scheibe auf! Bitte!“ Warum nicht, dachte Karl und zog seine Kiste mit den 20er Jahre-Platten auf den Balkon. Diesmal tönte frecher Schlager-Swing über die Brüstung. „Wer hat nur den Käse zum Bahnhof gerollt“, dann „Mein Papagei frisst keine harten Eier“. Die Magie der Geräusche lud Passanten ein, zu verweilen. Das ging einige Nächte so weiter und endete immer damit, dass eine Polizeistreife heranrollte. Ganz langsam, damit die Szene Zeit hatte, sich zu zerstreuen. Niemand hatte sie gerufen, aber auch die Uniformierten waren verzückt von diesem hübsch altmodischen Flashmob.

Doch die Zeit drängte. Karl Wunderlich musste raus aus der Wohnung und sich kümmern. Nachts reagierte er nicht mehr auf die Rufer. Er packte völlig verstört Kartons, als es an der Wohnungstür klingelte. Zaghaft öffnete er. „Herr Wunderlich, wollen Sie mit Ihrem Grammophon zu unserem Hoffest kommen? Es wäre uns eine Freude.“ Karls Augen leuchteten, aber er winkte zugleich ab. „Es geht nicht. Ich muss morgen umziehen und weiß gar nicht, wie das gehen soll.“ „Wieso?“ fragte der junge Mann. Der Sammler gestattete ihm einen kleinen Einblick. „Ach herrje, das ist wirklich viel! Aber was solls, bestellen Sie ruhig den Transporter, ich besorge Leute, die das runtertragen und auch wieder rein in das neue Quartier, wenn Sie nächsten Samstag zu uns kommen.“ Karl Wunderlich nickte aufgeregt und sehr erleichtert.
Es kam, wie versprochen. Wunderlichs gigantischer Umzug wurde vollbracht. Zu seiner Freude, denn das Ausweichquartier entpuppte sich als Ladenwohnung, aus der Herr Wunderlich nach ein paar Wochen ein magisches Antiquariat der Bücher und Töne zauberte. Mit rotem Canapé und Messingteetischchen im Fenster. Ein Geheimtipp und ein Ort, an dem manche Nacht ein Käse zum Bahnhof gerollt wird.

©Petra Elsner

Winterklausur 2025

Nun ist es soweit, die Zeit ist ran. Ich beginne meine Winterklausur 2025. Hoffentlich hat mich der Winterschlaf vom schweren Jahr 2024 kuriert, so dass eine neue Novelle in den nächsten Wochen entstehen kann. Sie wird den Grundton der drei handgebundenen Künstler-Hefte „Die Zeit der weißen Wälder“ (2022), „Zeitschatten – oder die verlorene Geschichte“ (2023) und „Morgenstill“ (2024) aufnehmen und sich dem Thema „Vertrieben ohne zu gehen“ stellen.
Soweit ist es klar. Mal sehen, welche Protagonisten sich dazu sich einstellen. Ich werde es fließen lassen und vielleicht, ab und zu hier eine Leseprobe einstellen.
Mit dem vierten Heft dieser Art wäre ein echter Buchumfang erreicht, aber ich suche für diese Stoffe nicht mehr nach einem Verleger. Käme jemand von sich aus und mit Interesse auf mich zu, wäre das etwas anderes…

Ansonsten wird es über die Klausurzeit weitestgehend still auf dem Blog sein.
Macht es Euch schön derweil,
Eure Petra

Eine Buchbesprechung

Unfall mit Rose – Gedichte & Anhänge von Eckhard Mieder

Thersites, den Homer in „Ilias“ als schmähsüchtigen und allgemein verhassten Demagogen entlarvte, steht Pate zu Eckhard Mieders Eröffnung in „Unfall mit Rose“. In seinen neuen Gedichten geht es um Verrat und Krieg, um unrühmliche Sieger, um Dreck und Gewalt und um das todessüchtige Konzert der Welt. Harter Tobak. „Zeitgeist. Kommen. Gehen“ erzählt spitz und süffisant vom Auftritt des immer Gleichen, dem die Leute folgen, „wie die Kinder dem Rattenfänger von H.“.
„‘s ist Krieg oder sowas“ der Schnecken, die ihre Häuser zu Markte tragen und nur eine Spur aus Schleim hinterlassen. Dieses 1. Buch der lyrischen Sammlung umfasst nicht nur Gedichte. Sie enthält auch Erlebnisschnipsel aus Mieders Wander-Skizzenbuch, die Reflektionen auf die Welt anstoßen. Eine Steno-Notiz eines Männergespräches und andere Absurditäten. Mieder, der ein Welten-Durchwanderer ist, gestattet sich in „Wind. Geschichte. Zufall“ die Frage, wie er selbst vor den Zeitenwind geraten konnte – taub wie blind. Im Älterwerden rechnen auch die Dichter mit sich und den anderen ab – desillusioniert. Er spricht von der Auslöschung des Menschseins. Durchgängig spürt der Leser die Wut des Schreibers, der genau an diesem Verlust leidet und gefriert. Und immer wieder Worte, die vom Krieg berichten, als wäre er schon überall – und vom dünnen Eis, auf dem wir stehen.

Leutasch im Winter.
Einem Alien ins Poesiealbum geschrieben


In manchen Gegenden auf meinem Planeten
gibt es mehr Schnee als Glück. Ich
vermute dies. Ich weiß es natürlich nicht,
weil Schnee Glück bedeuten kann, und dann
gäbe es so viel Glück wie Schnee. Exakt.

In manchen Gegenden meines Planeten,
die wir lebend nicht betreten, weil wir
auf gläsernen Skiern unterwegs sind, bis die
Lawine kommt, sind wir vergebens
unterwegs gewesen. Ungefähr.

Im 2. Buch der Sammlung „Alte Not…“ gilt es in Reimen zu berühren. Beispielsweise den „Filmriss“ – war da was oder war nichts? Wer weiß.
Im 3. Buch „… und leicht ist unser Schritt“ wird es wirklich schwer. In den Anhängen spricht ein Henker Stalins warnend zu seinem Neffen: „Menschen zu erschießen schadet der Gesundheit und der Seele“. Aber der gesandte Neffe will sehen, wie der Onkel richtet und ist zu guter Letzt dessen Scharfrichter. Ein Hörspiel, das unter die Haut kraucht. Jahre später geht es um einen anderen Niedergang: Im Deutschen Theater bewacht der Staatsschauspieler E. in den Wendetagen den Gast H. auf Geheiß des Intendanten. Während E. nachdenklich durch die Kulissen schleicht, bemerkt er, dass Beider Zeit abläuft und gerät in Sorge: „…wer weiß, welche Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden.“
In den verlassenen Bauten eines zerbröselnden Landes sind Männer mit Abrissbirne unterwegs. Die düstere Komödie schaut in den Dreck jener Zeit. Aber da ist eine wirre Gestalt, die so ein Abrisshaus mit einer Flinte bis aufs Blut verteidigt. Und einer der Abrissmänner meint dazu emotionslos:
„Schon wieder einer der das Reden lernte
Im Knast im Gulag im KZ weiß ich
In welcher Hölle hauste der“… Abgeklärtes Wahrnehmen.
„Unfall mit Rose“ lässt den Leser betroffen zurück, denn man spürt den großen Atem des Unheils aus den vergangenen Jahrzehnten und weiß indem, nichts wird gut. Aber Mieders Lyrik scheint mir besonders geeignet für die große Scherbenlese dieser Zeit.
Petra Elsner

Eckhard Mieder, Unfall mit Rose,
Verlag am Park, 2024, ISBN: 978-3-89793-389-7, 17 €

Morgenstunde (1034. Blog-Notat)

Heute Nacht ging es wieder auf einer ausladenden Wendeltreppe, die sich sehr bald in ein Laufband mit Fangnetzen verwandelte, hinauf in luftige Höhen. Wir wollten in ein Gasthaus in den Wolken, aber es kam ein Sturm auf.  Das Laufband geriet ins Schwanken, dann ins Drehen und die Menschen fielen allesamt in die grünen Netze. Ein Hangeln und Schreien und ich sagte mir andauernd: Stopp, es ist ein Traum! Aber das Herz raste schon und in den Ohren pfiff es… Ich stiegt aus dem Alb-Bett, schlüpfte in den Bademantel, drehte die Heizung im Atelier auf und holte mit nach dem Blutdruckmessen eine Pille und ein Glas Wasser. Schnauf. Es war 4:00 Uhr. Das Warten auf die Wirkung vertrieb ich mir mit ein paar Blicken in die Mail-Post. Es steckte nur Werbung darin, also fuhr ich den Computer wieder runter und versuchte eine zweite Schlafschicht – der nächtliche Wahnsinn ebbte ab …

Morgenstunde (1033. Blog-Notat)

In der Nacht liegt Schnee wie ein flüchtiger Wintertraum. Schön. Das hilft zu Versenken. Noch bin ich beim Sortieren von Sammelstücken, eine Vorarbeit für die kommende Klausur. Es sollte wieder eine Novelle werden, kein Märchen, aber wer weiß schon, was wird. Ich hoffe, auch wenn draußen ein schlammiger Wahlkampf tobt, in meinem Innern ein bisschen Magie aufzustöbern…

Morgenstunde (1032. Blog-Notat)

Ist wieder fette Hühnersuppe im Haus. Mein Prof meinte immer, wenn es meiner Lunge schlecht ging: „Hühnersuppe, Hühnersuppe!“ Jetzt wartet so ein 10-Liter-Topf aufs Portionieren und Einfrieren und das ganze Häuschen duftet 😊. Hach, schön, wenn‘s angerichtet ist… Ich schlief noch, als heute früh das Telefon klingelte: „Mam, wir kommen nicht am Sonntag. Jetzt bin ich richtig erkältet und ich will Dich nicht anstecken. Brauchst die Rouladen nicht auftauen…“ Einer hat immer was, wir gerade nicht und so wird der Sonntag frei fürs Lesen, war ja Vorgestern wieder mal ein Buch in der Briefpost. Passt.

Morgenstunde (1031. Blog-Notat)

Wir halten Winterschlaf wie schon letzten Januar und manchen anderen davor auch. Es kam mir komisch vor, dass wir immer nach Weihnachten plötzlich 12 Stunden schliefen, zzgl. Mittagsruhe. Was ist das? Halten Menschen, wenn sie können, auch Winterschlaf? Ja, sagt inzwischen die Forschung: Kälte und Dunkelheit ändern auch das Schlafverhalten von Menschen, aber sie können nicht wie viele Tiere echten Winterschlaf halten. Dazu fehlt ihnen „braunes Fett“.  Dennoch gibt es ein Beispiel für eine Winterschlafvariante: Vor gut 100 Jahren lebte in der Gegend von Pskow ein zugewanderter sibirischer Volksstamm: In Ermanglung von ausreichend Nahrung versammelten sich die Familien beim ersten Schneefall am Lagerfeuer – und gingen danach allesamt schlafen. Einmal am Tag stand jeder kurz auf, aß ein wenig Brot und trank dazu einen Schluck Wasser und ging dann zurück auf sein Winterlager. Ganze sechs Monate genoss das kleine Volk diesen geruhsamen Zustand – bis die ersten Frühlingsboten eintrafen… Geht doch irgendwie. Nur wir essen gute Hausmannskost, wohl deshalb sind wir dann doch auch im Januar ein bisschen länger wach 😊.

Nebelschleier im Schorfheidewald zwischen Kappe und Kurtschlag am 6. Januar 2025.

Morgenstunde (1030. Blog-Notat)

Am Leben bleiben – ist ein gutes Motto für 2025 und sich behaupten. Denn das brandneue Jahr wird den windigen Mantel des Wandels überstreifen und ob die Mainstream-Parteien dem globalen Gegenwind gewachsen sind, wird sich am und nach dem 23. Februar zeigen. Wer auch immer das Rennen macht, es liegen ungeheure Herausforderungen in der gesamten Gesellschaft vor jenen und uns. Klar ist es leichter, ein Bürokratiemonster ungebremst zu füttern, als es abzuspecken. Aber das ist das Dringlichste, neben all den anderen bekannten Problemen. Es kann also 2025 ungemütlich werden, aber wir kommen um einen weitsichtigen Modernisierungsprozess nicht herum. Dafür brauchen wir Mut und Zuversicht. Wenn wir uns darauf einstimmen, schaffen wir das…

Morgenstunde (1029. Blog-Notat)

Der letzte Tag, das letzte Bild in diesem Jahr. Es war wirklich kein gutes Jahr. Aber neben all den Maläsen und Verlusten, waren es die kleinen menschlichen Überraschungen, die mir Freude schenkten. Die freundlichen Besucher meiner Lesungen, ermunternde Anrufe, die Gans Gilda von Krauses, oder heute ein Brief aus Tübingen von einer mir zugewachsenen Blog-Leserin. Es ist toll, wenn eine aus der Anonymität heraustritt und sich mir zeigt. Wenn früher ein Fremder im Zug unsere damalige Zeitung las, erzählten wir uns danach in der Redaktion: „Oh, wie schön, ich bin meinem einen Leser begegnet…“ 😊 Leserpost war damals immer politisch, nie persöhnlich, und dass das heute anders ist, genieße ich sehr. Danke Jana!
Also liebe Leserinnen und Leser von schorfheidewald.de, ich wünsche Euch allen ein friedliches Hinübergleiten in die kommende Zeit, macht Euch glücklich,
Eure Petra

Morgenstunde (1028. Blog-Notat)

… und die KLAUSUR 2025 – Ende Januar rückt auch näher…

In den letzten Tagen des Jahres finde ich zu neuer kreativer Kraft zurück. Ich spachtele kleine Platten und bette poetische Gedanken als Textspuren darin ein. Deutlicher als zuvor, weil sich sensible Zerrissenheit im Blick auf die Welt einstellt. Können wir sie noch retten? Ich weiß es nicht, aber ich will mit diesen Farbsplittern Inneres berühren, Emotionen anstimmen wie einen guten Ton, einen Friedensklang vielleicht, wenn möglich…
Das Corona-Virus sind wir seit Freitag wieder los, aber die darunterliegende Erkältung sitzt fest…