Groß Schönebeck. An diesem Montagabend setzen einzeln eintreffende Männer und Frauen ihre Schritte durch die dunkle Nässe im Kirchgarten. Im Gemeindehaus wird gerade Licht. Es ist kurz vor 19.30 Uhr. Ein heiteres Gemurmel tönt in den Flur. In der Winterkirche werden Stühle zum Halbkreis gerückt. Scherzen und Reden. Man hat sich mindestens eine Woche nicht gesehen, ist erwartungsvoll auf die Dosis guter Laune, die man sich gemeinsam aus den Abendstunden pflücken wird. Man sagt diesem jungen Chor nach: „Na ja, einen großen Klang hat er nicht, aber viel Spaß.“ Die dörfliche Nachrede stimmt nur bedingt, was den Klang angeht. Denn schon nach einem Jahr Arbeit mit dem professionellen Vocal Coach Ron Randolf stimmen die Töne. Wie mächtig sie sein können, scheint die Choristen allesamt während der Intonationsübungen zu überraschen. Stille Freude in den Gesichtern, wenn sie Tonsilben durch die verschiedensten Tempi gejagt haben. Aber nicht alle können das leise: In der letzten Reihe herrscht aufgeregtes Getuschel bei den Altstimmen. Der Chorleiter bittet „die starken Stimmen sich besser zu verteilen.“ Zwei Frauen ziehen scheinbar um. Nach dem Stuhltausch trennt nur eine stillere Frau die Plaudertaschen. Listiges Lächeln. Der Meister geht nachsichtig zum Nächsten über. Für die meisten hier war der Tag lang, sie sind müde. Manche schaffen gar nicht die vorgenommenen zwei Probestunden. Sie bleiben, solange sie können und genießen dabei die Gemeinschaft.
Sie entstand als Ron und Conny mit ihren beiden Zwillingen von Zerpenschleuse nach Groß Schönebeck zogen. Nach der Geburt der Kinder wohnten die Vier zu beengt, aber Mietwohnungen gibt es in der ländlichen Gegend wenige. Es war Pfarrer Flade, der dieses Problem sah und handelte. Er besprach sich mit dem Kirchenrat und wenig später zog der Solidario-Laden aus dem fein ausgebauten Dachgeschoss des Gemeindehauses ins unsanierte Erdgeschoss und die Musikerfamilie ein. Seither fühlt sich das Leben für Ron „wie ein Märchen an. Und ich wollte dafür einfach etwas zurückgeben. Die Idee einen modernen, kirchenoffenen Chor zu gründen lag in der Luft. Da rannte Pfarrer Flade gewissermaßen offene Türen mit seiner Frage an den Profi ein.
Ron Randolf hatte zuvor noch nie mit einem Laienchor und auch noch nicht mit einem Kirchenchor gearbeitet. Der Musiker war nach seiner Zeit bei der US-Armee in Westberlin hängen geblieben. Als in seinem ersten Eheleben die Kinder kamen, wusste er schnell „Kariere und Familie gehen für mich nicht gut zusammen.“ Damals begann er andere Künstler zu unterrichten. Bald galt er als „Rock & Roll Doctor“, der „gebrochene Stimmen“ verarztet und in seiner Charlottenburger Musikschule (musik atelier) mit Rhythmus und Groove hilft. Und so zaubert er dankbar auch in Groß Schönebeck mit Können und Humor an der Homogenität des Chorklangs. Immer wieder genaues Hören und Reagieren auf das, was der Chor hervorbringt. Dann schnelle Einwürfe: „Luft holen, wenn ihr müsst! Die Männer schwächeln!“ Am Ende des Kanons „Danket dem Herrn“ lobt Ron: „Sehr schön! Nur an diesem Punkt sind wir schlampig geworden: laut und leise.“ Das üben sie wie einen Wellenschlag. „Ja, das ist gut, wenn die Dynamik rauf und runter geht“, freut sich und ermutigt der Meister. Unentwegt arbeitet der Coach an diesem Abend an der Balance der Einzelstimmen. Bei „Der Mond ist aufgegangen“ korrigiert er die Altstimmen: „Ihr müsst leiser werden, die Soprane können nicht lauter!“
Dann greift er demonstrativ nach einem blauen Liederbuch und intoniert drei Lieder. „Welches wollen wir zu Ostern singen?“ So etwas fragt er inzwischen selten, denn Debatten rauben kostbare Probezeit. Aber diesmal ist die erste Wahl gleich einstimmig. Der Song „Low In The Grave He Lay“ wird es sein.
Wie viele ihn zum Osterfest mitsingen werden, wird das Leben bringen. Rund 40 Mitglieder zählt inzwischen der Chor, der weiterhin Nachwuchs sucht. Die anfallenden Kosten trägt die Kirchgemeinde, heißt, es gibt keine Mitgliedsbeiträge. An diesem Montag haben es 22 Frauen und Männer geschafft dabei zu sein. Nach der Probe bleibt, wer kann, noch zum Stammtisch, zum Quatschen und Scherzen, darüber wird es manchmal auch Mitternacht beim mitgebrachten Wein. Danach steigt Ron Randolf dankbar hinauf in sein Heim unter dem Dach. Die Nestwärme, die ihm dieser Ort schenkt, ist für ihn überwältigend.
Petra Elsner
Kontakt: ronrandolf@aol.com
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