Reportagen aus dem Schorfheidewald: Die Mitmenschliche

Annette Flade, 1950 als Kind einer Bäckerfamilie in Wittenberge geboren, studierte an der Humboldt Universität zu Berlin. 1973 heiratet sie Stephan Flade und absolvierte 1976 ihr 2. Theologisches Examen. Zwei Töchter hat das Paar herangezogen und einen Sohn adoptiert. Foto: Petra Elsner
Annette Flade, 1950 als Kind einer Bäckerfamilie in Wittenberge geboren, studierte an der Humboldt Universität zu Berlin. 1973 heiratet sie Stephan Flade und absolvierte 1976 ihr 2. Theologisches Examen. Zwei Töchter hat das Paar herangezogen und einen Sohn adoptiert.
Foto: Petra Elsner

Als vor drei Jahren Stephan Flade als Pfarrer in den Pfarrsprengel Groß Schönebeck eingeführt wurde, bemerkte das Dorf sehr schnell: Hier kommen eigentlich zwei. Denn Annette Flade war ebenfalls Pastorin, nur ohne Anstellung. Doch es war ganz klar, das die ehemalige Ausländerseelsorgerin (neun Jahre in Potsdam) und Entwicklungsarbeiterin (drei Jahre in Indonesien) nicht einfach die Hausdame in der Schlossstraße 9 geben würde. Dazu war in ihrem eigenen Leben zu viel geschehen. Eine, die Folteropfer betreute und für ein globales Miteinander auf Augenhöhe unterwegs ist, würde die Gedanken und Füße nicht stillhalten können. Denn diese Erfahrungen und Einsichten vertreiben die Behaglichkeit aus jedem Seelenwinkel. Es sind die großen Lebensunterschiede nebenan und in der Welt, die Annette Flade ruhelos machen. Und natürlich die Frage: Wie geht man mit ihnen um? 2006 hat sie in dem Buch „Geht dem Flüchtling mit Brot entgegen“ die Essenz ihrer Wahrnehmungen zusammengefasst. Keine leichte Kost.
Jetzt in der Schorfheide scheint alles kleiner gegriffen und hat doch einen großen Atem. Sie hat gemeinsam mit anderen Frauen das Lädchen „Solidario“, einen Eine-Welt-Laden eröffnet und meint dazu: „Viele Dörfer haben heute schon keinen Laden oder keine Gastwirtschaft als Kommunikationsmittelpunkt mehr. Aber so ein  Kirchenlädchen ‚Solidario’, mit kleinen, feinen Geschenkartikeln, Kaffee, Tee und Schokolade zu fair gehandelten Preisen, könnte theoretisch problemlos in jedem zweitem Dorf entstehen. Man hätte stundenweise einen Ort, um miteinander über das alltägliche Leben, Gott und die Welt im Gespräch zu sein.“
In Groß Schönebeck ist das indes so. Immer freitags von 16 – 19 Uhr schließt eine der Solidario-Frauen den Laden im Gemeindehaus auf und ist dort nicht lange allein. Man kommt um guten Kaffee zu kaufen oder ein schönes Tuch für die Freundin, ein kleines Spielzeug für ein Kind. Dabei kann man nicht nur ein paar Euro loswerden, sondern manche stille Sorge oder eine Verabredung treffen. Das Lädchen belebt das Dorf ebenso wie die „Offene Kirche“ im Sommerhalbjahr.
Seit dem Frühjahr 2010 hat sich um Annette Flade eine Gruppe von etwa zehn Gemeindemitgliedern gesammelt, die vom Mai bis September die schöne Immanuelkirche des Ortes für Besucher offen hält. Garantiert interessant für Jagdschloss- und Museumsgäste, die nun nicht mehr nur den imposanten Putzbau mit quadratischem Feldsteinturm, Fachwerkaufsatz und Schweifhaube von außen bestaunen müssen, sondern auch einen Blick auf den hölzernen Kanzelaltar, ionische Säulen, umlaufende Empore … werfen und dabei Preußische Geschichte erleben können. Draußen vor der Tür wartet dazu samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr ein Kaffee- (fair gehandelt) und Kuchentisch auf  Touristen und Dorfbewohner. Die Gemeindefrauen backen und laden zur Geselligkeit vor der Kirchenpforte. Kuchen gibt es gegen Spenden und für ärmere Dorfbewohner gänzlich kostenfrei. Offenen Herzens, nicht als Almosen.
Die Schönebecker hatten wohl ein gutes Gespür, welch menschliches Geschenk die beiden Flades für sie seien werden, als sie sie begrüßten. Obgleich – man wundert sich immer noch, wo die beiden Pastoren überall auftauchen ohne zu missionieren. Zu Geburtstagen, Jagdhornblasen, Festen …  Denn natürlich geht es zuerst einmal um das alltägliche Leben im Dorf. Um das Brückenbauen über historische Brüche und ein waches Gespür für den Wandel der Zeit, auch um den demografischen.
Annette Flade scheut sich nicht, heikle oder gar pure Angstthemen anzutasten. Krankheit und Sterben. „Man braucht ja nur vor die Tür zu treten, da sieht man die Probleme der Überalterung im ländlichen Raum.“ Es hilft gar nichts wegzusehen, und weil das Sprechen darüber vielen erst einmal schwer fällt, hat die Pastorin ein Denkangebot über bewegte Bilder angeschoben. Der interne, aber kirchenoffene Kinoabend „KINTOPP“ lebt aus-schließlich von Lebensthemen und ist dennoch gut besucht! Im Winterhalbjahr jeden ersten Donnerstag im Monat, 19 Uhr.
Kaum zu glauben, was das Paar alles in seiner kurzen Lebenszeit in der Schorfheide alles angeregt und inszeniert hat: Sommerausstellungen in der Winterkirche und die Konzerte „Schorheideklänge“, den Kintopp und das Solidario-Lädchen, das Gedenken, der von den Nazis ermordeten Pfarrersfamilie Wagner …  und Annette Flade wirkt nicht, als wollte sie leiser treten. Zu munter und herzbewegt ist sie unterwegs.

Kontakt: Jeden Freitag von 16.00 bis 19.00 Uhr im Gemeindehaus, Liebenwalder Str.54 (gegenüber der Kirche) im Obergeschoss. Andere Absprachen sind möglich unter 033393/341 oder 559.

Ein halbes Jahr waren die Flades nach ihrer Rückkehr aus Indonesien gewissermaßen arbeitslos und wohnten bei Freunden im Prenzlauer Berg, bevor sie seit dem 3. Februar 2010 das Licht im Pfarrhaus Groß Schönebeck anknipsten. Hier im Bild packen Sie ein Geschenk aus. Annette sagt über die zurückliegende Zeit: „Wir wussten, dass das Weggehen einfacher ist, als das Zurückkehren. Das hört man, stellt es sich aber nicht so dramatisch vor. Die Anstrengungen wirken bis heute nach.“ Foto: Petra Elsner
Ein halbes Jahr waren die Flades nach ihrer Rückkehr aus Indonesien gewissermaßen arbeitslos und wohnten bei Freunden im Prenzlauer Berg, bevor sie seit dem 3. Februar 2010 das Licht im Pfarrhaus Groß Schönebeck anknipsten. Hier im Bild packen Sie ein Geschenk aus. Annette sagt über die zurückliegende Zeit: „Wir wussten, dass das Weggehen einfacher ist, als das Zurückkehren. Das hört man, stellt es sich aber nicht so dramatisch vor. Die Anstrengungen wirken bis heute nach.“
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