Endlich hatten wir Regen. Der hat meinen Feinschliff von „Die Zeit der weißen Wälder“ begleitet. Nun kann die Novelle in die Hände einer echten Korrektorin gegeben werden. Heute Nachmittag geht es zu Sarah vom Biorama-Projekt in Joachimsthal. Ihre Saison beginnt Ostern und sie wünschte sich ein paar Kleinigkeiten für ihren Touristenshop. Also habe ich die Sagenkarten und die regionalen Kunstpostkarten aus meiner Hand eingepackt und auch eine kleine Künstler-Heft-Kollektion. Ein bisschen Zukunftsoption, vage wie immer, denn die Zeiten sind ungewiss. Der Weg zu diesem tollen 360°-Rundumblick-Aussichtsturm quer durch die Schorfheide ist ein Traum – bei jedem Wetter. Viele meiner Märchen habe ich in diesem Waldgebiet angesiedelt – zwischen dem stahlblauen Großen Döllnsee und dem grünen Wuckersee… beispielsweise die Winterfee aus meinen Schorfheidemärchen. Was haben wir hier doch für ein Glück mit Land und Leuten. Ansonsten sind wir in Lauer-Position: Der Vater wird im Erzgebirge in den nächsten Tagen unsere Hilfe brauchen, wir warten auf seine Ansage, wann ihn das Krankenhaus entlässt, dann sprinten wir los…
Als sie den Blick aus einer angestrengten Arbeit nahmen, war es genug. Denn eigentlich sind sie zwei Weitseher, der Schotte Richard Hurding (51) und die Engländerin Sarah Phillips (50). Und nicht erst, seit sie von ihrem Turm in den Schorfheidewald schauen.
Immer schon verband Richard Hurding modernes Design mit Ökobau. Ende der 90er Jahre entwarf der Designer die erste Innenausstattung eines Londoner Ladens komplett nach ökologischen Gesichtspunkten. Damals waren Energiesparlampen neu. Aber wegen der seinerzeitigen Wirtschaftskrise, kamen sie auf diesem Gebiet nicht voran. Deshalb ging der Mann 1994 nach Hongkong arbeiten. Die ganz frische Beziehung zu Sarah, die als der Managerin in London blieb, erfuhr somit einen frühen Härtest. Ein Jahr später folgte Sarah ihrem Richard nach. Aber 1997 zog es das Paar zurück nach London. Dort bauten sie sich eine Fabriketage zum Loft um. Richard arbeitete als Mitarbeiter für gutes Geld in einem Architekturbüro, Sarah in einem Design-Geschäft. Nach drei Jahren planten sie den Ausstieg und waren glücklich, als plötzlich die Immobilienpreise explodierten. Die Zwei wären auch ohne diesen Umstand in die Welt gegangen, aber so war es leichter.
2001 zogen sie den Schluss-Strich unter ihre Londoner Zeit, in der sie sich unter „ganz reinen, aggressiven kapitalistischen Bedingungen verdingen mussten“, wie es Hurding heute nennt. „Das war wirklich unangenehm! Und außerdem – es war nicht mehr unser London“, erzählt er. So verkauften sie die Fabriketage und tourten: Drei Monate Lissabon, drei Monate Barcelona, drei Monate Berlin, drei Monate Schanghai … Es sollte mehr als nur eine Atempause werden. Fortan wollten sie selbstbestimmt leben und etwas Eigenes, Bleibendes schaffen. Die Entscheidung fiel schwer, „denn überall war es irgendwie großartig“, schwärmt Sarah immer noch.
2002 saß Richard, einst Radsportler, auf seinem Rad und schruppte Kilometer von Berlin aus nach Joachimsthal. Da sah er ihn, diesen alten Wasserturm auf dem grünen Hügel zwischen Grimnitz- und Werbellinsee. Und als er von diesem Turm in die Landschaft sah, ahnte er, dass jenes bezaubernde Eiszeitszenario der neue Lebensmittelpunkt sein könnte: „Ich dachte auch, hier könnte man eine Brücke zwischen meinem Ökobau und Sarahs Kultur schlagen“ verrät Richard und sie setzt hinzu: „Aber ohne die Vorsilbe „UNESCO“ wäre es nicht in Frage gekommen.“ Es ging nicht nur um die Schönheit, sondern vor allem um die Bedeutsamkeit des Blicks in die Weite des UNESCO Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin.
2003 kam die Entscheidung für Joachimsthal. Das Hügelland haben sie gekauft. Für den Turm bekamen sie von der Stadt einen Erbbaupachtvertrag. Der Ausbau des Wasserturmes war ein Abenteuer. Er war als Einsteinmauerverbund gebaut. Um ihn für das Wohnen und für den Besucherverkehr auf dem Dach stabil zu machen, wurde von innen ein zweiter Turm hochgezogen. Darin lebt und arbeitet heute das Paar auf ganz minimalistische Weise. Das Opulente ist der Rundumblick und das Sonnenlicht des ganzen Tages.
Die Aussichtsplattform erreicht der Besucher über einen zusätzlich errichteten Aufzugsturm, der wie ein Spaceshuttle an dem historischen Bauwerk sitzt. Verbunden sind die beiden Gebäude durch eine Wendeltreppe, deren Konstruktion so viel Leichtigkeit suggeriert, dass dem einen oder anderen schon etwas schwindelig beim Aufstieg wird. Die Gestalt entwarf Architekt Frank Meilchen.
2006 wurde die Aussichtplattform in 21 Meter Höhe für Besucher geöffnet. Das von Sarah und Richard gegründete BIORAMA-Projekt wurde nun erstmals erlebbar. Genauer gesagt, seither (stand 9. August 2013) haben 100 000 Menschen die Eiszeitlandschaft aus einer neuen Perspektive erfahren. „BIORAMA“ – das ist ein Kunstbegriff und was er meint, erklärt sein Erfinder: „Wir wollen den Gästen mit unserem 360-Grad-Panorama den großen biologischen Schatz dieses Waldgebietes näher bringen“. Und dieses Sensibilisieren gelingt Ihnen auch.
Kontakt: Am Wasserturm 1, 16247 Joachimsthal
Telefon: 033361 64931, BIORAMA-Pojekt
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