Mohn im Garten. Kein Feld, kein Beet voll, aber überall winkende Rot-Zarte, die mit dem Wind verfliegen, manche überleben nur eine Morgenstunde. Letzten Spätsommer bin ich die Feldraine entlang und habe ganz unterschiedliche Sorten zusammengetragen. Sandmohn, Feldmohn, Klatschmohn, Saatmohn, Türkischen Mohn und manches noch. Ich habe die Samen einfach hier und da fallen gelassen, aber dort, wo ich ihn schon sein drei Jahren bewusst versuche anzusiedeln – im Bienengarten – will er nicht wachsen. Ein bisschen schade. Ich dachte, die weiße Schafgarbe und der Mohn würden im Wildblumenbeet gut ausschauen. Wer hier mitliest weiß, sie liebt Mohn, so sehr, dass er mich 2017 sogar zu einem Märchen inspiriert hatte (die ganze Geschichte „Die Mohnfee und die verschwundene Zeit“ findet Ihr hier). Dieses Rot ist einfach in mein Herz gefallen…
Handgefertigte Künstlerbändchen. Ein Bändchen kostet 7 Euro, zzgl. Versand.
Die ersten 30 handgefertigten Bändchen von „Die Mohnfee und die verschwundenen Zeit “ sind fertig. Das reicht erst einmal. Nun könnte es endlich richtig Sommer werden, denn meine Stimmung sinkt derweil gegen Null. Ich wollte diese Tage eigentlich einfach im Garten faulenzen und nicht schon wieder arbeiten. Aber es wird mir nicht gegönnt. Ja, ich weiß, Euch auch nicht… Kommt gut durch die Zeit oder auch in Kurtschlag vorbei, eine heiße Tasse Tee oder Kaffee gibts hier immer… 🙂
Und hier noch einmal die ganze Geschichte:
Gute Märchen machen stark, weil sie uns das Leben lehren.
Die Mohnfee und die verschwundene Zeit
Die Mohnfee von Petra Elsner
Die Mohnfee Flabell erwachte geschüttelt von einem Windzug. Ihre Schlafblüte wankte noch, als sich die Zarte die Augen rieb. Dann sah sie in den Morgen und erschrak: Alle Mohnblühten waren verschwunden. Tausende, einfach weg. Das Rot war komplett vom Feld gefegt, bis auf ihre Schlafblüte.
Flabell sprang auf den Boden und fragte sehr aufgeregt den dort sandbadenden Junikäfer: „Weißt du wohin all die schönen Mohnblüten sind? Hat sie jemand gepflückt oder wurden sie verweht?“ Der Junikäfer wusste es nicht. Da brach Flabell weiter in den Tag auf. Der kleinen Fee war es bange so allein. Ohne die anderen Blütenschwestern fühlte sie sich wie ein kraftloses Rot, das nun dem Sommer fehlte.
Die Mohnfee musste sich auf die Suche begeben und stieg zuerst auf eine Anhöhe, um in die Ferne schauen zu können. Aber soweit sie auch in die Landschaft blickte, das Mohnblütenrot war nirgends zu entdecken. Wohin könnte es nur entschwunden sein und wen könnte sie danach fragen? Unten im Tal badete das weitsichtige Himmelblau im See. Vielleicht wusste es, was geschehen war. Flabell lief zum Seeufer und rief so laut sie konnte: „Himmelblau! Hast du das Mohnblütenrot gesehen?“
Das Blaumännchen, Zeichnung: Petra Elsner
Die Wellen kräuselten sich und ein Blaumännchen tauchte auf. Langsam kam es aus dem Wasser und murmelte dabei bedächtig: „Ich hab‘ es nicht fortgehen sehen. Eben war es noch da. Stark und schön im Morgenlicht. Plötzlich war es weg. Herrje! Wie aus der Zeit gelöscht. Seltsam, nicht?“ Das tropfende Blaumännchen stieg an Land und setzte sich verwundert zu der Suchenden: „Mit rechten Dingen ging es dabei wohl nicht zu.“ Die Mohnfee war ratlos. „Wie aus der Zeit gelöscht, sagst du? Kann denn Zeit gelöscht werden?“ Das Blaumännchen überlegte ein Weilchen und sprach schließlich: „Weiß nicht, wer die Zeit anhalten oder gar verschwinden lassen kann. Aber vielleicht musst du den Kobold, der die graue Vorzeit bewacht, danach befragen.“
„Und wo wohnt dieser Wächter?“, wollte Flabell wissen. „In den Katakomben des Staubes. Hoch oben im nördlichen Bergland führen steinerne Höhlengänge zu den ewigen Ruhstätten der Zeit. Wenn du wirklich hinab zu diesen Grabstätten kletterst, dann darfst du auf gar keinen Fall niesen!“ Mit dieser Warnung verschwand das Blaumännchen wieder im Wasser des himmelblauen Sees.
Flug der Mohnfee.
Flabell wartete ein Weilchen bis der Wind nach Norden drehte. Auf diesen Luftzug sprang sie auf. Entschlossen und doch ängstlich segelte die Federleichte in die Ungewissheit. Was würde ihr der Wächter der grauen Vorzeit sagen können? Würde er ihr helfen oder schaden? Sie musste diese Begegnung wagen, um das herauszufinden. Die kleine Mohnfee fühlte sich unbeschützt auf dieser weiten Reise. Bisher hatte sie immer die Blütenschwestern an ihrer Seite. Diesen Beistand vermisste sie. Am Abend erreichte sie den hohen Norden. An einer schroffen Bergwand ragte ein flacher Felsvorsprung wie ein Dach aus dem Massiv. Darunter schlief Flabell ein. Aber sie hatte eine unruhige Nacht. Immerzu huschten flackernde Lichter um sie herum. Kleine, kichernde. Aber das Flügelmädchen war zu erschöpft, den seltsamen Gespinsten nachzuspüren.
Im Erwachen entdeckte die Mohnfee eine schmale Spalte unter dem Felsendach und eine schwache Zeichnung. Ein Schattenfall darüber ließ eine alte Sonnenuhr erkennen. Ob sie hier richtig war? Flabell fingerte sich vorsichtig in das Dunkel. Der schmale Einlass öffnete sich zum steinbehauenen Gang, in den ein fahles Licht fiel. Dieses Schimmern des Gesteins verströmte eine heilige Ruhe, die der Mohnfee jegliche Furcht nahm. So lief sie immer weiter in den Berg hinein.
In die Seitenwände waren kleine Grabkammern gehauen. Darin ruhten die verwelkten Jahre unter zentimeterdickem Staub. Flabell suchte nach der Kammer für das Jahr 2017, denn vielleicht konnte sie in ihr die Zeit des Verschwindens der Mohnblüten auffinden. Bei der Kammer 2016 war sie gerade gewesen, aber die nächste hielt ihre Jahreszahl verborgen. So pustete Flabell vorsichtig in die Gruft, woraufhin eine Staubwolke aufstieg und das Flügelmädchen zum Niesen brachte. Durch die Gänge hallte ihr lautes Hatschiiii und sauste als Echo durch den Berg. Als der Staub sich legte, tauchte in einem gleißenden Licht ein großer, grauer Kobold auf, der Flabell den Weg verstellte: „Ah, ein zerbrechliches Rot!“ murrte er. „Und ich dachte schon, ein Beben bedroht die Höhlen. Reiß dich zusammen kleine Fee, du darfst hier nicht niesen, sonst bringst du die ganze graue Vorzeit durcheinander.“
Peiko. Zeichnung: Petra Elsner
„So einfach kann man die Zeit verwirren“, staunte die Mohnfee. „Ja, natürlich, ein Durcheinander ist immer leicht hergestellt. Durch Beschleunigung gerät man mit der Zeit ganz schnell ins Nirgendwo“, erklärte der Kobold gelehrig.
„Und du passt auf, dass das nicht geschieht?“ „Nein, ich bin der Steinmetz Peiko, Sohn des großen Zeitwächters vom kleinen Volk der Bergkobolde. Ich achte nur mit darauf, dass in den Katakomben des Staubes keiner die Zeiten vernebelt.“
„Aber dann weißt du gewiss auch, wo all die Dinge hingehören und kannst mir verraten, wohin das Mohnblütenrot verschwunden ist“, fragte Flabell ganz aufgeregt.
Peiko gab sich bedeckt, aber die Zarte ließ nicht locker. Und so erzählte er schließlich von seinen kleinen Brüdern, den Lichtkobolden. Die Verwandtschaft zu den frechen Unholden schien ihm peinlich zu sein: „Sie knipsen sich gerne die Farben aus der Zeit und verstecken sie in einem geheimen Zwischenreich. Auf diese Weise beginnt manchmal eine schwarze Zeit, ein grauer Sommer oder auch nur die Blaue Stunde des späten Tages.“ „Kennst du dieses Zwischenreich?“ Der Berg grummelte bedrohlich nach dieser Frage. „Ich sagte ja schon, es ist geheim“, sprach leise der Steinmetz. „Weiß es dein Vater?“, forschte Flabell weiter. „Der weiß alles, aber verrät es keinem“, erwiderte Peiko. „Du kannst dich bei deiner Suche nur auf deine innere Stimme verlassen. Wenn du ihr vertraust, wird sie dir den richtigen Weg weisen.“ Der Kobold kramte ein Weilchen in seinen Hosentaschen und zog schließlich ein winziges Licht hervor, dass er wärmend in seinen Händen hielt: „Hier, du zerbrechliches Rot, nimm dieses Licht und beschütze es gut. Es ist der Abglanz deiner inneren Kraft. Höre genau hin, sie spricht mit dir. Jeden Tag und jede Stunde – einfach immerzu. Sie wird dich geleiten, wenn du dieses Geheimnis des Lebens beachtest.“
Die Mohnfee übernahm ganz vorsichtig die kleine Flamme aus Peikos Händen. Der, während sie noch das Licht besah, im Dunkel der Katakomben verschwand. Flabell versuchte ihm zu folgen, aber das Licht in ihren Händen begann zu flackern und etwas flüsterte ihr kaum hörbar zu: „Geh‘ langsam. Nimm‘ deinen, nicht seinen Weg.“ An der nächsten Weggabelung hielt sie die Flamme erst in den einen Gang, dann in den anderen. Sie nahm jenen, in den das Licht ihr ruhig leuchtete.
Rastlos durchstöberte die Mohnfee den Berg. Und obgleich sie dabei vollkommen allein war, fühlte sie den weisen Ton ihrer inneren Stimme. Die gab ihr Mut für den nächsten Schritt. Doch irgendwann trat sie vor einen tiefen Abgrund. Links und rechts führte kein Weg vorbei. Flabell hockte sich an den Rand des Schlundes und starrte ängstlich in das finstere Bodenlose. Dort unten kicherte etwas. Umso länger sie hinab sah, desto lauter wurde es und schwoll zu einem schrillen Gelächter an. Höhnisch und voller Verachtung. Die Fee fröstelte. Dieses böse Lachen nagte an ihr. Will mir denn keiner helfen, dachte sie bei sich und seufzte.
Die Mohnfee und der große Zeitwächter. Zeichnung: Petra Elsner
Urplötzlich hockte ein alter, weißhaariger Bergkobold neben ihr. Der starrte ebenfalls eine Zeitlang in die Tiefe, dann brummte er: „Fürchte dich nicht. Du brauchst diesem Schlund nicht auf den Grund gehen. Du musst in der Zeit zurück wandern, um den Unfug der Lichtkobolde aufzuheben. Steck die Begebenheit in diesen Sack, binde ihn fest zu und werfe ihn in diesen Abgrund. Dann ist alles, wie es war.“ Der Alte lächelte väterlich und Flabell wagte sich zu fragen, ob er der Wächter der grauen Vorzeit sei. Er nickte, schwieg dann zeitvergessen, bis er sich zu einer grauen Wolke verflüchtigte. Konnte sie dem alten Zeitwächter trauen? Peiko hatte ihr gesagt, sein Vater verrate keine Geheimnisse. Wieso nun doch? Aber weshalb sollte sie der alte Zeitwächter in die Irre schicken? Ihre innere Stimme vertraute dem Alten, also lief die kleine Mohnfee zurück zu jener Stelle, bei der sie das große Niesen erwischt hatte. Ganz vorsichtig schob sie den dicken Staub beiseite, bis die Zahl 2017 in den Stein gemeißelt erschien. In ihrem Rücken tuschelte es: „Sie wird es nicht wagen!“ „Doch sieh nur, sie kehrt in der Zeit zurück. „Wir müssen sie aufhalten, nur wie?“
Flabell hörte die Lichtkobolde ganz deutlich, ließ sich aber nicht von ihrem Spuk ablenken. Sie wischte vorsichtig weiter die Jahreszahl frei. Einige wenige Staubteilchen wirbelten dabei sacht auf. Sie begannen zu leuchten, dann zu flimmern, schließlich blitzten Bilder auf – die Szenen aus der Vergangenheit. Es dauerte, bis Flabell die Staubbilder entdeckte, die jenen Morgen zeigten, an dem das schöne Mohnblütenrot verschwand. Und jetzt sah sie auch, wie das geschehen war. Ein fetter Lichtkobold saugte sie einfach mit einem großen Blütensauger aus der Landschaft und lachte dabei höllisch. Das Flügelmädchen fing sich diese Zeitfetzen, Teil um Teil und steckte sie eilig in den Sack des großen Zeitwächters. Sie fand den gesamten Fluss der Zeit und das Tuscheln in ihrem Rücken verstummte. Kaum später warf Flabell den Sack, der den Farbenklau gefangen hielt, in die Tiefe des Schlunds.
Die Mohnfee und ihre Schwestern. Zeichnung: Petra Elsner
Als der aufschlug, schwieg das Kichern der Kobolde und die kleine Mohnfee fand sich augenblicklich auf ihrem Feld wieder. Es war eben die Stunde ihres Erwachens und das Mohnblütenrot leuchtete ganz wunderbar in den Sommermorgen.
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