Morgenstunde (620. Blog-Notat)

Berlin, Auguststraße, 1992

Wenigstens einmal im Leben sollte ein Mensch so eine mächtige, stolze und zugleich friedliche Demonstration erlebt haben. So etwas prägt für das ganze Weiterleben. Gestern wäre ich gerne in Berlin dabei gewesen, aber meine Demo-Uhr ist abgelaufen. Doch, ich weiß, was ihr da alle miteinander gespürt habt – wider alle Angst. Ich war mit den vielen Menschen seinerzeit am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Allein unter einer Million Menschen – ein großes Erwachen. Ich wünsche, diese gestrige Demonstration wird der internationalen Friedensbewegung neuen Schub verleihen, denn wir dürfen nicht vor der ungeheuerlichen Drohung eines Autokraten vor Angst erstarren.
Das Älterwerden und diese Lungenkrankheit haben mir in den letzten Jahren viele kleine Abschiede beschert: Den Abschied von Stärke, von der Schönheit, von einer unermüdlichen Schaffensenergie und eben auch von den öffentlichen, politischen Aktionen. Das sind Abschiede von einer Petra, die ich einst war. Manchmal ist das zum Heulen. Aber dann räufele ich mich und zünde das Mahnlicht im Fenster an – alles hat eben seine Zeit und zum Älterwerden braucht es nicht nur Mut, sondern auch Anstand… Kommt alle gut durch diese Woche.

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