Manche Leute sind wie ein Geschenk unterwegs. Den letzten dieser Art wehte es mit einem Kleintransporter herbei. Nach einem Pott Kaffee schlenderte er durch unser Gartengrün, pfiff leise durch seine Zahnlücke und verlor plötzlich atemlos goldene Sätze wie diese: „In den Teich müsst ihr mal ein Stück Kupferrohr geben, dann wird das Wasser glasklar. Und das hier soll eine Kopfweide werden? Die zerreißt euch der Wind, wenn ihr nicht den Kopf lichtet.“ Er sieht mich streng an: „Sieh, dort unten klafft schon ein Riss am Stamm. Solche Baumwunden musst du desinfizieren. Ist ganz einfach. Eine Knoblauchknolle zerstampfen, in ein Marmeladenglas geben, Wasser drauf, drei Wochen stehen lassen, dann die Tinktur auf die Wunde streichen und alles wird gut. Ah, ihr macht Brennnesseljauche, das ist gut, aber Rainfarnjauche bewirkt das Gleiche und stinkt nicht so. Die Brombeerruten musst du zu Bögen binden, dann werden sie schön dicht und tragen mehr. Das kannst du auch mit deinen Kletterrosen machen. Übrigens wenn mal wieder die Mücken nerven, so einen Wedel vom Essigbaum vor dem Partyabend einfach in eine Badewanne mit kaltem Wasser hauen und abends beim Sitzplatz aufhängen, den Duft mögen die fiesen Stecher gar nicht. Die Eibe sieht aber dürr aus! Ihr müsst beim Pflanzen nicht nur das Pflanzloch wässern, sondern die Pflanze richtig mit Erdschlamm einschwämmen. Der Schlamm umschießt sofort die feinen Wurzeln, es bilden sich keine Luftkammern, die oftmals zum Vertrocknen der Pflanze führen …“ Der Mann mit dem schrägen Schlapphütchen lächelt verschmitzt in unsere verwunderten Gesichter, als er nach diesen lehrreichen Minuten wieder geht. Wir aber haben tagelang damit zu schaffen gehabt, seine wertvollen Tipps umzusetzen. Dankeschön Harry.
Als ich neulich in die Heidekrautbahn Richtung Groß Schönebeck stieg, traf ich Karin vom Schulze-Hof in Kappe. Während die Motessori-Kindergärtnerin gewöhnlich in einem tiefen Erschöpfungsschlaf heimwärts reist, wirkte sie mir an diesem Feierabend hellwach zu. Kaum, dass ich neben ihr auf so einem engen Doppelsitzer hockte, funkelte sie mich an: „Schau mal, was ich heute gemacht habe.“ Sie grub in ihrer großen Tasche und brachte ein ovales Schatzkästchen hervor, öffnete es vorsichtig und holte einen kleinen Raben hervor. Handgestrickt, vielleicht 8 bis 10 cm groß, mit einem blauen Schal. „Das ist Kräx.“ Dann folgte die nächste Schatzkiste: „Das ist Krox, du weißt schon, der mit dem rote Schal.“ Dann folgte ein Vogelhaus – „Die Rabengasse 2, in der der Imker Lutz mit seiner Frau Petra wohnt.“ Zwei Handpuppen guckten dazu aus Wundertasche. Mir stiegen die Tränen in den Augen – vor Rührung. Denn Karin Schulze hatte aus einer meiner Winzling-Geschichten ein Puppenspiel gemacht und es gerade an diesem Tag aufgeführt – mit ungeteiltem Zuspruch – wie sie meinte. Und in der Heidekrautbahn hatte sie den auch, denn wer konnte, lauschte.
Das kleine Rabenbuch habe ich im Februar/März erfunden, also getextet, illustriert und nummeriert gut 100 Stück indes handgebaut. Es sind vier kurze Geschichten für ganz kleine Menschen. Sie hat ein Büchlein bei meiner Dorflesung gekauft und jetzt war es zwei Wochen später – alles passte wohl. So kann man heimwärts reisen … schön, nicht wahr?
Es ist diese kleine Geschichte, die sie aufführte:
Vor ihrem Rabenkaten hocken die Schwarzröcke Kräx und Krox und krächzen ihr Morgenlied. Kraaar, Kraaar. Kräx ist heute nicht gut bei Stimme. Deshalb will er zum Imker fliegen, um ein wenig Honig bitten. Er wohnt in der Rabengasse 2. Der Imker sieht sofort, dass Kräx heilenden Honig braucht. Er gib ihm einen Löffel voll und spricht dazu: „Komm die nächste Woche jeden Tag vorbei und hol dir einen Löffel voll Honig ab, dann bist du wieder gesund.“
Die Frau des Imkers bringt noch einen Schal herbei, einen schönen Himmelblauen: „Der wird den wunden Hals gut warm halten“, sagt sie. Kräx dankt und fliegt nach Haus.
Als Krox den schönen blauen Schal sieht, wird er echt neidisch, sagt aber nichts. Er schleicht zum Imker und hustet wie wild vor seiner Tür. Der Imker stutzt, denkt sich seinen Teil, holt aber doch das Honigglas herbei. Er spricht zu dem Vogel, wenn du mir ein schönes Lied singst, bekommst du auch einen Löffel Honig. Krox vergisst vollkommen, dass er ja Husten hat und singt so fein er kann. Der Imker schmunzelt und sagt. „Na, einen echten Husten hast du kaum, sonst könntest du nicht so wunderbar krächzen. Aber weil Honig einfach gesund ist, sollst du auch ein bisschen davon haben.“
„Und einen Schal bekomme ich nicht dazu?“ fragt Krox ganz enttäuscht, und die Frau des Imkers schüttelt den Kopf und schimpft leise: „Wer sich verstellt, bekommt nicht eine einzige Masche von mir gestrickt.“
Krox fühlt sich ertappt und flattert beschämt davon.
Nun trug es sich aber zu, dass ein kalter Ostwind durchs Land zog. Kräx hielt der Schal schön warm, aber Krox schlotterte. Da erbarmte sich die Frau des Imkers und strickte auch für Krox einen schönen wärmenden Schal. Den hing sie stillschweigend an den Zaum der jungen Raben. Als Krox ihn fand, war er sehr froh, dass ihm die Frau des Imkers verziehen hatte. Er band sich den schicken roten Schal um und sang vor dem Häuschen des Imkers sein schönstes Dankeslied. Und hinter der Gardine lächelten der Imker und seine Frau sehr versöhnlich.
Mein „Bühnenbildchen“ für meine Rabenlesungen im Atelier.
Monate später. An einem Montagabend im Januar 2014 bin ich wieder mit der Heidekrautbahn unterwegs und treffe Karin. Sie kramt abermals in ihrer großer Tasche und hohlt eine kleine Geschenkkiste hervor. „Du wolltest doch so einen haben, nicht?“ Sie lächelt, und ich öffne die Kiste, da schaut mich dieser kleiner Strickrabe Kräx an … und der wohnt jetzt auch bei mir. DANKE Karin für das herzige Strickwerk!
Das Schorfheidedörfchen Kurtschlag liegt immer haarscharf neben etwas. Zum Beispiel dicht am Radfernweg „Berlin-Kopenhagen“, der „Märkischen Eiszeitstraße“ oder der Deutschen Tonstraße, dicht am Barnim, der Uckermark, aber gerade noch im Landkreis Oberhavel. Und wenn man zu unserer Gartenpforte hinaustritt, steht man am Rand des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin, einem Märchenplatz für Nebelfeen. Kurtschlag ist ein Ortsteil der Havelstadt Zehdenick (etwa eine Autostunde von Berlin aus), unweit der Feriendörfer Groß Dölln (3 km) und Groß Väter. Ein „kurzer Schlag“, auf dem etwa 300 Menschen siedeln und der inspirierenden Stille der Natur lauschen …
Der Akku-Rührer:
Samstagmorgen. Das Hupkonzert der ländlichen Versorger hat mich aus den Federn getrieben. Widerwillig, denn es ist so grau dort draußen, dass man Bäche weinen möchte. Aber das Grillpaket, das ich gestern sommer-hoffnungsvoll bei meinem Lieblingsfleischer in Mildenberg bestellt hatte, muss auch bei krassem Wetterwechsel entgegen genommen werden. Logisch, schließlich kommen die Autos nicht aus Jux nach Kurtschlag. Die holpern bei jedem Wetter über das Kopfsteinpflaster von Dorf zu Dorf, die Bäcker- und Fleischer-, die Obst- und Gemüsewagen auch Family Frost. Jeden zweiten Donnerstags hupt das Fischauto dreimal vor Onkel Willis Haus, und die Frau hinterm Steuer hat auch dessen Wunschpäckchen Tabak dabei. Sie kommen zuverlässig, die nahrhaften Kleintransporter und versorgen jene Orte, die längst keinen Handel mehr haben. Aber es gibt nicht nur die Tante Emma Läden auf Rädern. Es rollen auch die ambulanten Haushaltswaren, die Sockenprofis und manchmal auch die mobile Floristin Bianca Volksdorf durch die Schorfheidelandschaft. Für den Rest muss man selbst bis zur nächsten Stadt fahren, nach Templin oder Zehdenick, oder sich was einfallen lassen. Beispielsweise eben. Da rauchte mein altes Rührgerät ab. Das hatte ich zu meiner Jugendweihe bekommen, anno 1968, von meinem Onkel Manfred aus der Schweiz. Friedensware aus tiefsten Kalten-Krieg-Zeiten. Und jetzt? Für den Quark-Sauerkirsch-Kuchen extra losfahren? 12 Kilometer? Man könnte ja auch mit der Hand rühren, aber da kam doch mein Liebster auf diese unglaublich clevere Idee, dem Akkuschrauber eine neue Funktion zuzuweisen und siehe da, man kann damit auch Teig rühren. Und nach dieser munteren Einlage, lächelt doch schon wieder der Tag.
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