Als ich die Augen heute aufschlug, klatschen Riesenschneeflocken aus den Wolken. Sie tauten schon zerrissen, indem sie fielen. Dazu fiel mir, nur halbwach, ein nächstes Szenenbild für den Klausurtext ein. Ganz andere Farbe, völlig andere Konsistenz – Assoziation eben, die riss mich aus den Federn, um schnell das Erdachte aufzuschreiben. Manchmal sind solche Bilder flüchtig wie ein Traum, wenn man eben noch halb schläft.
Erst nach dem kleinen Schreibanfall habe ich mir die RKI-Zahlen vom Tage auf den Bildschirm geholt. Da rollt sie also, die Dritte Welle, die Zahlen steigen sprunghaft, es war anzunehmen, sie beunruhigen trotzdem. Es war ja ein großes Lebensgeschenk für zwei, drei Generationen in Deutschland gewesen, nicht mehr mit Seuchen leben zu müssen, aber das hat naturgemäß auch einiges im kollektiven Bewusstsein vergessen gemacht. Als mein Großvater Arthur 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, litt er an Tuberkulose. Mit anderen kranken Männern haben sie ihn in einen Dorfkaten am Rande von Oberreichenbach o/l verstaut und gewissermaßen weggeschlossen – bis zum Tod. Es hieß das Siechenhaus. Die Frauen durften den Kranken Essen bringen und vor die Tür stellen. Zeiten, herrje. Ich habe als Grundschülerin Anfang der 60er Jahre einmal 14 Tage auf einer Seuchenstation wegen Ruhrverdacht zugebracht. Auch da blickten meine Eltern mitten im Winter nur die zwei Stockwerke zu mir herauf – Kontaktverbot war das gängige Prozedere in solchen Fällen. Es blieb beim Verdacht. Die Westdeutschen kennen noch die Ausbrüche von Kinderlähmung in den 60er Jahren. Wir sollten uns in unseren Familien mehr erinnern, um die Gegenwart besser zu ertragen…
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