Wir haben nach dem ganzen Gewusel einen ruhigen Dienstag eingeschoben. Lange geschlafen, wenig gemacht. Mussten einfach Mal Luft schnappen, bevor wir morgen nach Berlin in die Charité zum Routinetermin fahren und am Wochenende zu den Schwiegereltern. Der Tag gehört dem Schmücken. Eine kleine Tannengirlande für die Haustür binden, den Weihnachtsschmuck platzieren. In zehn Tagen ist 1. Advent, an dem wir nachmittags auf Besucher zum Weihnachtseinkauf hoffen. Im Garten knackt der erste harte Frost. Fehlt nur noch das Laub der Birke – die letzte Besenschicht 😊.
Eine kalte Dürre liegt dort draußen vor der Tür. Das Weinlaub kräuselt sich knisternd, der nächste Windhauch wird es fallen lassen. In den stillen Reformationstag gestern klingelte abends das Telefon und meine Schweizer Tante erklärte mir: Dein Onkel ist nach seinem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht. Er stand in der direkten Familienlinie als Letzter vor mir. Onkel Manfred war mal ein profiboxendes Federgewicht, aber er trug immer schwer an der Last des Schweigens. Die Flucht aus Schlesien – allein mit der Mutter als Achtjähriger unterwegs. Nie hat jemals jemand in meiner Familie darüber gesprochen. Da war nur sein tränenschwerer Blick, der verriet, es muss ungeheuerlich gewesen sein für die Zwei. Mein Vater, damals 17 Jahre, lag verwundet im Lazarett, hart gezeichnet vom Krieg. Ob die Brüder untereinander sprachen, ich weiß es nicht. Der Eiserne Vorhang kühlte die Familienbande ab, denn der Jüngere hatte 1953 auf den Älteren gewartet, in Westberlin, aber der kam nicht. Auch das erfuhr ich erst nach der Wende und nach Vaterns Tod. Was alles ins ewige Schweigen fällt – viel, wie gleich die Weinlaubblätter im Hof.
Frost – als hielte der Morgen den Atem an. Draußen kräuseln sich noch ein paar Eichenblätter, die sich aus dem nahen Park zu mir aufgemacht hatten. Flüsterlaub, es singt vom Winter, mir ist es recht. Gestern Abend schauten mich noch einmal frische Kranichköpfe aus der kleinen Leinwand an. Vielleicht war es die Überlandfahrt ins Löwenberger Land mit den unzähligen grauen Kranichen auf den Feldern, die mich nochmals inspirierten, ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich augenblicklich einfach nur auf Schatzsuche…auf der Spur des Glücks. Denn das Glück ist ein Vogel… ein schräger Vogel… und für den Weihnachtsmarkt am 8. Dezember in Groß Schönebeck brauche ich vornehmlich kleine Dinge, dieses vier kommen mit.
Der Wind faucht wie ein Drachen.
Eisig und messerscharf
jagt er die blanke Lebenskraft.
Der Winter hat das Land bezogen
und lauert nun als Ungetüm
jaulend in der kalten Nacht.
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