Jeder hat sie, die Sehnsuchtsorte, um so älter man wird, desto mehr sind es. Meine Freundin Trilli hat, um dem imaginären Gefühl Gestalt zu geben, die “Sehnsuchtsberatungsstelle” und “Das große Buch der Sehnsucht” geschaffen. Es war ihre Variante das Verlustgefühl zu materialisieren. Bei mir war/ist es ein mir unbekannter Ort: das Walddorf Schluft in der Schorfheide. Dort verlebten meine Eltern in den 70ern einen Sommer und als sie heimkehrten, sah ich zwei glückliche Menschen wie sie nie glücklicher waren – vorher und nachher. Das war es wohl – mein Lockruf in die Heide – eine Schwingung meiner Ahnen vielleicht. Denn immer, wenn wir durch Schluft kommen, spüre ich einen unerklärlichen Hauch von Glück. (pe)
Schneezeit in der Heide
2010. Mitten im Schorfheidewald, am nordwestlichsten Ende des Barnims, liegt das Dörfchen Schluft in der Eiseskälte. Tief verschneit atmet es im Januar die große Stille. Nach dem irren Schnee walzte eine Fuhre Langholz, vom Kurtschlager Damm her kommend, die weißen Massen über dem dörflichen Kopfsteinpflaster platt. Problemlos könnte man jetzt hier Autorennen fahren, doch die meisten Tagesstunden gehört die Piste nur den Katzen.
Wenn es dämmert, brennt in der Hauptstraße 19 verlässlich ein Licht. Dort, im Landgasthof „Zur Linde“ wartet das Wirtspaar Angela (55) und Burghard Repkow (57) auf Gäste. Unterhalb der Woche sind diese jetzt selten. Ein, zwei kommen am Abend. Mal kommt der Förster vom Trämmersee auf ein Bier. Oder die junge Schauspielerin von gegenüber paukt zufällig im Sommerhaus Texte und huscht zu später Stunde auf ein Abendbrot quer über den Damm.
Aber in der gemütlichen Linde geht es seit Jahresbeginn gedämpfter zu. „Die Besucher wirken irgendwie in sich gekehrter“, rätselt Angela. „Ja, im Dezember, da hatten wir noch die großen Treibjagden mit heiterem Jagdhornblasen und die Adventskonzerte am Feuer, dort drüben auf dem festlich erleuchteten Spielplatz“, erzählt sie weiter.
Ihr Mann lächelt dazu von weitem, bleibt lieber in der Deckung des Tresens. Ist eben das Original im Hintergrund. Gewiss, für seinen schelmischen Blick und die leisen, aber geraden Töne, mag man den Mann sogleich. Die zwei sind Wirtsleute in der vierten Generation, da weiß man sich in den dünnen Zeiten zu helfen. „Reich wird man eh’ nicht mit so einer kleinen Wirtschaft. Es gab mal so einen Moment, Anfang der 90er Jahre, da dachten wir, wir müssten alles ändern. Eine größere Speisekarte, vielleicht sogar anbauen. Inzwischen hat uns die Normalität wieder, und wir leben von den Wochenendgästen in der grünen Jahreszeit. Jetzt kommen mal ein paar Leute zum Skilaufen, die sich dann auf einen heißen Tee oder Grog und ein Bauernfrühstück freuen.“
„Vergiss nicht die Wahlen“, wirft Burghard Repkow ein. „Und die kommen am Wochenende wieder“. Er schmunzelt, sie nickt: „Ja, ja, die Stichwahl zum Landrat. Ansonsten richten wir jetzt viele Familienfeste aus, bis zu 20 Personen, auch außer Haus. Erst zum 30. Januar hat sich wieder eine Wandergruppe angesagt, verrät die Wirtin, völlig klaglos. Das ist ebenso.
Vielleicht wird es etwas anders, wenn der Oberförster dieses Jahr einen Wild-Beobachtungs-Schirm auf der Schilfwiese am Kurtschlager Damm errichtet hat, und Kutschfahrten Naturfreude dorthin führen. Vielleicht. Bis dahin ist es im Januar leise in Schluft, dem kleinsten Örtchen der Gemeinde Schorfheide. 120 Menschen siedeln hier, wo andere Ferien machen. Beispielsweise in „Schluftis Waldvilla“ in der Schulstraße. Doch die Bewohner des abgeschiedenen Barnimer Winkels sind und waren nie verwöhnt. Schnee ist hier kein Problem. Man schippt selbst, immer schon. Und die Repkows bauen indes – in aller Ruhe – eine kleine Ferienwohnung für Sommergäste aus.
Bereits in den 20er Jahren kamen vor allem Berliner, „Sommerfrischler“ wie man damals sagte, nach Schluft. Die in den siebziger Jahren erbauten Bungalows unterstreichen, dass bis heute viele den Erholungswert des Minidorfes in der Gemeinde Schorfheide zu schätzen wissen. Ein guter Ort, die Seele baumeln zu lassen.
PS: Diese Gaststätte ist inzwischen geschlossen.
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