Eine Geschichte entsteht öffentlich:
… Als eines Tages der Tod in ihre Sippe einfiel, bekam es Anne mit der Angst. Der graue Mann mit der Sense sorgte für Irritationen und die Frau entwickelte darüber Macken. Sie bekam Herzrasen in der S-Bahn, am Schreibtisch und Weinkrämpfe am Tresen. Anne haderte mit ihrem Schicksal, früh gehen zu müssen, wie schon die Mutter und die Schwester. Vorsichtig begann sie ein klammes Gespräch mit dem Gevatter – es galt den Zustand zu verhandeln:
„Hohl‘ mich oder hohl‘ mich nicht. Entscheide dich, Schnitter!“
„Ich muss gar nichts“, wiegelte der unmissverständlich ab. Er sah, Anne war noch viel zu beeindruckt von ihm, so blieb sein Possenspiel federleicht und er punktete mit dem nächsten Herzkasper und Rettungsruf. Episoden mit gutem Ausgang, denn Anne schrieb in ihren Essays und Gedichten so schön vom Abschied, was ihm sehr gefiel und es schmeichelte ihm. Hesse spürte ein Vierteljahrhundert der Vergänglichkeit nach, was ihn lange am Leben hielt. Gevatter Tod ist ein Eitler.
Aber dann geschah etwas Merkwürdiges. Die Frau kaufte sich für ihre Reportagen diese Kamera. Plötzlich sah sie seine Zeichen, ihn gewissermaßen herankommen. In den Augen der anderen. Sie blickte durch den Sucher und entdeckte ihn – den Tod mitten im Leben. In einem verspannten Mundwinkel, in trüben Pupillen, in einem gekrümmten Gang. Er zeichnete und höhlte aus und manche ließ er kurz vor dem Ende in eigenwilliger Schönheit aufblühen. Anne näherte sich ihm neugierig mit jedem Bild und leuchtete seine Verstecke aus, dass nahm ihr den Schrecken vor ihm.
Nach ein paar Jahren sah er wieder nach ihr. Sie hatte einfach zu gerne geraucht und ihn damit herausgefordert. Der Rauch – ein kreativer Zauber und im Finale: eine Lungenkrankheit. Musste wohl so sein. Früher hieß die elende Dichterkrankheit Tuberkulose. Schiller, Kafka, Morgenstern, Ringelnatz… hatten sie. Aber auch in der Gegenwart tragen die Nachdenklichen schwer am Gewicht der Zeit und bekommen es vom Schleppen im Rücken oder eben COPD. Sie sehen hin, wo andere wegsehen und verzehren sich. Doch, wo der Atem dünn wird, tanzen die Luftgespenster Tango. Sie füttern Annes Fantasie, nicht mehr die Angst. Sie zerlegt die alten Ängste in wunde Splitter und lässt sie in Geschichten fließen. Dort sind sie dingfest. Das mag Gevatter Tod besonders. Nachts raunt er ihr zu: „Ich kann warten.“
Und Anne murmelt im Schlaf: „Ich auch.“
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