Die Gingofrau

Aus gegebenem Anlass, weil meine Freundin Trilli schon wieder einmal das Quartier wechselt (17489 Greifswald, Domstraße 13) und man/frau sie darüber nicht vergisst (inzwischen ist sie in Erfurt…),
stelle ich hier mal ein Porträt von Ihr vor, dass aus unserer Berliner Zeit stammt:

Gabriele Trillhaase Foto: Petra Elsner
Gabriele Trillhaase
Foto: Petra Elsner

Die Ginkgofrau weht ein rauer Wind ins Café. Sie raucht einen dieser krummen Zigarillos, die an Wurzelwerk erinnern. Nach dem animalischen Arbeiten an einer Lederhaut, muss sie erst einmal abschlaffen. Den Rausch verschnaufen. Die Spiegelbilder von Gabriele Trillhaase sind Abbilder ihres Seins: naiv-sinnlich-erotisch. Die blinken und funkeln aus dem samtigen Grün-Braun-Blutrot, als sängen sie mal laut, mal ganz leise: „Sieh in Dein Selbst.“ Ja, auf die stimmigen Kompositionen ist die Trillhaase mit Recht stolz. Aber zu ihren Kritzeleien meint sie ganz ungeniert: „Ah, was sie bedeuten? Lauter kleine Pimmelmännchen.“ Sie bestellt einen Schoppen Weißen und erklärt dann doch näher: „Die geritzten Zeichnungen sind gewollte leichte Natürlichkeit. Ein Abarbeiten, um zu verstehen. Ich bin zwar ein friedlicher Mensch, aber ich werde dennoch konfrontiert mit: Einsamkeit, Alkoholismus, Gewalt, Neid, Missgunst oder mit meiner eigenen Geilheit. Ich will wissen, wie kommt das. Wenn ich’s verstehe, bin ich ruhiger und kann damit umgehen.“
Die Frau nippt am Wein und fragt mich: „Kennst Du schon meinen Ginkgo-Engel? Nein? Musst Du Dir ansehen. Gestern hab’ ich ihn abends auf der Husemannstraße postiert. Darüber einen Scheinwerfer. Ich wollte sehen was passiert. Aber es war nicht viel. Ich saß in dem Flutlicht wie unter einer Glocke und die Vorbeigehenden dachten: Dort dreht man wieder einen Film. Und wollten nicht stören. Dumm gelaufen.“ Die begehrte Sonnabendnacht auf der ächzenden Touri-Meile des Berliner Prenzlauer Berges ist vorbei und damit ein mögliches Geschäft. Sie schmaucht gelassen an ihrem Zigarillo, wirkt dabei wie die Dietrich, so herb-verführerisch-schön. Trilli weiß um ihre Wirkung. Und wenn jemand bei einem Fest darum bittet: „Ach sing uns doch ein paar Lieder von der Liebe“, dann holt sie spontan eine weiße Boa und den Kassettenrecorder herbei und verbreitet ein Glücksgefühl. Die Träumerin wandelt sich indem zum verführerischen Vamp. Süße Spätlese von Ende 40. Ihr Hunger auf Leute und kreative Suche halten sie jung und in Atem.
Anderntags. In der Husemannstraße 7 im Hof unterhält die Ginkgo-Frau ihr Atelier. Es riecht süßlich nach Leder und Salmiakbeize. Ernste Musik erfüllt kathedralenhaft die anderthalb Räume. Sinne fluten gehört zum Wachsein der Frau. Das war keineswegs immer so. Vorzeiten, in Erfurt, führte sie noch ein zufriedenes, bequemes Leben ohne Eigenart. Elektroingenieurin war sie, während ihr Mann mit der Folkgruppe „Brummtopf“ aufspielte. Sein Freitod riss sie 1983 aus ihrem Frieden. Diese bunkernde Lebenswunde trieb die Schöne mit zwei kleinen Töchtern in ein nachdenkliches Alleinsein, aus deren Schmerz mit der Zeit Schmuckstücke wuchsen: Ketten, Broschen, Reifen. Das erste Eigene. Gleich nach der Wende schon wieder passé und, inzwischen in Berlin, schon wieder die Frage. Wovon nun leben? Sie stieß auf das Ginkgomotiv und eine neue Idee: Spiegel und Leder. Ein Kontrastprogramm aus hart und weich, keimte in winzigen Augenspiegeln. Jedes Detail ein aufwendiges Einzelstück. Aber Erwerbszwänge und die bittere Erkenntnis: Du musst billiger werden nötigten sie sehr bald zur Serienfertigung mit drei Stanzeisen. Finanziell ging es nun besser. Doch: jemand hinterfragte den Stolz der Kleinproduzentin: „Und was bitte, ist mit deiner Kreativität?“ Das gab tief innen einen Stich.
Seit 1991 sprudeln nun auch großformatige Arbeiten aus Trillis Phantasie. Sie schaut auf ihren Ginkgo-Engel. Mannsgroß ist das bizarre Sinnbild karibischer Lust. Ginkgoblätter symbolisieren für die Kunsthandwerkerin: „Liebe und Zweisamkeit. Man weiß eben nicht, ob es Eins ist, das sich in zwei teilt, oder zwei, die sich in eins verbinden…“ Mit diesen fächerartigen Blättern der japanischen Silberaprikose hat sie es andauernd. Und Leute, die ihre Ledervarianten mögen, sterben nicht aus. Seit einem Jahr fertigt eine geschützte Werkstatt den zeitlosen Trillhaase-Schmuck. Auch eine Marktfrau wird indes davon satt. Trilli organisiert den Vertrieb, entwickelt neue Stücke und nimmt sich wieder Zeit für große Spiegel-Bilder. Farbenreiche, überschäumende Lebensschreie oder samtige Ruhebilder.
Sie erzählt von ihrem Schaffensgenuss: „Da liegt so eine Kuh, eine große wertvolle Haut vor mir und ich muss mich entscheiden. Wie ein Bildhauer seinen Stein beschlägt. Sobald ich die Aale draufsetze, ist die Linie vorgegeben, unveränderlich. Das ist eine schöne Herausforderung.“
Vom Schneidplatz wechseln wir hinüber in die alte Küche, die heute als Färberei dient. Zwischen gestapelten Töpfen erklärt sie weiter: „Sind die Linien geschnitten, werden die Ornamente, Figuren oder Linien mit Tuschen nachgezeichnet oder gefüllt. Zuletzt kommt ganz normale Holzbeize drauf. Die vermischt sich, die verschwimmt wie ein Aquarell. Oft mache ich Sachen unbewusst und begreife erst hinterher, was da passiert ist. Bei der jüngsten Ausstellung in Templin beispielsweise erfuhr ich, warum ich dunkle Spiegel-Bilder mache: Es war natürlich eins mit Ginkgomotiv. Das dunkle Leder hat etwas Sanftes. Eine Frau tritt davor und sagt: ‘Zum ersten Mal schaue ich beruhigt in einen Spiegel.’ In diesem Werk ist meine Sehnsucht nach Harmonie aufgegangen. Und das ist für mich Erfolg: Anzukommen.“
Sie hält es mit dem Spruch von Böll „Mit Ungeduld auf Geduld setzen.“ Seit die Ginkgo-Frau lernte, den Dingen (nicht untätig) Zeit zu lassen, wuchsen aus ihr unverwechselbare Schmuck- und Beziehungsstücke. Winzige „Selbstbewusstseinsspiegel“ beispielsweise mit liebevollen Texten. „Die großen Spiegel und Spiegel-Bilder“, verrät sie zuletzt, „ergaben sich mit der Zeit aus den kleinen“.

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