Die Moorgeister vom Plagefenn

Umor, Schlangentroll vom Plagefenn Zeichnung: Petra Elsner
Umor, Schlangentroll vom Plagefenn
Zeichnung: Petra Elsner

An diesem milden Frühlingsmorgen scherbelte das Eis auf dem schmalen Wassergraben, der das Moor umgab. Es schien, als würden die feuchtschweren Mooshügel atmen. Auf einem dieser hockte Fidelio, das Fledermännchen, und zählte Gasblasen. Eigentlich müsste das Moorgeistergeflüster längst erwacht sein. Blub, wieder war eine Blase zerplatzt, doch mehr regte sich nicht. Fidelio wischte sich die Schlammspritzer von seiner blassen Nase und seufzte. Das himmelblaue Männchen mit den Libellenflügeln wollte gerade davon surren, als sich aus dem Moor eine wirklich fette Beule aufblähte. Das Fledermännchen ging in Deckung, da gluckste und schmatzte es, und ein brauner Schlammtroll quoll aus dem Matsch. Fidelio lugte hinter den Binsen hervor. „Oh, Blubber, endlich ausgeschlafen?“ „Nein, aber die Sonne heizt das Moor so an, da wird man zwangsläufig wach. Moorflocke wird auch gleich aufsteigen.“
„Und Umor?“, fragte die glasige Gestalt. „Nein, keine Sorge, der große Schlangentroll kommt wie immer erst zur Nacht.“

Indes erschien Moorflocke mit ihrem Wollgrashütchen an der Oberfläche, und Fidelio kicherte: „Mein Gott, ich habe über den Winter ganz vergessen, wie hübsch hässlich ihr seid. Da hilft keine Schlammpackung!“ Moorflocke tauchte beleidigt ab, nur eines ihrer Froschaugen linste noch aus dem Sumpf und dem hielt Fidelio eine lila Glockenblume hin. Moorflocke spritzte aus dem Schlick. „Wo hast Du denn die her, die blühen doch erst in ein paar Wochen?“ „Topfblumen, extra für dich.“ Das kleine Elfenmännchen wusste genau, etwas Schöneres konnte er ihr nicht bringen. Dann hockten sich auf die wabernden Mooshügel und schauten in die geheimnisvolle Landschaft. Noch war das große Kesselmoor im Herzen der Schorfheide kahl und öd, doch bald würde wieder alles von Seggen, Binsen und Farnen sattgrün schimmern. Wenn erst überall die Glockenblumen läuten, dann schlägt die Hochzeit der Moorgeister. Aber eigentlich hat dieser Spuk keine bestimmte Stunde. Die Moorgeister foppen jeden, der sich sommerwärts in ihre Nähe begibt. Den Heidekrautschneidern schicken sie fliegende Ringelnattern, auf das sie schreiend davonlaufen. Ein anderes Mal erschrecken sie mit feinem Heulen oder schrillem Pfeifen. Doch all das ist gar nichts gegen eine Begegnung mit Umor. Wer den buckligen Moorgeist mit dem Schlangenhaar, den glühenden Augen und der Schuppenhaut erblickt, den packt das kalte Grausen. Wer davonläuft hat Glück, wer Wurzeln schlägt, den holt sich Umor.

Es dämmerte früh an diesem Tag, und Fidelio wurde unruhig. So sehr er auch die Moorgeisterkinder mochte, ihrem Vater, dem Schlangentroll, wollte er nicht begegnen. Doch es begab sich, dass eben zu jener Stunde ein Kräuterweiblein vom Großen Plagesee den Weg durch den Sumpf nahm. Moorflocke warf Frösche nach ihr, und Blubber rülpste unwirklich laut und klatschte mit Ästen auf das Wasser. Das alles aber störte die Frau nicht weiter, denn sie kannte den Unfug der kleinen Moorgeister. Doch als plötzlich eine Schlammfontäne aufbrach, und Umor aus der Finsternis schoss, stockte ihr der Atem. Grausig sah er aus, und die Frau erstarrte.

Fidelio mochte die Auftritte Umors gar nicht. So flog er zu der Kräuterfrau und wisperte ihr zu: „Nicht hinsehen.“ Er hatte keinen großen Zauber, nur die Gabe, einen Nebelschleier zu schicken. Den legte er nun schützend um die Erstarrte, die sogleich ungesehen fliehen konnte. Umor aber grollte ganz fürchterlich, seine glühenden Augen sprühten vor Wut Funken, die als Glühwürmchen wie Spione davon schwebten. Die kindlichen Moorgeister murmelten: „Das Fledermännchen ist aber mutig. Nicht, dass der Vater es jagt, wir müssen ihm beistehen.“ Und so wirbelte Moorflocke eine Wolke aus Wollgrasähren auf und Blubber brachte das Moor zum Brodeln und ließ es düster stöhnen. Umor tauchte schließlich im Morast ab. Er kannte seine Kinder und wusste, zusammen sie allemal stärker als er. (pe)

(Aus meinem Buch „Schattengeschichten aus dem Wanderland“ – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

Neu erschienen: 2018 bei der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder als Märchensammlung (30 Texte) unter dem Titel „Die Gabe der Nebelfee“

 

Info: Plagefenn

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