„War schön jewesen. Geschichten aus der großen Stadt.“, so enden Lea Streisands leichtfüßige Hörkolumnen auf Radio Eins und die mochte ich vom ersten Ton an. Aber die junge Autorin auf ihrer Rückreise in die Kindheit zu erleben, das war etwas ganz anderes. Denn ehrlich, wie haben Jungpioniere die Zeitenwende nach 1989 erlebt und begriffen? Darüber hatte ich nie nachgedacht. Mein Sohn war damals 17 Jahre alt und die Verwirrungen für diese Altersgruppe waren schon extrem. Man war bis zu Erschöpfung mit den Veränderungen beschäftigt und der Blick engte sich ein. Insofern bin ich sehr dankbar, dass ich das Roman-Kind Franzi auf seiner Haltsuche in der alten und der neuen Zeit begleiten durfte. Denn die Erinnerungen der Autorin schupsten mich geradewegs zurück in meine Kindheit zwischen enthusiastischen Pioniernachmittagen und melancholischer Sinnsuche. Geheimnisgräberische Eltern gab es damals auch schon und Zeit hatten die auch für uns Kinder nie. Da war es nicht verwunderlich, dass Nachbarskinder wie Geschwistern Lebenseinfluss bekamen. Aber so richtig spannend wurde für mich dieser Erinnerungsroman erst, als Franzi von den Übergängen spricht: „Eines Tages stand ein Container bei uns auf dem Schulhof… In dem Container landeten Bücher. Landkarten, Atlanten. Die ganze Welt, wie wir sie kannten, wie man sie uns beigebracht hatte, wurden in die Tonne getreten. Dabei hatten sie uns jahrelang eingeimpft, Bücher seien etwas Heiliges. Kluge Frauen und Männer hätten sie geschrieben, um uns klüger und die Welt besser zu machen. Mit Büchern musste man sorgsam umgehen. Man durfte nichts hineinschreiben, keine Eselsohren reinmachen und sie nur mit gewaschenen Händen anfassen. Und nun stand auf unserem Schulhof dieser riesige Mülleimer, und alles, was wir wussten, wurde entsorgt. Stattdessen galt es, neues Wissen zu erlangen…“ „Wie man es anstellte, selbstständig zu werden, lernte ich aus der Werbung ‚Krönung light‘-Werbung. Mein Vorbild war die junge blonde dynamische Frau, die ihr Leben mit Krönung light voll im Griff hatte…“ Aber kaum später mutierte die Schülerin zum Hippie: „Ich fühlte mich geborgen in dieser vergangenen Rebellion…Wir bewegten uns in dieser Vergangenheit wie in einer Traumwelt, in der die Dinge geordneter und freundlicher zu sein schienen. Peace, Love and Rock’n’Roll, das waren doch universelle Werte. Der Widerstand, den wir leisteten, richtete sich gegen die Zukunft. Die Freiheit machte mir Angst. Es gab keine Sicherheit mehr. Alles konnte passieren. Unsere Eltern waren auch keine Gegner mehr. Sie waren nur noch mit sich beschäftigt und taperten teilweise genauso überfordert durch die schöne neue Welt wie wir.“
Ja, all das habe ich damals als Jugendredakteurin auch gesehen, selbst erlebt und ich bin sehr angetan, dass ich durch dieses Buch, die kindliche Seite dieses Wandels jetzt nachträglich bedenken konnte und mich auch ungeniert an die Sonnendecks über den Dächern des Prenzlauer Berges erinnern durfte. Dieses Buch hat die Gründe geborgen, weshalb manche heute so und nicht anders geworden sind.
© Petra Elsner
„Hufeland, Ecke Bötzow“ von Lea Streisand, Ullstein, Hardcover, 224 Seiten, ISBN: 9783550050312, 20 €
Views: 715