Kia, die einsame Eule

Heute mal was ganz anderes: Eine Vorlesegeschichte für
die kleinsten Menschenkinder:

Die weiße Eule Kia liebte den Sommer mit seinem Duft nach frischem Heu und den kräftigen Farben der Sommerblumen. Doch selbst in der lauschigsten Zeit des Jahres war die kleine, weiße Eule immer etwas schwermütig.
Kia hockte in der Dämmerung auf ihrem Eulenbaum am Dorfanger und seufzte selbstvergessen: „Hüh, hüh, ich bin allein. Ach, hüh, hüh.“ Kia klagte und klagte, bis die Blaue Stunde vor der Dunkelheit kam, dann verstummte sie und die Nachbarn konnten endlich einschlafen. Doch am nächsten Abend wehten Kias Klagelaute wieder über die Dächer und so verging die Zeit.
Im Dorf machten sich die Menschen Gedanken, wie sie dem Eulchen Gesellschaft beschaffen könnten. Aber in der gesamten Nachbarschaft war keine alleinstehende Eule bekannt. Da fuhr der Förster Klaus in die nächste große Stadt und sprach mit dem Zoodirektor, ob er nicht eine Eule zu verschenken hätte. Der Direktor führte den Förster Klaus in die Krankenstation. Dort hockten zwei Eulennestlinge in einem Käfig. Der Zoodirektor sagte schließlich: „Könnte eure Dorfeule nicht eine Pflegemama für die zwei kleinen Waldohreulen sein?“ Förster Klaus kratzte sich nachdenklich das Haupt unter seinem grünen Hut: „Doch, vielleicht, ja, das könnte gelingen. Unsere Eule ist derart einsam, dass sie sich bestimmt sofort um die Jungen kümmern würde.“
Noch am selben Abend setzte der Förster die Nestlinge in einem Körbchen unter den großen Lindenbaum, in dem Kia wohnte. Die Kleinen fiepten ganz aufgeregt. Als die Nacht kam, blieb Kias Kummerklage aus. Auch die Rufe der Jungen verstummten sehr bald. Nur der Förster Klaus hockte noch still auf einer Bank am Anger und wartete. Auf einmal schwebte Kia lautlos vom Baum und besah sich die schlafenden Jungvögel. Dann griff sie nach dem Ersten und flog mit ihm hinauf zu ihrer Höhle, kaum später holte sie den Zweiten. Klaus lächelte und ging beruhigt zu Bett.
Die ganze Nacht flog die weiße Eule, um Futter für ihre Pfleglinge zu beschaffen. Dazu sang sie leise: „Kiwitt, kiwitt, wir sind zu dritt, was für ein Glück!“

© Petra Elsner

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