Morgenstunde (30)

Altes Berlin, 1992. Foto: Petra Elsner

Eigentlich wollte ich nur ein bisschen Platz schaffen im Atelier. Jetzt bin ich schon den dritten Tag beim „ausmisten“. Alte Zeitungsbelege, Papierfotos von Baureportagen – braucht heute niemand mehr. Einmal begonnen, fühle ich mich inzwischen wie ein Staubwedel. Die Heizung war Mittwochabend ausgefallen und jene Bilder, die ich im Heizungsraum schon für den Winter „eingemottet“ hatte, mussten den Handwerkeraktionen wieder weichen. Nun verstellen sie mir das kleine Zeichenatelier. Auf der Suche nach Platz ist eine große Räumwut entsprungen.  Da aber die Heizung immer noch nicht richtig funktioniert, entsteht keine Harmonie… Ohne die, wachsen bei mir keine Zeilen für die nächste künstlerische Erfindung.
Also: Baustelle erweitern. Hier ein Korb voll Bücher aussortieren, dort einen ganzen Ordnerschrank auflösen. Wohin nur damit? Die Papiertonne ist schon voll vom Lebensüberhang. Die halbwichtigen Mappen habe ich in einer Plastikbox auf dem Boden versteckt: Die Briefwechsel aus dem ummauerten Leben, die Wendemagazine und die Konzepte dazu… man sortiert den Lebensverlauf und gerät in einen Emotionsstrudel. Der rechtsfreie Raum des Jahres 1990 lächelt dabei noch einmal: Es war meine beste Lebenszeit, nie wieder war ich so mutig. „Gelohnt“ hat es schlussendlich nur als Selbsterfahrung. Ihr habt ja in der Tagesschau dieser Woche vernehmen dürfen: Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, hat die Westdominanz in den Eliten kritisiert: „Auch wenn es auf den ersten Blick mit Angela Merkel als Kanzlerin und dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck anders aussieht: In der Fläche wird die Dominanz der Westdeutschen in den Eliten immer noch als kultureller Kolonialismus erlebt“, erklärte er der „Berliner Zeitung“. Dies sei „ein Problem“. Denn „der Anteil der Ostdeutschen und ihre Identität werden dabei häufig überlagert.“ Stimmt.

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