Am Ende der Zeit (3)

Öffentliches Schreiben einer Kurzgeschichte (Der Schluss):

Sie posierte vor dem alten Spiegelschrank die Rolle der Drachenschlange, aber sie hatte nicht wirklich gutes Gift und vernichtendes Feuer zu versprühen. Für eine kapriziöse Diva fehlte ihr nicht nur die glamouröse Garderobe und auch die komische Alte stand ihr nicht so recht. Schließlich goss sie sich einen Schoppen Rotwein ein, setzte sich die Brille auf die Nase und begann sich ihre großen Lebensrätsel anzusehen. Der unverdaute Berg kam ihr mächtig vor, aber diesmal wollte sie wirklich alles bedenken, und sie begann mit der offenen Frage: Warum verlangt schwindende Kraft nach Lebenshunger? Weshalb begehrte das eine das andere? Eleonore Wundersam las sich in die Welt hinter der Frage, wälzte alte Bücher und klickte sich durch online-Essays. Lesen hilft durch jede Lebenszeit. Es sind die inneren Bilder, die das Erlesene zu eigenen Gedanken stimulieren.  Dabei fand die Frau zu diesem Gleichnis: Wenn der Frühling mit all seinen frischen Farben unsere Sinnlichkeit berührt, ist es der Schnee im kahlen Winter, der alle Konturen schärft. Auf den Verlust der Farben folgt der klare Blick, die reife Erkenntnis. So halten sich Jugend und Alter die Waage und jedes hat deshalb gleichgewichtigen Wert. Eleonore lächelte, während sie das notierte. Sie spürte, wie sie plötzlich gelassener auf die Hiebe der Zeit sah. Ihre Neugier auf all diese Rätsel trieb sie nun an, jeden Morgen am Ende der Zeit aufzustehen, um sich ein neues Rätsel aus dem Berg der Zeiten zu ziehen.

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© Petra Elsner
7. August 2019

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Am Ende der Zeit

Öffentliches Schreiben einer Kurzgeschichte (Abschnitt 1):

Sie sah die Weite nur in der Distanz des nächsten Atemzugs. Nur so war es ihr möglich den ganzen Weg klaglos anzunehmen. Dabei hatte sie gar nicht bemerkt, wie lange sie schon unterwegs war. Als sie diesen klaren Morgen grüßte, war ihre helle Stimme brüchig geworden. Vielleicht hatte sie ja genug erzählt und sollte fortan schweigen. Wer weiß. Jeder Wandel birgt ein Rätsel. Man muss es nicht lösen, aber es vielleicht wenigstens annehmen. Eleonore konnte das nicht. Sie schluckte die Rätsel unverdaut und schleppte sie mit sich wie eine Wanderdüne, bis in diesen Moment hinein, in dem ihr die Stimme versagte und es ihr war, als müsste sie all diese Rätsel aus ihrem Leib kotzen. Die Last leichter machen, um den Weg ihrer aussichtslosen Suche fortsetzen zu können – jetzt eben schweigsam.
In jeder Zeit ihres Lebens wälzte Eleonore die zermürbende Frage „Wer bin ich jetzt und darf ich so sein?“ neu. Sie drehte und wendete die Situation, aber sich tatsächlich in sie hineinzufinden, dass gelang ihr nicht. Und so bröselten die Begebenheiten und Veränderungen missmutig in ihr herum, bis sie an den imaginären Punkt der Offenbarungen gekommen war: Sie, Eleonore Wundersam fiel gerade aus der Zeit…

© Petra Elsner
5. August 2019

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