Nachtblau

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

Der Regen pladderte auf dem Fensterblech ein Rondo. Doch diese Wetterpoesie ließ keine Leichtigkeit wachsen, sie nervte nur noch. Der Sommer war einfach zu grau, zu kalt, zu einsam. Leonie fröstelte. In der Pfanne brutzelten Bratkartoffeln, sie hatte Hunger wie im Winter. Der Duft aus der Pfanne legte eine Gedankenspur in eine Zeit, als die Sommer noch Leichtigkeit waren oder schienen. Damals unterm weiten uckermärkischen Himmel – sonnabendnachts:
Schwerer Rosenduft hing in den Gartenterrassen am See. Die Rockband hatte eingepackt, denn die übliche Lokalschlacht hatte sie schnell übertönt, und sie wollte nicht in die Keilerei hineingezogen werden. Es brauchte nie viel, um die Hitzköpfe der Dörfer in Position zu bringen. Jeder gegen jeden und jede Sonnabendnacht. Die Mädchen huschten in eine sichere Distanz und sorgten sich um ihren Favoriten. Chancenlos schrie der Wirt: „Raus, schlagt Euch draußen!“
Da flogen schon die ersten Stühle, Holz und Scheiben barsten. Die Minuten dehnten sich. Niemand hätte später genau sagen können, wie lange die Prügelei dauerte. Nur der Dorfpolizist, der allein im Schatten seiner Amtsbarracke, die gleich gegenüber dem Rosengarten stand, wartete, hatte ein sicheres Gespür dafür, wann er nach dem großen Finale, die angeschlagenen Raufbolde gefahrlos trennen konnte. Dann schrieb er die Namen und die Schäden auf, stieg wieder auf sein Fahrrad und fuhr nach Hause. Er wurde hier nicht mehr gebraucht.
Es war die Zeit, als man meist gefahrlos nachts von den ländlichen Tanzböden auf Waldwegen heim lief oder radelte. Die Zeit roch nach Bier, Club-Cola-Wodka, Rummel und schlechtem Deo.
Nichts konnte Leonie damals davon abhalten, ihre Lust in süßer Sorglosigkeit auszuleben, bis sie abermals in einer schwülen Sommernacht auf einer Bank am gleichen See schlaflos auf die Morgenfrische wartete. Ihr Leib beulte sich und pochte. Wenn die Fischer nach ihren Reusen sehen, wird sie heimgehen, in der Hoffnung auf Schlaf in der Kühle des Morgens. Aber noch war es nicht so weit. Himmel und See ergossen sich noch in ein tiefes Nachtblau, das kaum einen Horizont kannte.
Irgendwo tapste und hechelt etwas. Leonie zog die Schultern gerade nach hinten und späte nach dem Geräusch. Es kam schnell näher und dann lief er auf sie zu. Ein großer Schäferhund, der sich vor sie setzte und herzzerreißend jaulte.
„Lass das, Bero, du weckst noch alle Hühner auf!“, flogen die Worte dem Hund hinterher. Ein Mann tauchte aus dem Dunkelblau, nicht alt, nicht jung, in schwarzen Lederhosen und grünem Parker. Er rauchte Zigarre und brummte: „Sitzen Sie ganz alleine hier rum?“
„Sehen Sie doch oder?“ antwortete Leonie kühl.
„Ist aber nicht gut, allein in der Nacht mit dem gefülltem Bauch. Gibt es keinen Beschützer?“
„Gibt es nicht und wird auch nicht gebraucht.“
„Aha“, brummte der Mann, zog an seiner Zigarre und paffte Kringel in die Luft. „Es ist sauschwül, keiner kann schlafen, nicht mal der Hund.“ Er hockte sich zu Leonie auf die Bank und tippte ihr sacht auf den Bauch und sprach gutmütig: „1972 wird ein guter Jahrgang.“
Sie lächelte verklemmt.
„Und, wie wird das Alleinstehend so werden?“, fragte der Mann und kraulte dabei seinen Hund.
Leonie zog die Schultern hoch: „Mein Vater hat mir vorgerechnet, dass man mit 385 Mark Jungfacharbeiterlohn nicht klarkommt. Das merke ich gerade.“
„Und, wenn er das herausgefunden hat, unterstützt er Sie?“
„Leonie schwieg.
„Echt nicht?“, raunte der Mann.
„Er meinte nur, für solche wie mich, haben sie den Abtreibungsparagrafen gemacht, und wenn ich das nicht schnalle, dann solle ich mich auch allein kümmern“, erzählte sie tonlos.
„Aha“, brummte der Mann wieder und schwieg in das Morgengrauen.
Die Fischer zogen auf ihren Booten vorbei und Leonie streckte sich: „Ich geh dann mal.“
Der Mann nuschelte: „Wird ja auch Zeit. Ich bring Sie noch durch den Rosengarten.“
Der Hund sprang ihren gemächlichen Schritten voran, plötzlich stand und scharrte er. Als die Zwei bei ihm waren, sahen sie ein silbernes Fünfmarkstück. Und während der Mann sich bückte, es aufhob und es in Leonies Hand legte, scharrte Bero erneut und wieder brachte er ein Silberstück hervor und noch eines, bis zur Straße waren es neun. Leonie traute ihren Augen kaum, als der Mann sprach: „Reicht das für die nächsten Tage?“
Die Frau war dem Mann mit dem Hund nie wieder begegnet, aber sie wusste seither: Das Glück muss einem unterwegs begegnen und nicht erst am Ende des Tunnels.
Petra Elsner

Mit dieser Geschichte möchte ich nochmals auf meine Lesung am 6. März, 15 Uhr, im Jagdschloss Groß Schönebeck (Schorfheide) aufmerksam machen. Ich lese dort aus meinem Buch „Vom Duft der warmen Zeit“

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