Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (5)

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

… Wallo war die Nachtkühle nicht gewohnt. Er schlotterte ganz erbärmlich und klinkte alsbald sehr verzweifelt an den Haustüren auf seinem Weg. Doch alle waren verschlossen. Wallo seufzte vor sich hin: „Ojeoje. Was soll nur werden?“

In jedem der Hauseingänge standen blaue Plastiksäcke, über einen stolperte versehentlich der mutlose Geist. Er stürzte, und wickelte sich im Fallen zu einer Kugel auf. Dann saß er. Sein Ende wedelte noch, und sein Anfang stülpte sich aus dem rußschwarzen Rund und sah dann verdutzt auf. Der Plastiksack war beim Umfallen gerissen, aus ihm quollen Kleidungsstücke heraus. Wallo entrollte sich und schlängelte neugierig zurück. Er durchwühlte den Kleiderhaufen und fand ein großkariertes Hemd, das ihm passte, und eine Schiebermütze. Er schlüpfte in das Hemd, teilte von seinem Lichtschweif zwei Strahlen ab und schob sie in die Ärmel. Er sah jetzt beinahe wie ein Mensch aus, der ganz sicher auf einem Bein durch die Gegend springen konnte. Doch Wallo war es ziemlich egal, wie er ausschaute. Ihm war, als friere er nun nicht mehr ganz so sehr, nur das allein zählte.

Die Verwandlung beginnt.
Die Verwandlung beginnt.

Eine Straßenecke weiter kam Wallo auf eine breite Allee. In deren Mitte wuchsen mächtige Linden. Wallo war froh bei diesem Anblick. Vielleicht würde ihn eine der vielen Baumseelen aufnehmen, wenigsten für diese schreckliche Nacht.

Was Wallo nicht wusste, dass es keine gute Zeit war, um an diese für Menschen unsichtbaren Baumpforten zu klopfen. Ahnungslos pochte er leise an die erste Linde. Darin hörte er nur ein jammervolles Wimmern, niemand öffnete ihm. „Kann ich helfen?“, fragte Wallo warmherzig durch das Holz. Doch er erhielt keine Antwort.

An den zweiten Baum klopfte er schon etwas kräftiger. Durch ein Astloch fuhr eine hektische, violette Lindenseele, die ähnlich einem Zitteraal zappelte und Wallo schrill anfuhr: „Äh. Was willst du um diese Stunde? Hast du wenigstens eine Tüte mit?“

 

„Was für eine Tüte?“, fragte Wallo irritiert.

Die Lindenseele.
Die Lindenseele.

Die Zitterseele verdrehte genervt die Glubschaugen: „Na, eine Plastiktüte voll Smog. So eine Portion wundervollen Automief, es können Diesel- oder Benzingase sein. Kapiert? Ganz gleich was, um diese Stunde schnüffeln wir alles.“

„Wozu brauchst du die Tütengase?“, will Wallo erstaunt wissen.

„Na, du bist mir vielleicht eine Landbaumseele. Von nichts ’ne Ahnung! Du bist hier in der Schnüffelallee. Hier ist der Smog tagsüber so herrlich dick, dass man echt abheben kann. Aber nachts, da ist kein Stau, kaum wer unterwegs. Doch wenn keine Autos fahren, geht es uns hier wirklich scheußlich. Richtig mies sind wir dann alle drauf. Da klopft man nicht ohne ’ne mitgebrachte Tüte an, um sich an unserem Elend zu weiden. Hast du nicht doch was dabei?“

„Nein“, antwortete Wallo verlegen. „Und ich will mich an gar niemandem weiden, mir ist heute Nacht mein Baum abgebrannt. Da wollte ich fragen …?“

„Äh, ein Obdachloser. Mach, dass du weiterkommst, du Penner! Solche wie dich können wir hier nicht gebrauchen. Los, los, glotz nicht so blöd und verzieh dich!“, krächzte verächtlich die violette Schnüffelseele, zog ihren Birnenkopf zurück in den Baum und verschloss das Astloch mit einer knautschigen Bierbüchse.

Wallo stand völlig verdattert und verlassen in der Nacht. Obdachloser, Penner, schnüffelnde Baumseelen, all das kannte er nicht und wusste nicht recht damit umzugehen. Aber wenn das eine Schnüffelallee ist, dann brauchte er es hier wohl nicht weiter zu versuchen.

Er machte sich Hoffnung: Vielleicht finden sich ja in den weniger befahrenen Nebenstraßen noch gesunde, freundliche Baumseelen. Wallo zog erschöpft, doch unbeirrt weiter.

Es sollte eine sehr lange Nachtwanderung werden. In den meisten Straßenfluchten, in die er hineinsah, wohnten keine Bäume, oder sie waren noch so jung und zart, dass die Seelchen darin keinen Platz für einen ausgewachsenen Artgenossen gehabt hätten. Zwecklos, es trotzdem zu versuchen.

Wallo irrte schließlich ratlos umher. Keinen Sprung weit konnte er mehr hüpfen, er kroch nur noch flach über das Gehwegpflaster, als ein lautes Brummen die Stille zerriss. Ein Müllauto kurvte um die Ecke, bremste, dann tuckerte und ächzte es im Stehen. Zwei Männer sprangen vom Wagen und entleerten Abfallcontainer, die gegenüber an einer Häuserwand standen.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, schlich Wallo aus der Dunkelheit hinüber, sprang in eines der klobigen Gefäße und zog den Deckel zu. Es störte ihn kein bisschen mehr, dass es darin gar fürchterlich stank. Der obdachlose Grüngeist war so erschöpft, dass er sofort einschlief. Morgen, morgen würde alles wieder in Ordnung kommen. Es ist die Hoffnung, die den bekümmerten Wesen einen friedlichen Schlaf schenkt …

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Dellwog und der Flößer

Flussgott Dellwog Zeichnung: Petra Elsner
Flussgott Dellwog
Zeichnung: Petra Elsner

Es war spät. Für einen Moment schien der Regen nachzulassen, blaue Schatten legten sich über Wald und See.  Dort schwammen Heinrichs Stämme. Morgen würden sie als Trift auf Flussfahrt gehen. Im Reisestall für Pferde und Kutschen schliefen schon die Knechte, und auch der Flößer Heinrich wollte hier ein Strohlager finden. Aber jetzt brauchte er zunächst etwas Warmes. In der kleinen Gaststube brodelte noch Kaffeewasser, und die Viehhändler und Holzaufkäufer würfelten um die besten Schlafplätze. Heinrich ging zur Feuerstelle und rieb sich die klammen Hände. Aus der Ecke neben dem Tresen lugte eine seltsame Gestalt ins Kerzenlicht. Die Wirtin reichte Heinrich wortlos einen dampfenden Becher, deutete zu dem Schattenriss in dem Winkel und flüsterte dem Flößer zu „ein Kaffeeriecher, ein Schnüffler des Fürsten.“

Heinrich wandte sich ungerührt den Spielenden zu und schlürfte den geschmuggelten Kaffee. „Will er morgen flößen?“, fragte ihn einer der Viehhändler. Heinrich nickte.

„Das wird wohl nichts werden“, raunte die Runde. „Wieso nicht?“, stutzte der Fröstelnde.

„Weil das Schleusenschütz klemmt“, murrte die Wirtin. „Wir werden hier noch alle absaufen, wenn die Pegel weiter im Regen steigen.“

„Es klemmt nicht, ein mächtiges Ungetüm hängt dran!“ knurrte einer der Viehhändler. „Wie eine quallige Saugglocke belagert es das Schütz und spritzt grüne Säure, wenn man nach ihm sticht.“

Heinrich wurde unruhig: „Seit wann hockt es da? Und gibt es gar keinen Weg, es zu vertreiben?“

Die Männer zuckten mit den Schultern, nur die Gestalt im Treseneck murmelte aus dem Dunkel: „Seit Urzeiten wandelt zwischen den Seen und den sumpfigen Niederungen der Schorfheide ein kleiner, launischer Flussgott umher. Er entsprang eben diesem See als Döllnfließ, dem, wenn man es befahren wollte, eine Locke zu opfern war. Dieser längst vergessene Wasserfürst heißt Dellwog. Wenn er wütend ist, verwandelt er sich in eine glibberige Riesenqualle, die alles aufsaugt, was sich ihr in den Weg stellt, aber ansonsten schwimmt er als bunt geschuppte Gestalt friedfertig mit den Wellen. Doch man hat dem Dellwog die Flanken beschnitten, seine Windungen begradigt, damit die Flößer das Holz schadlos aus dem Wald hinaus bringen können. Und nun stöhnt und wütet er vor Schmerz.“

Oh je, dachte Heinrich. Gewiss, das Döllnfließ war keine leicht zu beflößende Gasse, aber dass ein Flussgott dieses grün-blaue Band durch das Land zieht, wusste er nicht. Wie sollten nun seine Stämme rechtzeitig zu dem Hamburger Schiffbauer gelangen, wenn Dellwog sich nicht besänftigen ließe? Noch als alle Gäste des Krugs fest schliefen, starrte Heinrich ins Kaminfeuer und dachte nach.

Im Morgengrauen regnete es wieder Blasen und Heinrichs Stämme drohten über die Schleuse zu stürzen. Der Flößer sah, wie der strömende Regen alles an Land mit sich spülte und dabei kam er auf eine Idee: Der Mann schöpfte sich eine Handvoll Regenwasser aus einer Pfütze, sprang damit in den See und tauchte zur Quelle des Fließes. Dort unten öffnete er seine Hand und der weiche Regen floss, schob, spülte und löste schließlich den Schmerz des Flussgottes auf und schwemmte ihn davon. Heinrich stieg aus dem Wasser, schnitt sich eine Haarsträne ab und warf sie mit den Worten: „Dellwog, sei friedlich, ich achte dich!“ in die schäumenden Wellen. Dann zog er das Schleusenschütz, und seine Stämme begaben sich auf die lange Fahrt flussabwärts, hinaus aus dem Wanderland in die Welt.

(Aus meinem Buch „Schattengeschichten aus dem Wanderland“ – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

Neu erschienen: 2018 bei der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder als Märchensammlung (30 Texte) unter dem Titel „Die Gabe der Nebelfee“

Spende? Gerne!
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Der Ball der Wasserfrauen

Die kichernden Regentropfennixen waren zum Ball geladen und kamen mit einem kräftigen Guss im Döllnfließ an. Immer in der Johannisnacht trafen sich die Wassergeister aller vier Himmelssphären, um für Freya, die hohe Wasserfrau des Wanderlandes, Kräuter zu sammeln. Für diese eine Nacht des Jahres verloren die Nixen ihr Fischgewand, und all die schönen Wesen aus Pfützen, Tümpeln, Brunnen und Teichen, aus Flüssen und Seen lustwandelten im hellen Mondlicht durch die Wiesen, und schnitten schweigend reife Pflanzen. Nur das leise Läuten ihrer Glockenblumenkränze und das Zirpen der Grillen waren vernehmbar.

Wasserfrau Zeichnung von Petra Elsner
Wasserfrau
Zeichnung von
Petra Elsner

Die Wiesen am Fließ dufteten schon Tage lang so berauschend, dass kaum einer in den Heidedörfern Schlaf fand. Man hockte hellwach am Feuer, tanzte, trank Bier oder Wein, als ein Mädchen vor einem liebestollen Manne in die Wiesen floh. Aber es war zu weit die Hänge hinuntergelaufen, denn dort, wo der Auenwald begann, verästelte sich der Fluss, und die Wiese verwandelte sich in einen wundersam blühenden Sumpf. Das Mädchen war völlig entrückt, als es die Blütenpracht sah. Es pflückte sich einen Strauß, wie er schöner nicht sein konnte, aber währenddessen verlor es den festen Boden unter den Füßen, und die schmatzende Erde verschluckte das Mädchen. Es waren die Regentropfenixen Pia, Nike und Dafne, die das versinkende Wesen entdeckten und die hohe Wasserfrau herbei riefen. Freya schüttelte ärgerlich ihr Blumenhaupt. „Wer unsere Rituale stört, sollte eigentlich mit dem Sumpfwasser ziehen.“ Als Wächterin des unterirdischen Flusses, der an diesem Ort vom Diesseits ins Jenseits strömt, konnte die weiße Nixe Leben schenken oder nehmen. Aber Pia, Nike und Dafne waren so aufgeregt: „Sieh, sie ist so schön, du darfst sie nicht mit unseren Blumen geschmückt ins Reich der Toten schicken“, riefen die kleinen Nixen wie aus einer Stimme. „Gütiger Himmel“, raunte Freya. „Gut, dass die Kräuter geschnitten und gebündelt sind, sonst hätte euer Aufschrei ihnen all ihre Heilkraft genommen“, schimpfte die hohe Frau. Da es aber so gar keinen Grund gab, in dieser Festnacht ein so schönes Mädchen im Sumpf stecken zu lassen, zog Freya es aus dem Morast, wusch es in dem glasklaren Wasser des Fließes und legte es sanft am Ufer ab. Immer noch hielt das ohnmächtige Mädchen den prächtigen Strauß fest umklammert. Und wie es da so lag, schön wie ein Sommermorgen, steckte ihm Freya eine schützende Seerose ins Haar.

Als das Mädchen erwachte, sah es, wie die Wasserfrauen tanzten oder lachend Kräuter wuschen. Aber als jene bemerkten, dass das Mädchen ihnen zusah, erschraken sie, denn augenblicklich wuchs ihm ein Fischleib. Freya hatte den alten Zauber ihres Vaters vollkommen vergessen: Wenn ein Mädchen den Ball der Wasserfrauen beobachtet, wird es selbst zur Nixe. Gerade war die Verwandlung geschehen, da ritt auf einem Wellenross der alte Seegott heran. Der zottige Zausel mit dickem Wanst holte sich die neue Nixe.

Wochen und Monate vergingen. Schauerwetter peitschte das Land, da konnten die Regentropfennixen reisen. Eines Nachts gelangten sie an das Haus eben jenes Jünglings, der noch immer nach dem Mädchen suchte. Sie trommelten auf seine Fensterscheibe eine Melodie und malten aus Klangfarben einen See. Der Jüngling schreckte auf, hatte er nur geträumt oder sah er seine Liebste als schöne Nixe, die ein alter Seegott begehrte. Als endlich die nächste Johannisnacht anbrach, lief der junge Mann zum Großen Döllnsee und lauschte dem Wellenspiel. Irgendwo klatschte etwas auf das Wasser, ein Flossenschlag? Und richtig, im Mondlicht schwamm eine helle Gestalt auf ihn zu. Da sprang der Jüngling in das schwarze Nass und erhaschte die Nixe. Die war so schön, dass er fast das Atmen vergaß, aber dann küsste er das Mädchen. Indem verloren sie sich in einem Strudel, der dem Fischmädchen die Flosse abzog. Als das Paar auftauchte, erleuchteten hunderte große und kleine Wasserfrauen mit ihren weißen Leibern den See. Wie ein Geleitzug brachten sie die Zwei sicher zum nächtlichen Ufer, während der Seegott aus den Tiefen des Wassers machtlos grollte.

(Aus meinem Buch „Schattengeschichten aus dem Wanderland“ – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

Neu erschienen: 2018 bei der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder als Märchensammlung (30 Texte) unter dem Titel „Die Gabe der Nebelfee“

 

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Abgeliefert

So, die Lesung ist Geschichte. War gut besucht, nicht alle Plätze waren vergeben, aber Mann, Frau lauschten muxmäuchenstill und interessiert. Ich bin jetzt platt und gut  zufrieden.

Bei der Lesung "Vom Duft der warmen Zeit" im Jagdschloss Groß Schönebeck. Foto: Lutz Reinhardt
Bei der Lesung „Vom Duft der warmen Zeit“ im Jagdschloss Groß Schönebeck.
Foto: Lutz Reinhardt

 

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Herbsttöne

Der Herbst bäumt sich ein letztes Mal
zu einem großen Leuchten auf.
Und doch beklagt er indem auch,
den Niedergang der lichten, grünen Zeit.
Im Blumenmond sang ich Euch Anfang Mai,
ein Lied vom Duft der warmen Zeit.
Die hat sich jetzt verkrochen,
für eine kalte Ewigkeit …

Petra Elsner liest im Blumenmond zum Ateierfest, Mai 2015
Petra Elsner liest im Blumenmond zum Atelierfest, Mai 2015
Der welke Blumenmond im Spätherbst.
Der welke Blumenmond im Spätherbst.

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Die Gabe der Nebelfee

Ariella, die Nebelfee Zeichnung: Petra Elsner
Ariella, die Nebelfee
Zeichnung: Petra Elsner

Im Schutze des Berges, wo das Ufer des Werbellinsees ein Stück zurück tritt, lag das kleine Hüttendorf noch im tiefen Schlafe. Nur der junge Fischer Jakob dümpelte schon im Morgengrauen bei seinen Reusen. Die Vögel begannen gerade zu zwitschern, als sich ein kalter Hauch über den See kräuselte, auf dem ein blasser Schatten ritt. Die Vögel hielten inne, während Jakob erschrocken aufsah. Es war Ariella, die Nebelfee, die er fürchtete und zugleich verehrte. Kalt lächelnd legte sie einen mächtigen Wels in seinen Kahn. Die Eule auf ihrer Schulter schrie unheilvoll und flog sodann davon. Jakobs Augen folgten dem weißen Vogel, aber als er seinen Blick zurückwandte, war Ariella lautlos im Nichts entschwunden. Die leichte Brise verwehte die letzten Schleier ihres Kleides und trug murmelnde Stimmen mit sich: „Nimm ihn nicht, nimm ihn nicht, sonst holt sie dich.“ Aber der Fischer konnte dem großen Geschenk nicht widerstehen und ruderte so schnell er konnte zurück an Land.

Es war schon der zweite große Fisch, den er auf diese Weise bekam. Im Dorf prahlte der junge Mann, wie tollkühn er den Wels dem Wasser entzog. Kein Wörtchen verlor er über die Gabe der Nebelfee. Die Altfischer munkelten zwar manches, aber Jakob galt fortan als begnadeter Fänger. Drei Tage aß das ganze Dorf von dem riesigen Wels und ließ den Fischer beim Weine hochleben. Der Heidereiter, der große Verkünder von Recht und Ordnung, bot ihm sogar seine schöne Tochter zur Frau. Jakob sonnte sich in seinem Glück und freute sich auf die Aussicht einer guten Partie. Doch tief in seinem Inneren wusste er, sein Herz gehört schon einer anderen, aber der Fischer schwieg. Der Sommer kam und es sollte Hochzeit gehalten werden. Alles, was das Wanderland zu bieten hatte, lagerte schon für das Festmahl in den kühlen Erdspeichern: Edles Wild, feinste Pilze und Waldbeeren, Fliedersekt und Lindenhonig, es fehlte nur noch ein stattlicher Fisch.

Jakob ruderte in aller Frühe seines Hochzeitsmorgens auf den Werbellin und warf gerade sein größtes Netz aus, als die Sonne ihr Gold in den See goss, der augenblicklich zu dampfen begann. Aus dem Dunst wuchs Ariella heran, weiß-blass und hundertmal schöner als seine Braut. Die Fee trug einen Seerosenkranz und hielt einen prächtigen Hecht in den Händen. Jakob schaute entrückt auf das schimmernde Bild. Er sah nicht den Fisch, es war die bezaubernde Gestalt der Nebelfee, die ihn berauschte. So merkte er nicht, wie der Hecht aus ihren Händen in seinen Kahn flutsche, und er im gleichen Moment von einer milchigen Wolke umfangen wurde. Ohne ein Wort und vollkommen lautlos verschwand Jakob in den Tiefen des Wassers. Sein Kahn strandete mit Hecht, doch ohne Fischer am Ostufer des Werbellins.

Seit jenem Tag saß des Fischers Braut an dieser Stelle und weinte. Sie weinte Tage und Wochen so viele Tränen, dass der See über seine Ufer zu treten drohte. Da sprach ein alter Fischer zu der Trauernden: „Verwinde deinen Schmerz, kleine Frau, der Jakob ist der Nebelfee verfallen und damit dem schönen Schein. Der hockt jetzt in ihrer Dampfküche und erntet nichts als Rauch. Du aber kannst leben und musst nicht einem Phantom am Grunde des Sees dienen.“

Die Worte des Altfischers trockneten die Tränen der Braut, die sich alsbald einen anderen Mann nahm. Nur manchmal, wenn die Nebel über das Land wallten, dachte sie noch etwas wehmütig an den jungen Fischer, der jetzt für Ariella im See die Dunstsuppe kochte. Er steht dort noch immer im schlammigen Grund. Ruhelos rührt er, und mit ihm noch viele andere Nebelknechte, die sich die Fee mit jeweils drei Fischen von den Seen und Flüssen des Wanderlandes pflückte, in einem gewaltigen Trog den milchigen Schein.

(Aus meinem Buch „Schattengeschichten aus dem Wanderland“ – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

Neu erschienen: 2018 bei der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder als Märchensammlung (30 Texte) unter dem Titel „Die Gabe der Nebelfee“

Spende? Gerne!
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Dorfschauspiele 2015

Nachdem das Buch geschrieben, das Atelierfest und diverse Lesungen gegeben, klopft der Frühsommer mit all den ehrenamtlichen Verpflichtungen für das Dorf an die Tür. Zum Dorffest wird der Kulturverein zum dritten Male ein kleines Sagenspiel aufführen, wozu ich Ostern die „Teufelszungen vom Döllnsee“ in eine spielfähige Variante mit erweiterter Handlung gebracht habe. Dazu hab ich für die Spieler Kopfstabpuppen gebaut. Am 4. Juli wird das kleine Sagenspiel erstmals aufgeführt. Indes wird geprobt und ich habe die nächste Aufgabe für den Kulturverein am Wickel: die Fotoausstellung „Kurtschlager Impressionen“ zusammenzustellen und mit Passepartouts auszustatten. Die Bilder stammen aus etlichen Haushalten, manche sind 90 Jahre alt und winzig, die bearbeite ich … so werden sie schön wie nie zuvor. Am Vorabend zum Dorffest wird es eine Vernissage in der Kurtschlager Kirche geben und in schönes Licht getaucht, sollen die Fotos allen Blicken standhalten. Bis dahin ist noch viel zu tun …

Die Teufelszungen im Döllnsee

Die Kopfstabpuppen zu den Teufelszungen, gebaut von Petra Elsner
Die Kopfstabpuppen zu den Teufelszungen

Die Erzählerin:
In einer Zeit, als ein Frühjahrssturm den Schafen die Locken glatt kämmte, war die Herde des Schäfers Anton im Wald zwischen dem Großen Döllnsee und dem grünen Wuckersee in alle Winde verstreut. Er suchte viele Tage nach den Tieren, und als er sie endlich beisammen hatte, war der Heimweg noch sehr weit. Denn er hauste auf dem anderen Ufer des großen Sees. Anton schnaufte, und er wünschte sich im Stillen, würde doch ein Landweg über den See führen, dann wäre sein Weg nicht immer so unendlich weit. In der Dämmerung erreichte er müde seinen Hof und als er die Tiere im Stall hatte, schlürfte er noch die paar Meter in den alten Dorfkrug, um sich ein Feierabendbier zu gönnen.
Dort lehnte ein geheimnisvoller Mann am Tresen. Und weil Anton ihn so musterte, kam der Mann auf ihn zu und tippte mit zwei Fingern zum Gruß an seinen Schlapphut und sprach:
Der Geheimnisvolle: Ist es gestattet, sich zu dir zu setzen?“
Der Schäfer: Nichts dagegen, hock‘ er sich hin und erzähle mir was von der weiten Welt.
Der Geheimnisvolle: Ach, die große, weite Welt, sie ist fern, hier im tiefen Wald zählen doch andere Dinge.
Der Schäfer: So? Welche denn?
Der Geheimnisvolle: Was stellst sich dumm, du weißt schon: genug Futter für die Tiere und reichlich trockenes Holz für den Winter. Ein gutes Süppchen auf dem Feuer und das Leben gesund und nicht all zu schwer.
Der Schäfer: „Das Leben nicht allzu schwer, das ist wohl ein frommer Wunsch. Meine Wege zu den Waldwiesen sind so weit, das ich mir rasch Löcher in den Stiefelsohlen laufe. Müde bin ich jeden Tag wie ein Hund, wenn ich die Tiere endlich wieder im sicheren Stall habe, dann trinke ich noch ein Bierchen, dann rafft es mich auch schon auf das Nachtlager. Und mein Weib schweigt allein den Mond an.
Der Geheimnisvolle: Ja, das ist ein schweres Leben. Hoffentlich wird sich dein Weib nicht eines Tages davon machen und sich ein besseres Leben suchen, wenn du ihr so gar nicht die Zeit versüßt.
Der Schäfer: Das wäre schlimm, aber was soll ich machen?
Der Geheimnisvolle: Hast du denn so gar keine Idee, wie es leichter gehen könnte?
Der Schäfer: Doch, doch, es spukt mir schon lange ein Gedanke im Kopfe herum: Wenn es einen Damm über den See gäbe, dann wäre mein Weg nicht mehr so weit, und ich hätte etwas Zeit für meine Liebste.
Der Geheimnisvolle: Wenn es weiter nichts ist, da kann dir geholfen werden.
Der Schäfer: Wie das?

Erzählerin: Da lüftete der geheimnisvolle Mann seinen Schlapphut und der Schäfer erblickte das flammende Haupt des Leibhaftigen. Erschrocken wich Anton zurück. Im grauste vor dem schauerlichen Anblick, aber zugleich stieg eine Hoffnung in des Schäfers Herz auf, sein Wunsch könnte Wahrheit werden, und somit sein Leben leichter. Doch es war ihm natürlich klar, dass jedes Teufelswerk einen Preis hat. Vorsichtig fragte er den Teufel:
Der Schäfer: Was müsste ich dafür tun?
Der Teufel: Wenn ich dir bis zum ersten Hahnenschrei einen schönen Damm über den Großen Döllnsee baue, dann versprichst du mir einfach deine Seele dafür. Die wird fällig, wenn dein Tod kommt. Die kleine Nebensache wird dich zu Lebzeiten nicht berühren, damit ist alles abgegolten. Komm schlag ein.

Erzählerin:
Der Schäfer Anton willigte ein. Sogleich erhob sich der Teufel, zahlte die Zeche mit einem Silbertaler und eilte grußlos davon. Der Teufel begann unermüdlich sein Werk. Er bewegte wie von Furien getrieben gewaltige Erdmassen und schleuderte große Findlinge in den See. Anton lief aufgeregt nach Haus. In der Ferne hörte er den Teufel schuften. Da der Schäfer aber ein frommer Mann war, wurde es ihm unterwegs mulmig. Auf dem Hof angekommen fragte er schnaufend seine Frau:
Der Schäfer: Meine liebe Ilse, ich glaube ich habe einen schlimmen Handel geschlossen. Ein geheimnisvoller Mann erklärte mir im Krug, dass es ganz leicht sei, einen Damm über den Großen Döllnsee zu schaffen. Bis morgen früh, wenn der erste Hahn kräht. Der Geheimnisvolle entpuppte sich allerdings als der Leibhaftige mit flammendem Haupt. Ich glaube, er war nur auf meine Seele aus, die ich ihm versprochen habe.
Die Frau Ilse: Herrje, Anton, wie konntest du nur so leichtfertig sein? Es ist doch bekannt, dass der Teufel bei einem solchen Handel immer siegt. Aber warte. Ha, ich hab da eine Idee, vielleicht können wir ihn mit einer List schlagen. (Puppen gehen tuschelnd ab.)

Erzählerin: Der Dammbau des Teufels war beinahe fertig. Er wähnte, er hätte noch viel Zeit, denn die Nacht war noch stockdunkel. Da plötzlich aber krähte der erste Hahn als Zeichen des anbrechenden Tages. Der Teufel war irritiert. Hatte er seine Kräfte überschätzt? Wie war das möglich? Nun, die schlaue Frau des Schäfers, war mit einer Laterne in den Hühnerstall geschlichen und täuschte mit ihrem Licht den Hahn. Der krähte gleich so schön er konnte den vermeintlichen Sonnenaufgang an, obgleich es noch nicht einmal graute. Den Teufel aber durchzuckte es wie von einem Blitz getroffen. Er tobte und schrie seine Wut in die Nacht. Er war einer List aufgesessen und hatte damit den Handel verloren. Mit großem Getöse verließ der Gescheiterte seine Baustelle. Die beiden Halbinseln, die den großen Döllnsee verengen nennt man seither Schmällinge oder auch die Teufelszungen. (pe)

Lage der Teufelszungen im Döllnsee.
Lage der Teufelszungen im Döllnsee.

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Rohfassung abgeschlossen

Heute habe ich die letzte Geschichte zu „Vom Duft der warmen Zeit“ abgeschlossen. Auch meine Illus sind zu dem uckermärkischen Sommerlesbuch gezeichnet. Schnauf. Es beginnt nun die Korrekturphase und die Gestaltung durch den Verlag. Heißt, ich bin mein neues Kind erst einmal für ein Weilchen los und kann den Tag des offenen Ateliers (3. Mai) vorbereiten :).

Mohnblüte  Miniatur von Petra Elsner
Mohnblüte
Miniatur von Petra Elsner

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Leipzig liest

Tausende kleine Auftritte in den Leipziger Messehallen. Foto: Petra Elsner
Tausende kleine Auftritte in den Leipziger Messehallen.
Foto: Petra Elsner

Die Manga-Kindchens hatten am Samstag die Leipziger Messe erobert und deren Eltern einen Mega-Stau an der Zufahrt inszeniert. Alle Vormittagstermine platzten und im Eintauchen in die Hallen, hatten dort die kindlichen Manga-Gestalten farbgewaltig und bezaubernd alle Plätze überbordend gefüllt. Ein schillernder Menschenstrom ergoss sich massig durch die Leipziger Messehallen, mit wabernden Rändern, Wildwasser an den Kreuzungen und unterwegs plötzliche Strudel. Die Verlegerfamilie Schmook aus Angermünde schien zu baden in diesem Fluss, ich aber war schnell verbraucht im Overkill der Reize.
Beherzte Menschen waren mit einem Literaturbus aus der Uckermark zur Leipziger Buchmesse unterwegs. Ich hatte die Ehre, auf der Fahrt meine literarische Winterarbeit vorzustellen, die als Sommerlesebuch im Frühsommer in der Verlagsbuchhandlung Ehm Werk unter dem Titel „Der Duft der warmen Jahreszeit“ erscheinen wird. Ein ungewöhnlicher Lese-Ort und ich graulte mich ein wenig davor, dass die Zeilen während der Fahrt tanzen würden. ABER es war spannend und die rollende Hörerschaft wohlwollend eingenommen. Manch Kollege in Leipzig hatte es schwerer!
Herrje! Beinahe jede Nische galt als Podium, die Lesenden überschallten sich. Dort, wo der Ton gut war, ging das Thema an mir vorbei, einzig vor der kleinen Bühne von Servus-TV blieb ich hängen und lauschte einem Schreiber, der mit seinem Wohlklang gegen ein immerwährendes Stühle rücken und Geschirrklappern anlas. Bemerkenswert geduldig. Ich hätte an seiner Stelle der ungezogenen Meute gekränkt zugerufen: „Ich bin doch kein Radio oder Stehgeiger!“ Der Überfluss scheint die Manieren zu köpfen. Aber der österreichische Autor Alfred Goubran wirkte äußerlich gelassen (Respekt!), und ich habe mich von seinen Ausschnitten berühren lassen und mir seinen Roman „Durch die Zeit in meinem Zimmer“ gekauft. Ein Buch für meine nächste düstere Stunde, die es auch wieder kommen wird.
„Leipzig liest“ hat mich bald überfordert, ich suchte schlussendlich die individuelle Begegnung. Also auf in die Halle 3, zu dem winzigen Eckstand F 519. Dort fand ich meine Freundin Trilli, die Lederkünstlerin, die sich mit ihren großartigen Miniaturen auch für den Erhalt der Handschrift einsetzt. Sie war umringt von jungen (nicht bunten) Menschen, die die aparte Frau von Mitte 60 mit Fragen löcherten: „Was hat das mit Ihrem Club zur Rettung der Handschrift auf sich?“ Der geistige Club wurde von Gabriele Trillhaase 2009 ins Leben gerufen (Infos unter: http://www.trillhaase.de/handschrift), um dieses flüchtige Kulturgut zu erhalten. Es tat mir gut, sie so gut wahrgenommen zu erleben. Ums Eck sah ich eine junge Literatin, pausierend auf einem Sessel. Sie tauchte seelenruhig ihre Feder in ein Tintenglas und schrieb in ihr Heft kunstvolle Zeilen. Diese Messeminiatur glich einem Rembrandtgemälde, das noch heute in mir nachklingt. Die Auftritte waren eben mannigfaltig bei „Leipzig liest.“ (pe)

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