Morgenstunde (993. Blog-Notat)

Hinter dem Fensterglas dampft das Weinlaub und im Efeu tobt die Spatzenbande. Innenflügel blitzen weiß auf, man könnte meinen, es tanzten Feen im Rauch. Ich liebe diese Zeit, in der die Märchen aus jedem Nebeltropfen aufsteigen. Sie nährt meine Fantasie, auch wenn ich gegenwärtig nicht durch diese Landschaft streifen kann. Der Liebste geht dafür fast täglich in den Wald und bringt mir schönste Pilze zum Verarbeiten mit. Ein 5-Liter-Glas getrockneter Steinis und Maronen haben wir schon gefüllt. Ich füge mich derweil in das anhaltende Dilemma und akzeptiere, dass das wieder-Laufen-Lernen doch länger dauern wird. Es geht nur in Minischritten voran, aber die Stimmung bekommt Auftrieb. Habt ein schönes Wochenende alle miteinander!

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Dorfgeflüster: Der Pilzfinder

Schräge Vögel auf Brandenburgtour - die Pilzfinder, gezeichnet von Petra Elsner
Schräge Vögel auf Brandenburgtour – die Pilzfinder,
gezeichnet von Petra Elsner

Wir wollten gerade vom Hof düsen, da rasselte die Hausklingel ihren scheppernden Ton, bei dem ich immer wie vom Blitz getroffen zusammenzucke. Auf ihrem verzinkten Klangkörper steht unabwaschbar was sie einst wert war: 5 Mark. Sieht nach „Konsumgüterproduktion“ aus und ist noch vom Vorbewohner. Hinter dem Schreck-Ton lugte die Mütze vom Übernachbar über das Hoftor. Der Mann dazu lächelte zurückhaltend mit einer Zeitung in der Hand, als ihm geöffnet wurde. Er tippte auf eine Bildnachricht über eine Krause Glucke spektakulären Ausmaßes und meinte nur: „Meine ist größer.“ Aber in die Zeitung wolle er nicht. Kurtschläger Bescheidenheit oder schlechte Erfahrung, dieser Mann macht jedenfalls nicht viel Worte: „Fotografiert sie und sagt, es sei eure.“ Na, dass ging natürlich auch nicht, weil wir eine ehrliche Haut zu Markte tragen, mein Liebster und ich. So wurde die stattliche Krause von reichlich zwei Kilo für die Nachwelt ausgeleuchtet und abgelichtet, bevor sie im Kochtopf verschwand. Ich denke ja bei diesem Pilz immer an knirschende Märkische Heide zwischen den Zähnen, und hab ihn seit einer ersten Erfahrung gemieden. Wusste einfach nicht, dass man das Teil auseinander pflücken muss, dann waschen, putzen und schließlich 20 Minuten in Salzwasser kochen soll, damit sich Schmutz und alle Tierchen darin restlos verabschieden. Erst dann, nach dem Ablaufen, kann man die Krause Glucke panieren oder was auch immer. Die Frau des Pilzfinders schneidet sie in Scheiben und brät sie am liebsten mit Speck, Petersilie, Pfeffer und Salz – mal mit, mal ohne Ei. Vielleicht sollten wir es ja doch noch einmal mit dem Pilz, der anmutet, wie ein fleischfarbener Blumenkohl versuchen, denn er soll ausgesprochen köstlich sein.
© Petra Elsner

Krause Glucke, Foto: Lutz Reinhardt
Krause Glucke,
Foto: Lutz Reinhardt

PS: Erwin, der Pilzfinder ist leider im Dezember 2016 verstorben.

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