25 Jahre wird es am 9. November 2014 her sein, dass die Mauer in Deutschland fiel. An dieser Stelle möchte ich bis November eine Handvoll Texte vorstellen, die gelebte Deutsche Teilungsgeschichte auf die eine oder andere Weise nacherzählen. Einige dieser Geschichten oder Betrachtungen sind schon vor 20 Jahren von mir niedergeschrieben worden. Weil sie authentisch sind, ziehe ich sie wieder hervor. Manch Protagonist ist inzwischen gestorben, aber was ihnen geschah, soll nicht vergessen sein.
Die Renft-Legende:
Die Legende döste unerkannt am Stammtisch der Berliner Szenekneipe „Lampion“. Die zwei Frauen gegenüber dem biermüden Manne lösten sich gerade aus ihrem Gespräch. Ihre Blicke streifen den zausligen Typen, der weit über seinen Tages-Zenit war. Fast sanftmütig fragte die eine: „Und, wer bist Du?“ Der Mann wuchs ein Stück gerader, deutete ausladend mit der Linken über den Schriftzug seines verschwitzten Rocker-T-Shirts. Darauf prankte grell „The Doors“. „Ach, spinn´ nicht“, winkte die Frau ab. „Wer bist ´n wirklich?“ Der vorwitzige Glanz verschwand aus den braunen Augenschlitzen des Mannes, der indem wieder zusammensank. Zugleich, kaum hörbar, sprach es aus ihm: „Ich bin Renft. Klaus Renft.“ Die Frauen kneisteten ihre Pupillen, als wollten sie sie scharf stellen. Nein, der Typ da soll Renft sein? Ihr Zweifel äußerte sich hochgradig explosiv: „Eh, red´ keinen Quatsch. Renft, das ist ´ne Legende. Mit so was macht man keinen Scheiß´!“ Der Mann namens Renft hatte einigermaßen Mühe, den späten Mädchen am Tisch glaubhaft zu machen, dass er nicht hochstapelte. Kein Einzelfall. 1990, als Renft nach 16 Jahren wieder in Berlin-Ost auftauchte, hatten ihm Männer im „Bärenquell“ auf der Friedrichstraße ernsthaft Keile angeboten, als er sich vorstellte. Die gealterte Legende passte nicht ins Bild, und er, Klaus Renft, wusste nichts, gar nichts von dem Mythos, der nach seiner Ausreise 1976 unter der Käseglocke DDR entstanden war. Nicht ohne Stolz, klar, entdeckte der jahrelang verhinderte Profi-Bassmann das Phänomen, doch es traf ihn fassungslos.
Der Mann grübelt heute noch, wie es dazu kam. „Kann sein“, bedenkt er sich, „weil wir von der Basis kamen, ein nicht zu berechnender Sauhaufen waren, der sich nicht zähmen und instrumentalisieren ließ und schließlich verboten wurde.“
Unantastbar wurden mit der Ausreise von Renft und Monster die Songs und standen für unbeugsamen Rocker-Trotz. Ihre wohlbehüteten Plattenkonserven waren fortan für viele junge Leute in der DDR Begleitmusik der inneren Emigration, und sei es nur für Stunden. Etwas in der Art war wohl der Boden, aus dem schließlich der Renft-Mythos kroch.
Die DDR-Geschichte von Klaus Renft ist die Geschichte von Berufsverboten. Alles begann harmlos in einem thüringischen Dorf mit familiärer Hausmusik. 1952 mit dem Umzug nach Leipzig kommt der Junge mit Jazz in Berührung. Er schwärmte für Big-Bands. Die ersten Schlagzeugbecken verdiente er sich mit kartoffellesen. 99 Pfennige die Stunde. 1957, mit Fünfzehn, gründete er seine erste Band, die „Kolibris“. Ein Bassist wurde gebraucht. Wieder Ferienarbeit für einen Kontrabass. Nach der Schule die Tischlerlehre und ab Mai 1958 spielt ein „Klaus-Renft-Quartett“. „Renft“ leiht sich ahnungsreich den Mädchennamen der Mutter. Für Uneingeweihte: bürgerlich läuft der Rocker unter dem Namen „Jentzsch“. Erst Jahre darauf wird er, Kind einer Kriegsliebe, in seiner Geburtsurkunde statt Jentzsch Renft lesen. Kein Drama, der junge Mann weiß in jenen Tagen schon Leidenschaften zu schätzen. Nur vier-, fünfmal spielte das „Renft-Quartett“ und wurde wegen Verbreitung von Schund und Schmutz verboten. Sie hatten amerikanische Blues-Rock-Sounds nachgespielt, das reichte. Es wird zukünftig sein Schicksal sein, gleich einem Steh-auf-Männchen neue Rockgruppen nach deren Verboten wie Phönixe aus dem Boden zu stampfen. Mit unerschütterlichen Mumm und Dreist sein. Das Feeling musikalische Begabungen auszugraben, zuzulassen, das war sein Part, während die Sänger Monster, Cäsar… ins Rampenlicht rückten. „Sänger, hm“, sinniert er heute ein bisschen neidisch, „die tragen die Band nach außen.“ Was soll´s, ein Bassist hat halt mehr Schattenseite. Verhängnisvoller ist wohl, alle seine Bands „neutralisierte“ die Stasi: die „Buttlers“, das „Ulf-Willi-Quintett“, „Progressiv“ und schließlich DIE „Klaus-Renft-Combo“, die an der Wiege der Deutsch-Rocker-Welle stand. Lieder voller Poesie und Ironie, Bisse in den schalen Tag und unvergessene Songs für DEFA-Filme und vor allem – Dauerzoff. Die „Renft-Combo“ lebte in einer ständigen nervenzerfetzenden Zerreißprobe: Rivalitäten, Flügelkämpfe, Streit um Ansprüche, jede Lied-Zeile ein Krieg – heute noch, bzw. nach 16 Jahren Zwangspause wieder.
„Ich hab zum 31.12.94 bei Renft gekündigt“, prustet er vor seinem schmucklosen Kamin. Haucht sich wärmend in die Hände und lugt mephistohaft auf die Reporterin. „Na, und am 1.1. fang´ ich wieder an“, witzelt kiebig. Dann schlürft er einen gigantischen Schluck aus der Bierbüchse – gegen den Frust, der bitter hinter der Pose steckt und schiebt mit dem Fuß zwei anderthalb Meter lange Bretter weiter in die Feuerstätte. Aus der monströsen Studioanlage schreicheln Schnulzen sein angekratztes Gemüt. Die mag der derbe Rockerzausel – zu Erholung zwischen den anstrengenden Auftrittsreisen, den Problemen, dem alltäglichen Zoff. Der Mann wirkt müde, aber die alte Lust ist nicht still zu kriegen, freut er sich. Die Gier nach einem harten Sound, einem vollen Leben, den Frauen, dem Alk´ treibt den gerade wieder frischen Papa.
In Krisen konnte der Vollblut-Rocker immer die eine oder andere Wut auf der Bühne rauslassen. Ohne Band war es in den Endsiebzigern schwerer. Damals, als seine Ehe mit Angelika, einer schönen Griechin, kriselte. Renft begann sich malend zu entäußern. Abschalten, vergessen und auch klar sehen, eine Freiheit im Kopf schaffen. Alles, was sich in ihm staute, bannte er in seinem Küchenatelier auf Malgründe. Mit hausgemachten Techniken bewegt der Wandler zwischen expressionistischen Ausbrüchen und Konzeptphasen seither, wenn er kann, politische Themen und den Dauerrenner seines Lebens: Sex und Alkohol. Der Mann liebt knallige rot-gelb Töne, schafft intensive, sprechende Kompositionen mittels Öl, Aquarell, Sprühdosen oder einfach Filzstiften. Ein respektables Werkschaffen, das auch Käufer findet.
Jetzt schauen seine Bilder „Gebrüder Aids“, „Schenkelparty“, „Kühle Schöne“… reihenweise stumm, wenn er hier in der Ansbacher Straße in den Zeugnissen zu seinem Berufsverbot auf Lebenszeit versinkt. Er hockt kopfschüttelnd über Bergen von Stasiakten. Da ist Zorn, Entsetzen, Verwirrung, Zweifel und auch Milde in ihm. Zersetzende Papierberge gegen eine Band. Das Material ist noch nicht komplett. „Und vorher“, besteht Renft, “ wird nicht getönt“. Man glaubt es kaum, dass das Finden von Aktenwahrheiten zum Geldproblem gerät, denn die Stapel sind derart gigantisch, dass Renft nur in Intervallen die Kopierkosten in der Gauck-Behörde aufbringen kann.
Zur Erinnerung, was diesem Bassmann, der kein Sänger ist und ohne Band also gar nichts anstellen kann, letztlich das Leben zerschnitt:
Wir schreiben das Jahr 1975. Bei einem Konzert in der Schönefelder Bahnhofshalle teilt man der „Renft-Combo“ mit, anderntags hätten sie um 10 Uhr morgens in Leipzig zur Einstufung anzutreten. „Das war ungewöhnlich“, rekapituliert der Mann nicht emotionslos. „Die frühe Stunde und, dass sie die Fans nicht zuließen, machte mich misstrauisch. Ich packte mein Mitschnittgerät ein und ließ es beim Termin empfangsbereit zwischen mich und den Bass rutschen. Die Vollstreckerin Ölschlägel verkündete das Berufsverbot. Förder-Instrumente wurden beschlagnahmt. Der Mitschnitt wurde später so etwas wie eine persönliche Sicherheit, die ich beim ZDF parken ließ. Aber erst einmal packten wir wütend unsere privaten Gitarren ein und wollten spontan auf den Sachsenplatz ziehen und ein improvisiertes Konzert geben. Kaum waren wir draußen, im Ratskeller, da wussten die Stasi-Typen schon von unserem Plan. Major Fritsche von der K trat plötzlich an unseren Tisch und forderte mich auf, ihm auf zwanzig Minuten zu folgen. Meine Jungs stellten sich vor mich, wollten mich schützen. Der K-Mann bot ihnen als Sicherheit für meine Rückkehr einen anderen Genossen als Pfand. Ich wurde durch einen Säulengang ins Oberbürgermeisterzimmer geführt. Dort musste ich ein Schriftstück unterzeichnen, dass ich keinerlei Provokationen vornehme und ein eventuell geplantes Konzert auf dem Sachsenplatz unterlasse. Wie die bandinterne Info dorthin kam – schön nicht?“
Er fingert noch und nöcher Dokumente heraus, redet sich unterdessen in Rage, die Vergangenheit züngelt an seinem Temperament und lädiert ihm die Nerven. „Und eigentlich hatte ich nach meiner Ausreise mit alle dem abgeschlossen“, stockt er dann urplötzlich, dreht die Schnulzen ab und legt alte Renft-Aufnahmen auf. „Irgendwann muss jeder mal, raus aus seiner Haut…“ Die Legende weht wieder durchs Studio-Galerie-Zimmer, wie in DDR-Konserven-Tagen.
Im Mai 1976 reiste Klaus Renft-Jentzsch in den Westen aus. Er jobbte beim RIAS als Musikredakteur. Sammelt Folklore in ganz Europa für die Sendereihe Kunstkopfstudio. Später wird er im Renaissance-Theater als Tontechniker beschäftigt. Das wär´s wohl gewesen. Zum Spaß spielt er noch mit ein paar Leutchen irische Folklore. Seine Rockmusik war mit der Renft-Band verstummt. Ein Konzert mit Monster und Hansi Biebel im „Quartier Latent“ floppt unter eingeschleusten Stasi-Buhrufen. Aber das wissen sie erst heute. Damals gaben sie weitere gemeinsame Unterfangen auf.
Fraglos, die Wende brachte für die „Renft-Combo“ eine neuerliche Chance. Seit 1990 touren sie wieder zwischen Liebe und Zorn: Lutz (Sauerkraut) Heinrich, Peter (Pjotr) Kschentz, Thomas (Monster) Schoppe, Robert (Golis) Hoffmann, Heinz Prüfer, Detta Herms und Renft. Und logisch, die internen Flügelkämpfe lodern wieder. Immer mal wieder kündigt einer, wird gefeuert und zurückgeholt. Die neue Songs sind wie eh und je provokant, ehrlich, poetisch, hintersinnig in ihren Texten und unverwechselbar in ihrem urwüchsigen Sound, als gäbe es da keine Zwangspause. Am 3.10. 1994 entschuldigte sich die PDS bei den Alt-Rockern für das ihnen zugefügte SED-Unrecht. Ein Happy End? Bei Renft´s keine alten Zeiten …
© Petra Elsner
Klaus Renft ist am 9. Oktober 2006 verstorben.
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