Die Initialzündung
Es gab diese Silvesternacht anno 1975. Ich saß frisch geschieden am Küchentisch mit einer Flasche Rotwein und der geborgten Schreibmaschine meiner Mutter. Nebenan schlief mein kleiner Sohn. Ich hätte jemanden zum Reden gebraucht in dieser Nacht, aber da war keiner. Doch ich musste einfach „sprechen“ über den vergangenen Rosenkrieg, über das Nachtreten und den Versuch mich auszuhungern. Männer hatten damals noch alle Mittel in der Hand. Wenn das Kind krank wurde, gab es beispielsweise kein Krankengeld für die Mutter. Frau war ja (noch) verheiratet. Niemals zuvor hatte man mich so beschämt. Aber das aufzuschreiben war mir dann doch zu schmonzettenhaft, zu tränenschwer und ich hatte auch noch nicht die Worte, nur ein vages Bestreben. Ein Gefühl, ich könnte so die emotionale Last loswerden. Stattdessen aber schrieb ich erst ein Gedicht, dann eine fiktive Geschichte, die war so grottenschlecht, dass sie morgens im Papierkorb landete. Aber: die Nacht war rum und ich ein bisschen leichter, wenn auch mit schwerem Kopf vom Hügel-Rotwein. Zweierlei hatte ich begriffen: Du musst das Echte rauslassen und du musst an deinem Schreiben erarbeiten. So, wie einer ein Handwerk erlernt. Fortan las ich Bücher ganz anders. Achtete mehr auf die Stilistik der Autoren und schrieb täglich Kleinigkeiten. Kleine Szenen in der S-Bahn, Beobachtungen im Kaffeehaus und in manchen Nächten Gedichte. Ich habe nichts aus dieser Zeit aufgehoben, nur manche Sprachbilder sind geblieben. Fünf Jahre später begann ich Artikel und Reportagen für den Verlag Junge Welt zu schreiben, als Folge einer einsamen Silvesternacht, die zur Initialzündung wurde…
Also: Macht was draus, die Nacht kommt bald 😊
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