Ein Sonntagsmärchen

Nun ist es geworden…😊

Das versteckte Dorf

Am Rande der offenen Weite, doch schon im Dämmerstreifen des großen Waldes lag ein mattes Dorf in der Heide. Zwölf geduckte Häuser mit zwölf alten Menschen darin.  Früher war es ein blankgeputztes, quirliges Dorf. Als aber die Jungen Arbeit in der Ferne suchten, blieben nur die Alten zurück. Überall fehlte es an kräftigen Händen. Ihre Gärten verwilderten und aus dem Wald kroch das Moos über Wege und Dachsteine. Mit dem Moos rückte der Wald näher und näher, und bald schon spannte er ein grünes Zelt über die Häuser am Anger. Im Altendorf störte das keinen, im Gegenteil, denn jetzt wuchsen Pilze und Blaubeeren vor der Haustür. Aber da war noch etwas, dass einen jeden der Zwölf frohen Herzens den Tagen vertraute: Sie hörten die Bäume sprechen. Von der Kraft, die in allem ruht. Manchmal saßen die Alten stundenlang reglos am Teich im Dämmerblau und lauschten dem Baumgeflüster vom Sein und nicht mehr sein. Spannende Gedanken kamen ihnen dabei. „Jeder von uns ist etwas Leben von der Ewigkeit“, raunte der Zwölfte in die Runde. „Habt ihr das auch gehört? Ist doch viel schöner gedacht, als immer nur über das Alter zu seufzen.“ Die Anderen nickten zustimmend. „Aber ein bisschen mehr Kraft, um die Stube forsch zu fegen, wäre schon schön!“, murmelte der Elfte und der Zehnte fand: „Ein bisschen Hilfe beim Holzhacken käme mir zupass.“ Der Neunte rieb sich seine zittrigen Hände: „Ja und beim Hühnerstall Ausmisten auch.“ So ging es noch ein kleines Weilchen hin und her, bis sie die Dunkelheit nach Hause schickte. Unter der Bank am Teich regte sich etwas. Ungesehen schlich sich nun eine winzige, grüne Gestalt aus dem Dorf in den Hochwald.

Am nächsten Morgen waren alle Stuben gefegt, das Holz gehackt und der Hühnerstall ausgemistet. Ui, da staunten die Zwölf. Wer mag das alles nur verrichtet haben? War es ein Puck oder ein Troll oder gar zwei? Irgendwer hat jedenfalls Hand angelegt und dafür wollten sie danken. Zum Abend stellten sie alle ein Schälchen Brei neben ihre Eingangstüren. Anderntags waren die Näpfe leer. So ging das alle Nächte, was die Zwölf sich abends wünschten, wurde wahr und ihr Leben wurde ein bisschen leichter.

Eines Tages im späten Herbst rauschte der Ostwind in den Wipfeln der Bäume ein stürmisches Winterlied. Die Grünlinge froren in ihrer Laubhütte und waren beunruhigt. „Ob sie uns aufnehmen werden“, fragte der älteste Gefährte in den Kreis der Grünlinge. „Schon immer war unser kleines Volk Wächter der Waldhäuser. Das können die Zwölf aber nicht wissen, weil ihr Dorf gerade erst zu einem Walddorf gewachsen ist. Wir haben aber keine Zeit, denn wenn der harte Frost kommt, brauchen wir ein warmes Lager. Aber ihr wisst, wir dürfen nicht selbst darum bitten.“ Der kleinste Grünling meinte: „Wir sollten die Bäume fragen, ob sie für uns sprechen. Die Alten hören auf sie.“

Die Zwölf wärmten sich gerade an einem Kartoffelfeuer und berieten sich, was vor dem Winter noch zu tun wäre. Hochnebel verdämmerte das Tageslicht und es sah so aus, als würden die Bäume schweben. Auf einmal erhob sich ein knorriger Gesang. Mysteriös, wie aus einer anderen Welt. Die Alten vernahmen erstaunt die Legende von den Grünlingen, die in der warmen Zeit die Waldbewohner beschützten. Im Winter aber, würden sie erfrieren, wenn man sie nicht ins warme Haus bittet. „Oh, rief der Zwölfte aufgeregt, „jetzt wissen wir endlich, wer uns auf so wundersame Weise geholfen hat. Natürlich werden wir sie zu uns nehmen, oder?“ Die Alten waren sich einig und riefen wie mit einer Stimme so laut sie konnten: „Grünlinge, kommt zu uns!“ Da zeigten sie sich. Und fortan beschützten sie einander, jeder zu seiner Zeit.

© Petra Elsner, 7. Januar 2024

Ich bekam zum Märchen auf Facebook ein paar Stimmen:

Reinhard Gundelach schrieb: „Wunderschönes Märchen. Danke! Erwärmte mich gerade.“

Karin Segura schrieb: „Das waren auch so meine Gedanken, Reinhard. Einander Herzenswärme schenken, gut dass die Grünlinge daran erinnern.“

Jana Weinert schrieb: „Ach, was bist Du für eine Liebe. So ein herzerwärmendes kleines Märchen hinzuzaubern. Dankeschön. Ich werde es gleich mal meiner greisen Mutter vorlesen.“

Barbara Liebrenz schrieb: „Wunderschön und so hoffnungsvoll voll Liebe.“

Iris Go schrieb: „Es ist ein zu Herzen gehendes wunderbares Märchen mit spürbarer Liebe.“

Karla Schmook schrieb: „…es ist ein wunderschönes Märchen, so aktuell und so positiv.“

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Ein Sonntagsmärchen

Eri, die Heideelfe

Wenn im August die Heideelfen erwachen, leuchten die Sander der Schorfheide samtig violett, und der Sommer neigt sich. Unter einem der blühenden Zwergsträucher saß die etwas mollige Elfe Eri und sah den Spinnen beim weben ihrer Netze zu. Dabei naschte sie gemeinsam mit den Bienen den süßen Nektar der Besenheide. Sie liebte es in den Tag hineinzudösen und sammelte gleichmütig lila Blüten für einen heilsamen Wintertee. Nur für den Eigenbedarf, denn seine Wirkung hatten die Menschen längst vergessen. Die anderen Heideelfen verlegten sich deshalb auf das Zaubern von Illusionen und verspotteten Eri ob ihrer altmodischen Sammelleidenschaft und ihrer Fülle. Eri jedoch war nicht altmodisch, sie folgte einfach ihrem Daseinsgrund und bewahrte das Wissen der Heide – dort am Saum des großen Waldes. Sie wusste, wenn das Heidekraut bis in die Spitzen blüht, gibt es einen strengen Winter. Dann pflückte und trocknete sie vorsorglich mehr von den Blüten, die das Blut reinigen und Entzündungen lindern.
An einem sonnigen Nachmittag war ein Waldspazierer unterwegs. Er lauschte genüsslich dem Vogelkonzert und bückte sich immer wieder, um Blaubeeren zu pflücken. Plötzlich schnellte aus den Blaubeerbüschen eine Schlange, die ihn biss. Eri hörte seinen Schrei und ahnte, was geschehen war. Schnell riss sie etwas Laub und Blüten vom nächsten Heidestrauch und eilte dem Schrei nach. Der Mann hatte sich niedergelassen, atmete hastig und versuchte mit seinem Sonntagsschlips die Hand abzubinden, damit das Gift nicht in den Arm aufsteigen konnte. Ihm war schwummrig, als Eri vor ihm stand und auf den Schlangenbiss Laub und Heideblüten legte. Was dann geschah, konnte er nicht sagen. Am nächsten Morgen erwachte der Waldspazierer aus einem schweren Fiebertraum. Er lag im tiefen Moos, noch schwach, aber am Leben. Seine Hand war dick mit Heidekraut umwunden. Hatte er wirklich eine Gestalt ganz in Fliederrosa gesehen? Und gibt es denn das: Eine Elfe von so praller Schönheit? Der Waldspazierer verehrte mollige Frauen. Vorsichtig sammelte er sich, als Eri lautlos mit einer dampfenden Schale erschien. Der Waldspazierer schaute sie mit erstaunten Augen an, während sie den Umschlag löste und den Biss mit Heidetee auswusch. „Nun kannst du gehen, aber achte zukünftig besser darauf, wohin du greifst.“ Sie nickte ihm zu, dann lief sie zurück in die Heide, wo sie schon sehr bald mit der Farbe Lila verschmolzen war.



© Petra Elsner

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