Der Grenzgänger (Abschnitt 2)

Eine Kurzgeschichte in Arbeit
… Er bewunderte ihre Verwandlungen: Immer, wenn er von seinem Blatt am Ende der Geschichte aufsah, schien es ihm, Terese hatte etwas von jener Gestalt angenommen, die der Geschichte entsprang. Jetzt ähnelte sie seinem Silbermondmädchen, doch es blieb keine Zeit mehr, sich daran zu erfreuen. Die Nachtschicht an der Rezeption endete und draußen würde gleich die Sonne aufgehen. Tonio begleitete das Silbermondmädchen noch ein paar Schritte. Als sie sich Ecke Weinberg-/Rosenthaler Straße verabschiedeten, rauschte durch einen Schacht unter ihren Füßen ein kräftiger Luftzug. Tereses Sommerrock flog auf, wie einst das Kleid der Monroe. Die West-U-Bahn durchquerte hier streng bewacht Ostberlin und erinnerte Tonio daran, dass Terese einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Bald würde er seine Zuhörerin verlieren. Für immer. Sie wusste, dass er das gerade dachte, lächelte errötend und ging.
Tonio lief über den Alten Garnisonsfriedhof an der Kleinen Rosenthaler, den in dieser Zeit die Anwohner als Park nutzten. Das Windlicht im Fenster der Schwester brannte noch. Das verabredete Zeichen, dass er noch nicht erwünscht war. Gegen alle Gewohnheiten musste sich die bleiche Nachtgestalt im Licht des Tages blicken lassen. Er hockte sich auf eine Parkbank und rauchte seine letzte „Karo“, als ihm jemand diese Worte über die Schulter bröselte: „Na, willst du dir die schöne Kneipenbräune versauen?“
Tonio blickte sich um und sah nichts, außer seinen dünnen Schatten.
„Hast du auch schon was zu sagen? Ein Schatten hat zu schweigen, wenn er einen schon begleiten darf.“
„Och, ich kenne da Schatten, die willst du nicht haben.“
„Ich meinte ja auch nur die echten Schatten.“
„Den anderen hast du aber auch, wegen Tereses Antrag.“
„Weiß ich doch!“, fauchte Tonio die dunkle Silhouette hinter sich an. Die Sonne blendete den jungen Mann. Er blicke hinüber zur anderen Parkseite. Da stand er in seiner hässlichen blauen Windjacke, am Handgelenk ein Täschchen. Wie peinlich das aussieht, dachte Tonio. Geradezu ätzend. Und alle diese Typen haben das gleiche an …

© Petra Elsner
5. Juni 2019

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Berlins alte Haut: Bröckelnde Fassaden im Scheunenviertel

Die Stadtsteine zwischen Oranienburger Straße, Große Hamburger Straße,  Rosenthaler Straße und Steinstraße waren schon ruinös beschaffen, damals 1993 – ohne Worte ein paar Bilder aus dem Kiez jener Tage:

Das Mädchen in den Hinterhöfen. Foto: Petra Elsner
Das Mädchen in den Hinterhöfen.
Foto: Petra Elsner
Die Alten und die Hunde in der Rosenthaler Straße. Die gibt es so hier schon lange nicht mehr! Foto: Petra Elsner
Die Alten und die Hunde in der Rosenthaler Straße. Die gibt es so hier schon lange nicht mehr!
Foto: Petra Elsner
Das Kinder und die Schrottkunst  im Hinterhof hinter dem Posthof. Foto: Petra Elsner
Das Kinder und die Schrottkunst im Hinterhof hinter dem Posthof.
Foto: Petra Elsner
Die Frau im Fenster in der Großen Hamburger Straße. Foto: Petra Elsner
Die Frau im Fenster in der Großen Hamburger Straße.
Foto: Petra Elsner
Dachlandschaft im Scheunenviertel. Foto: Petra Elsner
Dachlandschaft im Scheunenviertel.
Foto: Petra Elsner
Der alte Taxihof, ich glaue in der Sophienstraße. Foto: Petra Elsner
Der alte Taxihof 1992, ich glaube, in der Sophienstraße.
Foto: Petra Elsner
Fassade in der Kleinen Rosenthaler Straße. Foto: Petra Elsner
Fassade in der Kleinen Rosenthaler Straße.
Foto: Petra Elsner

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