Unterwegs auf den Autobahnen der Begegnungen

Notfallseelsorge
Thomas Lenz (64 Jahre) ist seit sieben Jahren Notfallseelsorger und seit zwei Jahren Chef des Barnim-Teams: „Ich musste mit dem Tod erst eine eigene Erfahrung haben, um in einer solchen Aufgabe zu bestehen. Es braucht eine gewisse Reife. Kirchgänger muss man dafür nicht unbedingt sein.“ Foto: Lutz Reinhardt

Wenn in den Tag ein Schrecken springt, klingelt bei Thomas Lenz das Telefon. Er hört die Umstände und muss augenblicklich entscheiden: Hat er heute die Kraft dafür? Thomas Lenz ist Notfallseelsorger, genauer der Team-Chef der Notfallseelsorge im Landkreis Barnim. Wenn die Aktiven gerufen werden sind Katastrophen, Unfälle oder gar Morde geschehen. Nun braucht es ersten Beistand.

Wie kommt einer dazu, die Hand nach dem Kummer auszustrecken? Thomas Lenz hat sich beizeiten um sein Leben im Ruhestand Gedanken gemacht und erzählt heute: „Vor sieben Jahren habe ich die Ausbildung zum Notfallseelsorger absolviert, weil ich glaubte, das kann man auch im Alter noch gut  machen. Ich habe eine gute Menschenkenntnis, kann auf Menschen zugehen und reden. Das bringt einfach 30 Jahre Hotelarbeit mit sich. Ich mag Menschen ohne Ansehen der Person, gleich welcher Hautfarbe und Passion. Es gibt natürlich Lebenswege, denen ich nicht folgen würde, aber diese Gabe, Menschen zu mögen, ist eine Grundvoraussetzung für diese Aufgabe.“
Freunde ermunterten ihn, denn er findet in extremen Situationen einen guten Grundton, und so ließ sich Thomas Lenz auf einen Versuch ein. Drei Einsätze wollte er mitmachen und erst danach klar entscheiden, ob er das wirklich verlässlich kann. „Es war völlig offen, ob ich im Nachgang damit klarkomme.“

Es gab da diese schlimme Erfahrung während seiner Armeezeit: Die Flugzeugkatastrophe bei Königs Wusterhausen 1972. Er war gerade zur Bereitschaftspolizei gezogen worden und kam bei der Bergung der Absturzopfer aus der Iljuschin 62 zum Einsatz: „Wir durften darüber nicht reden. Es war uns verboten und behandelt wurden wir mit Schnaps. Die Nachkriegs-Generation hat alles mit sich selbst ausgemacht. Man redete nicht über die Schrecken. Auch die Folgegeneration in der der DDR sprach nicht aus, was quälte. Erst in den letzten zwanzig Jahren hat ein Umdenken eingesetzt und das ist gut so. Man ist nicht mehr ganz so einsam mit dem Tod. Und auch die Einsatzkräfte der Blaulichter sind froh, wenn wir einsteigen. Sie können so ihrer Aufgabe nachgehen. Ja, diese Einsätze ziehen Kraft, aber sie sind keine Einbahnstraßen, sondern Autobahnen mit Begegnungen.“

Inzwischen ist Thomas Lenz seit zwei Jahren in der gemeinschaftlichen Teamleitung. Die Notfallseelsorge liegt deutschlandweit in der Trägerschaft der Kirchen, aber die Landkreise sind die Träger im Land. Genauer die Abteilung Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, deshalb gibt es im Team eine Doppelspitze. Geordert wird die Notfallseelsorge über Rettungsdienste, Notärzte, Feuerwehr und Katastrophenschutz. Der Mann mit dem offenen Blick erzählt: „Beispielsweise, wenn die Polizei Todesnachrichten überbringen muss, sind wir immer dabei. Der Polizist spricht die Nachricht und der Notfallseelsorger bleibt bei dem Betroffenen bis Freunde oder Angehörige eintreffen. Es geht darum, sich in die extreme Lebenssituation einzufühlen. Die Menschen sollen in ihrem normalen Umfeld aufgefangen werden. Intuitiv – einfach da sein, manchmal ohne Worte, nur die Hand haltend. Kindstod sind die schlimmsten Nachrichten, das geht einem selbst an die Substanz.“

Er spricht nicht über die Einsätze mit Unbeteiligten, aus Respekt vor den Betroffenen. Manchmal aber  sind die Bilder, die man von den Einsatzorten mit nach Hause nimmt so schlimm, dass es für die Aktiven notwendig wird, das Erlebte zu verarbeiten, um gesund zu bleiben. Der Teamchef erklärt, wie das vor sich geht: „Viermal im Jahr haben wir Supervisionen. Es besteht auch die Möglichkeit einer Einzel-Supervision. Löschen kann man diese Bilder nicht, aber man kann lernen, diese Anblicke wie ein Bilderalbum auf- und wieder zuzuschlagen. Das muss ein Notfallseelsorger beherrschen, sonst besteht er in dieser Arbeit nicht. Übrigens wenn Aktive eine Auszeit brauchen, dann wird die gewährt, ohne jegliches Murren. Sechsmal im Jahr treffen wir uns zu Teamsitzungen. Da geht es um Einsatz- und Themenbesprechungen und die Supervisionen. Hier wird ausgesprochen und gehört, was gelaufen ist und es werden Hilfestellungen gegeben.“

Seit 1985 lebt die Familie Lenz in Chorin. Er und seine Frau übernahmen damals die Leitung des evangelischen Erholungsheims. „In diesem Haus Chorin hatte ich die schönsten Tage meiner Kindheit erlebt. Meine Eltern unternahmen 1947 ihre Hochzeitsreise hierher und kamen dann jedes Jahr im Urlaub wieder. Nach der Wende entwickelten wir  das Haus zum Hotel.“

Der gelernte Maschinenbaumeister und Ingenieur hatte irgendwann „die Schnauze voll von VEB“. Er stieg aus und fand, wie viele andere damals auch, bei der Evangelischen Kirche eine lebensfreundliche Beschäftigung. Die Ausbildung zum Heimleiter bekam er später. 30 Jahre hat Thomas Lenz das Haus geleitet, seit Februar 2015 ist er Rentner. Im Nachgang weiß er, die Notfallseelsorge war für ihn die richtige Wahl. Als Dank und auch um das Team emotional zu stärken, werden er und seine Aktiven am 6. November, 10.15 Uhr, in der Bernauer Sankt Marienkirche  eingesegnet. Den Festgottesdienst hält der Vorsitzende des Leitungsgremiums des Kreiskirchenrates Christoph Brust, die Einsegnung leitet Stefan Baier von der Landeskoordination für die Notfallseelsorge im Land Brandenburg.

Thomas Lenz erklärt: „Alle Blaulichtorganisationen und Politiker werden dabei sein. Da können wir einmal auf unsere Organisation aufmerksam machen, denn wir brauchen immer neue Aktive. Die Feuerwehr hat eine lange Tradition, die Notfallseelsorge gibt es erst seit dem Drama von Eschede, 1996. Im Barnim existiert sie seit elf Jahren. Thomas Lenz bemerkt zurückblickend, dass er an dieser Stelle richtig ist.

Petra Elsner

 

PS: Bewerbende können sich gern beim Katastrophen- und Bevölkerungsschutz melden, Telefon:03334 3048139.

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