Versteckt zwischen den Buschkiefern, dort, bei Klein Dölln, wo das Döllnfließ einen weiten Bogen zieht, wächst seit einigen Jahren ein Überraschungsort in der Schorfheide. „Flatternde Forke“ könnte man diese Vogelfantasie von Siegfried Haase nennen, die er aus altväterlichem Landarbeitsschrott entwickelt und verschweißt hat. Die witzige Skulptur hat das Groß Döllner Urgestein für die geneigte Öffentlichkeit als Überraschung aufgestellt. Im Zauberwald zwischen Kurtschlag und Klein Dölln kann der Spaziergänger sie neben all den anderen hintersinnigen und heiteren Gestalten betrachten und sich an dem herzhalfen Mutterwitz des Künstlers erfreuen. Eben dort findet man beispielsweise auch diesen umweltfreundlichen Autoturm vom Bildhauer Lutz Kittler aus Friedrichswalde. Bei diesem milden Wetter ist der unbeschriftete Kunstwald ein lohnendes Ausflugsziehl.
Zauberhaftes Licht fällt in diesen Tagen in Siegfried Haases Kunstwald zwischen Kurtschlag und Klein Dölln. Jogger und Spaziergänger werden an diesem Ort immer wieder aufs Neue überrascht und entschleunigt. Denn die Kunst- und Spaßobjekte verleiten, inne zu halten, sich selbst und die wundersame Natur des Schorfheidewaldes zu spüren. Mit ein bissen Glück betritt ein Reh die Stille.
Indes hat der Walderlebnisort Zuwachs bekommen. Bildhauer Lutz Kittler aus Friedrichswalde spendierte ihm eine ganz besondere Skulptur. „Baumhirsch“ nennt er sie. Das Objekt ist zugleich Ruhebanke, wie Initiator Haase
im Foto vorführt. Es lohnt sich, mal wieder vorbei zu schauen. Der Einstieg erfolgt hinter der Bushaltestelle von Klein Dölln, weiter über die Bücke vom Döllnfließ, dann rechts am Fließ entlang, wo der Biber einst seine Wasserburgen baute, der ist jetzt allerdings zum Eichendamm umgezogen.
Er setzt schon einmal den Stein des Anstoßes, der Siegfried Haase aus Groß Dölln. Jenem Dorf im Schorfheidewald, dem man nachsagt, hier wurden einst die neugeborenen Söhne auf den Dachfirst gesetzt, um ihre Zukunft vorher zu sehen: Fällt er nach vorn, wird er ein Wilddieb, fällt er nach hinten, wird er ein Holzdieb. Kein Wunder, in „Hungerdölln“ waren die beruflichen Perspektiven nie üppig. Der Boden, auf dem man hier siedelt, ist so mager, dass selbst die zwei Döllner Bauern zu DDR-Zeiten nicht in eine LPG gepresst wurden. So kam es, dass Haases Vater ein freier Bauer blieb und der Sohn unangepasst aufwuchs. Mit dieser „unsozialistischen“ Herkunft konnte man damals leider auch nicht Förster werden, wie er es gern wollte. Vielleicht erklärt sich daher seine Affinität zum berüchtigten Döllner Wildererkönig Georg Schäfke. Über ihn hat ein Buch mit herausgegeben und 2007 hat er zusammen mit ein paar anderen Döllnern, diesem Wilddieb einen Gedenkstein am Koppelberg gesetzt. Das gefiel nicht jedem. Auch das findet der Mann in Ordnung.
Er war lange weg, der Siegfried Haase, wegen der Lehre zum BMSR-Techniker, der Arbeit und der Familie in Berlin. Sein Haar ist schon in den 80ger Jahren grau geworden, als die Russen in Dölln seinen Vater überfuhren. Damals ließ man ihn von Amts wegen nicht zurückkehren in sein Elternhaus.* Er musste sich wahrlich ein kleines Sommerhaus unter schwierigen Bedingungen aufbauen, um die Wochenenden und den Urlaub in der Schorfheide verbringen zu können. Ohne die Heide leben, dass wäre für den Naturfreund nicht gegangen.
Haase ist mit 60 Jahren und in Altersteilzeit gegangen. Viel Zeit verbringt er seither in Groß Dölln. Und keine Minute hat er sich seither gelangweilt. Auf dem geerbten Hof werkelte er schon Jahre lang in den umfunktionierten Ställen. Dabei wuchs er, inspiriert vom Metallbildhauer R. Pfeiffer und Bildbänden von Andy Goldsworthy langsam zum Metallkünstler heran. Getrieben von einer herzerfrischenden Spiellust und einem sensationellen Mutterwitz. Sein verwunschen wirkender Garten ist ein Refugium für all diese spöttischen Objekte. In seinen Inszenierungen aus Gartenforke, Radnabe, Felgen, Speichen, Federn…ist fast immer ein schräger Vogel mit von der Partie. Auch nicht verwunderlich, denn Haase ist Freizeit-Ornithologe. Er macht sich Gedanken um das Ganze und um das Detail. Dabei denkt er gern quer und anders als andere. Jetzt fragt er sich gerade, wie man am besten eine Landschaft „aufladen“ kann. Und meint damit, sie spannender, reizvoller, anziehender, wertvoller zu gestalten.
Gemeinsam mit dem Zehdenicker Bildhauer Uwe Thamm kam ihm ein Überraschungswald in den Sinn. Da es sein Wald ist, der da im Kurtschlager Gebiet liegt, musste er keinen fragen, konnte einfach loslegen. Hinter den Wiesen zum Döllnfließ, bei Klein Dölln, zieht die Waldkante einen schönen Bogen. In ihm finden sich bizarre „Burkusseln“, also krummwüchsige, vielarmige Bauerkiefern, die geradezu zum künstlerischen Spiel einladen. Hier haben Haase und Thamm einiges für den Wanderer und Jogger versteckt: Aufgehängte, vom Biber angespitzte Klanghölzer, anderswo ein Stuhlnest am Stamm, weiter hinten lenkt ein Wanderbaum den Weg in die Wolken. Ein Hahn und dort ein Pfau… verstecken sich hoch oben im Geäst – erst auf den nächsten Blick sichtbar. Am Boden begegnet man aus Todholz einem Gnom, unweit einem Zweiten … Der parkähnliche Überraschungswald wächst immer weiter. Und Haase meint: „Es geht uns hier um Kunstobjekte aus natürlichen und anderen vergänglichen Materialien. Oder anders gesagt, den Vorgang des Verfalls gehört mit zur Kunst.“ Solche Kunst übt einen ähnlichen Reiz auf ihn aus, wie der morbide Charme verfallender Häuser, „wenn es denn nicht das eigene ist“, witzelt er. Anlass für dieses Gestalten, ist das Nachdenken über das Entstehen und Vergehen anzuregen, aber auch der Spaß, den man dabei hat. Materialien dafür sind absterbendes Holz, Steine, Leder, rostiges Metall, aber es könnte auch Papier sein. Ein Foto hält die Idee für die Ewigkeit fest. Der Rest verweht irgendwann als Rost mit dem Wind, wird Humus oder vom Regen fort gespült. Auf keinen Fall aber kommt unverrottbarer Plastikmüll zum Einsatz.
Haase will keinen sogenannten Kunstpfad initialisieren, der dann massenweise beschritten wird. Es soll eher zugehen, wie beim Pilze suchen. Die ersten, die ihre Waldfantasien entdecken, sollten seiner Ansicht nach die Einheimischen sein, die vielleicht den Kopf schütteln, sich wundern, kichern, stolz darauf sind und es deswegen weiter erzählen. Den Ort weiter zu beleben, lädt Haase seither Künstlerkollegen und ähnlich Denkende ein. Ihre Ideen müssten sie dann selbst umsetzen. Es darf nichts kosten, und es gibt kein Geld dafür.
Neulich traf der Künstler im Wald den Jäger und Naturwächter Rudi Christian aus Kurtschlag. Der scherzte: „Na, wie viel Kunst verträgt dein Wald?“, und Haase antwortete: „Ihr möbliert den Wald mit Hochsitzen, und wir hängen dazu die Bilder …“
Kontakt Kunstwald: Siegfried Haase, Kleine Dellenstraße 9, 17268 Templin OT Groß Dölln, Mail: siegfried.haase@freenet.de
*Zu DDR-Zeiten, wurde der Wohnraum von einer staatlichen Wohnraumlenkung, auch der private, mit Einquartierungen belegt, wenn er ein bestimmtes Maß überschritt.
Eine weitere Reportage aus dem Schorfheidewald hier
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